Wahlrechtsreform kommt nicht voran: Der Bun­destag könnte platzen

von Hasso Suliak

20.01.2020

Der Bundestag hat so viele Abgeordnete wie nie zuvor. Mit einer Wahlrechtsreform soll er eigentlich wieder verkleinert werden - doch die Details sind höchst umstritten. Vor allem in der Union fehlt es an einer abgestimmten Position.
 

Mit der Wahl 2017 erreichte der Deutsche Bundestag durch Überhang- und Ausgleichsmandate die Rekordgröße von 709 Abgeordneten. Und das, obwohl sich das Bundeswahlgesetz eigentlich an der Sitzzahl von 598 orientiert. Berechnungen zufolge könnte das Parlament bei der nächsten Bundestagswahl sogar auf mehr als 800 Abgeordnete anwachsen. Es sei denn, es kommt zu einer Reform des Wahlrechts. Die ist aber erst einmal nicht in Sicht.

Nach Angaben von Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich die CDU-Spitze jedenfalls im Streit über die Reform des Wahlrechts noch nicht auf eine Linie festgelegt. Zunächst hatten Teilnehmer einer Präsidiumssitzung am Samstag berichtet, die CDU-Spitze sei offen für eine Verringerung der Zahl der 299 Wahlkreise, beispielsweise um zehn Prozent. 

Dagegen sprach sich jedoch umgehend die CSU aus. Eine Reduzierung der Wahlkreise sei undemokratisch und nicht akzeptabel, sagte der bayerische Ministerpräsident Söder am Montag nach Angaben von Teilnehmern im CSU-Vorstand in München. Dabei betonte Söder, dass die CSU nicht generell dagegen sei, die Zahl der Bundestagsmandate zu verringern.  

Die Fraktionen im Bundestag ringen seit langem um eine Reform, mit der die Zahl der Abgeordneten reduziert werden soll - größter Streitpunkt ist die Zahl der Wahlkreise und damit der Direktmandate. Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, kritisierte: "Jetzt lässt die CDU den Ansatz von Überlegungen erkennen, sich auf eine notwendige Reduzierung von Wahlkreisen einzulassen, da kassiert die Schwesterpartei CSU den Vorschlag postwendend wieder ein." Die Koalition müsse sich jetzt endlich bewegen.

Die Zeit für eine Reform drängt 

Kramp-Karrenbauer sagte am Samstag nach der Klausur der CDU-Spitze in Hamburg: "Wir sind im Moment noch nicht in einer Situation, dass wir schon konkret auch eine Festlegung im Präsidium getroffen hätten." Alle seien sich einig, dass der Bundestag verkleinert werden müsse. Die Frage der Direktmandate müsse die CDU sehr sorgsam angehen, weil die direkt gewählten Abgeordneten in einer besonders engen Beziehung zu den Bürgern stünden.

CSU-Chef Markus Söder sagte am Montag, dass einzig das von seiner Partei vorgelegte Modell mit einer Höchstgrenze von 650 Mandaten unter Beibehaltung der 299 Wahlkreise akzeptabel sei. So hatte sich auch der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stefan Müller, geäußert. "Eine Reduzierung der Wahlkreise verhindert nicht ein weiteres Aufblähen des Bundestags", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stefan Müller, der dpa. Die Zahl der Wahlkreise habe sich seit 2002 nicht verändert, der Bundestag sei in dieser Zeit allerdings deutlich größer geworden. Auch der CDU-Abgeordnete Axel Fischer sprach sich gegen eine Reduzierung der Bundestagswahlkreise aus. Die Union aus CDU und CSU verfügt über besonders viele Direktmandate im Bundestag. 

FDP, Linke und Grüne hatten dagegen in einem gemeinsamen Gesetzentwurf vorgeschlagen, die Zahl der Wahlkreise auf 250 zu reduzieren. Die Zeit für eine Reform drängt, weil bereits in wenigen Wochen die Vorbereitungen für die nächste Bundestagswahl anlaufen, die regulär im Herbst 2021 stattfinden wird. Im vergangenen Jahr hatte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) keine Mehrheit für seinen Vorschlag bekommen, die Zahl der Wahlkreise von derzeit 299 auf 270 zu verringern und bis zu 15 Überhangmandate nicht durch Ausgleichsmandate zu kompensieren.

Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Wahlkreise direkt gewinnt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis an Sitzen zusteht. Damit trotzdem alle Parteien im Verhältnis ihrer Zweitstimmen im Parlament vertreten sind, erhalten andere Parteien im Gegenzug Ausgleichsmandate.

SPD will Parität in der Wahlrechtsreform mitregeln

Linksfraktionschef Dietmar Bartsch forderte: "Die Union muss endlich etwas Konkretes vorlegen und nicht weiter abstrakt reden und verzögern wie seit Jahren." Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Stefan Ruppert, betonte, durch die Reform dürfe sich keine Partei einen Vorteil erhoffen. Die AfD sprach mit Blick auf die kolportierten CDU-Überlegungen von Aktionismus. "Das ist ein ungangbarer Weg, der das Problem nicht löst", sagte der Fraktionsbeauftragte für die Wahlrechtsreform, Albrecht Glaser, der dpa. 

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus sagte: "Nichtstun ist die schlechteste Option in dieser Angelegenheit. Und deswegen sind wir alle aufgerufen, in den nächsten Wochen, also bis spätestens zum Juni, eine Einigung hinzukriegen: Alle müssen dazu ihren Beitrag leisten, auch wir als Union". Brinkhaus unterstrich, die Zuordnung der Abgeordneten zu den Wahlkreisen sei "ein ganz wichtiger Pfeiler der Legitimität des Deutschen Bundestages".

Für die SPD erklärte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Carsten Schneider, seine Fraktion sehe Chancen für eine Einigung in den nächsten Wochen. Er betonte: "Auch nach der Reform muss sich das Wählervotum nach der Zweitstimme über die Sitzverteilung im Bundestag abbilden. Das ist entscheidend." Neben einer Verkleinerung sei das Ziel der SPD ein "paritätisch besetzter Bundestag". Doch auch beim Thema Paritätsgesetz, das den Anteil von Frauen im Bundestag erhöhen soll, sind sich die Fraktionen uneinig. Am vergangenen Donnerstag scheiterte im Bundestag vor allem an CDU und CSU die Einsetzung einer Kommission, die ein solches Gesetz hätte ausarbeiten sollen.  

Die Diskussion um eine Reform des Wahlrechts hatte neuen Schwung durch ein Zeitungsinterview von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble erhalten, der in zur Eile mahnte und sagte: "Ich habe von allen Fraktionen die Zusage, dass wir noch in diesem Monat eine Entscheidung treffen müssen." 

Im September 2019 hatten mehr als hundert Staatsrechtler in einem Offenen Brief an den Bundestag appelliert, das Bundeswahlgesetz zu reformieren und damit die Zahl der Abgeordneten wieder deutlich zu reduzieren. Die gewaltige Größe des Bundestags mit 709 Mitgliedern beeinträchtige seine Funktion und bewirke unnötige Zusatzkosten

Mit Material von dpa

Zitiervorschlag

Wahlrechtsreform kommt nicht voran: . In: Legal Tribune Online, 20.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39767 (abgerufen am: 17.11.2024 )

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