Posts vom Wahlschein, Selfie aus der Wahlkabine: 7 Ant­worten zur Bun­des­tags­wahl

von Tanja Podolski

18.09.2021

Am 26. September ist Bundestagswahl. Menschen posten schon jetzt ihre ausgefüllten Briefwahlzettel, der Wahlleiter hat sich gerichtlich mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa über Umfragen gestritten. Was gilt rund um die Wahl rechtlich?

Veröffentlichung von Umfrageergebnissen

Beim Blick auf die Umfragen aller Meinungsforschungsinstitute lassen sich die Ergebnisse der Bundestagswahl (BT-Wahl) schon erahnen, möglichen Koalitionen sind längst ausgerechnet. All das, obwohl es in § 32 Abs. 2, § 49a Bundeswahlgesetz (BWahlG) heißt: "Bei Bundestagswahlen ist die Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe bis zur Schließung der Wahllokale unzulässig und kann als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu 50.000 € geahndet werden".

"Die Veröffentlichung von bloßen Umfragen der Meinungsforschungsinstitute betrifft diese Regelung allerdings gerade nicht", erklärt Professor Dr. Matthias Rossi, Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht, Europarecht sowie Gesetzgebungslehre an der Universität Augsburg. Aus der Norm folge, dass es um die Frage nach der konkreten Stimmabgabe gehe, nur deren Veröffentlichung sei verboten.

Veröffentlichung von erfolgten Stimmabgaben

Differenzierter zu sehen ist die Veröffentlichung von Umfragen, die sich auf die abgegebene Stimme beziehen. Eine derartige Umfrage hat etwa das Meinungsforschungsinstitut Forsa veröffentlicht, als es für die sogenannte Sonntagsfrage allgemeine Umfrageergebnisse mit tatsächlich abgegebenen Stimmen von Briefwählern kombiniert hat. Der Bundeswahlleiter hatte mit Verweis auf § 32 BWahlG die Veröffentlichung von Briefwahlergebnissen untersagt und bei Verstoß auf drohende Geldbußen von bis zu 50.000 Euro hingewiesen. Das Verwaltungsgericht (VG) Wiesbaden hat in dem Streit im Eilverfahren entscheiden: Forsa durfte diese Umfragen veröffentlichen. Allerdings erließ der Hessische Verwaltungsgerichtshof am Freitag eine Zwischenverfügung, die die Entscheidung des VG nun erstmal suspendiert.

Die Meinungen zu dem Thema sind durchaus kritisch: "Ich habe großes Verständnis für den Bundeswahlleiter", sagt Professor Dr. Matthias Rossi. Zwar sei die Briefwahl in der Norm nicht explizit genannt. "Doch mit Blick auf Sinn und Zweck der Norm, also bei einer telelogischen Interpretation, geht es erkennbar darum, Wähler in ihrer Entscheidungsfreiheit vollständig zu schützen, und das muss die Mitteilung von Briefwahlergebnissen beinhalten. Meiner Meinung nach darf über abgegebene Stimmen nicht vor 18 Uhr am 26. September berichtetet werden." Auch, dass die Briefwahlstimmen nicht gesondert ausgewiesen waren, helfe Forsa seiner Meinung nach nicht. "Allein die Mitteilung, dass abgegebene Stimmen in der Umfrage berücksichtigt wurden, kann genug Potential haben, Menschen in ihrer Wahlentscheidung zu beeinflussen", meint Rossi, "weil sie die gefühlte Richtigkeit des Umfrageergebnisses stärkt".

"Auch die Regelungen zur Abgabe der Stimme sprechen für die Position des Bundeswahlleiters", sagt Dr. Sebastian Roßner, Rechtsanwalt im Öffentlichen Recht bei LLR Legerlotz Laschet, die Regelungen zur Briefwahl befänden sich im selben Abschnitt wie alle anderen, deren gemeinsames Ziel die Abgabe der Stimme ohne die Kenntnis der Stimmabgabe anderer sei. "Es geht immer um die Freiheit der Wahl", sagt Rossi, die gelte es zu schützen.

Für Robert Hotstegs, Anwalt in gleichnamiger Kanzlei in Düsseldorf, ist die Entscheidung des VG Wiesbaden hingegen richtig: Die historische Auslegung des § 32 BWahlG gebe das Verbot für Forsa nicht her: "Die Regelungen zur Stimmabgabe beziehen sich – und das gilt auch für die Abgabe der Wahl im Kloster oder Krankenhaus – auf eine Wahlkabine am Wahltag." Womöglich müsse der Gesetzgeber nachbessern, jetzt aber sei die Einbeziehung der abgegebenen Briefwahlstimmen nicht verboten, meint der Anwalt.

Dauer der Wahlperiode

Die Zeit, in der Prognosen veröffentlicht werden, ist derzeit mit vier bis sechs Wochen sehr lang. In diesem Zeitraum werden die Briefwahlunterlagen verschickt. "Hier könnte der Gesetzgeber einschreiten, um diesen Zeitraum zu verkürzen und damit die mögliche Einflussnahme auf Wähler zu beschränken", meint Rossi. Allerdings würde er damit in diverse Grundrechte eingreifen. "Die Meinungsforschungsinstitute könnten sich auf die Meinungsfreiheit und die Berufsfreiheit berufen, die potenziell Interessierten auf die Informationsfreiheit".

Der Grund für eine solche Einschränkung der Grundrechte müsste also von hinreichendem Gewicht sein: "Das ist er, es geht um die Wahlrechtsgrundsätze Geheimheit, Gleichheit und vor allem um die Freiheit der Wahl, die alle angesprochen sind", erklärt Rossi. Der Anspruch an die Verhältnismäßigkeit wäre allerdings umso höher, je länger die Frist ist, in der Umfragen nicht publiziert werden dürften. Rechtsvergleichend sei zu sagen, dass etwa Griechenland und auch Italien eine Dauer von zwei Wochen hätten, in der Umfragen zum Wahlverhalten nicht mehr veröffentlicht werden dürften.

Mitteilungen der Nachwahlbefragung an Auserwählte

Am Wahltag werden die Ergebnisse der exit polls, also der Nachwahlbefragung, an ausgewählte Institutionen und Personen wie Bundestagsabgeordnete und Fraktionsvorsitzende schon um etwa 16 Uhr weitergeben. "Das ist gängige Praxis und stört nicht, solange das Wahlverhalten der Nochwähler nicht beeinflusst wird", sagt Rossi. Das gelte so lange, wie die Ergebnisse nicht an die Öffentlichkeit gehen.

Dann wird es allerdings problematisch. In der Vergangenheit haben bereits ein Presseorgan und ein CDU-Abgeordneter diese Ergebnisse auf Twitter veröffentlicht. Die Veröffentlichung ist nicht erlaubt. Der Wahlleiter kann ein derartiges Verhalten als Ordnungswidrigkeit rügen, § 49a BWahlG.

Verbreiten der eigenen Abstimmung in den sozialen Medien

Immer mehr Menschen veröffentlichen Fotos rund um ihre Wahl in den sozialen Medien. "Explizit verboten sind Fotos in der Wahlkabine", sagt Anwalt Robert Hotstegs. Das ist in der Bundeswahlordnung (BWahlO) geregelt und gilt für das Selfie genauso wie für das Foto des Wahlzettels.

"Dieses Verbot dient dem Grundsatz der geheimen und damit freien Wahl", sagt Rossi. "Denn wenn es dabei auch häufig um bloße Selbstdarstellung gehe, kann schon von relativ harmlosen Influencer:innen  eine erhebliche Beeinträchtigung des Wahlverhaltens ausgehen, zudem können auch Kriminelle oder Menschen in Machtstrukturen Fotos von der Abstimmung verlangen." Um keinerlei Druck auf die Wähler zu erlauben und sie zu schützen, ist das verboten. Man müsse immer wieder betonen: Die Geheimhaltung der Wahlentscheidung dient ihrer Freiheit.

Wer sich über dieses Verbot hinwegsetzt, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Eine Straftat ist das nicht. Strafbar ist aber die Veröffentlichung der Stimmabgabe eines anderen, § 107c Strafgesetzbuch.

Fraglich ist aber, was zur Briefwahl gilt, denn § 56 BWO bezieht sich nur auf die Wahlkabine. Das Verbot könne über eine teleologische Auslegung noch auf die Briefwahl erstreckt werden, meint Rossi. Eine Ordnungswidrigkeit oder geschweige denn eine Straftat könne die Veröffentlichung der abgegebenen Briefwahlstimme mangels Bestimmtheit der Norm allerdings nicht zur Folge haben. "Ich halte hier aber eine Präzisierung durch den Gesetzgeber für angezeigt", sagt Rossi. Anwalt Robert Hotstegs sagt es mit der Polizei Mittelfranken auf Twitter: "Rechtlich dürfen Sie das, ob dies auch richtig ist, müssen Sie selbst entscheiden."

Fake News und Vertrauen in die Bundestagswahl

"Ich bin davon überzeugt, dass wir ein hervorragendes Auszählverfahren haben. Das fängt an mit dem dezentralen System", sagt Rossi. Die abgegebenen Stimmen würden mehrfach geprüft, zudem habe der extra nach Berlin umgezogene Wahlleiter dort besonders abgeschirmte Computer. "Schon die institutionellen Voraussetzungen sind also hervorragend", meint der Professor aus Augsburg.

Rechtlich spiele auch die Dezentralität eine erhebliche Rolle, zudem gebe es die Wahlhelfer, die eine der wenigen staatbürgerlichen Pflichten wahrnehmen, wenn sie ausgewählt werden. "Die Auszählung liegt also nicht bei parteipolitisch determinierten Menschen, sondern ist dem Zufallsprinzip überlassen", so Rossi.

Auch der Bundeswahlleiter setze sich sehr differenziert mit den Abläufen der Wahl und Fehlinformationen, den so genannten fake news, zur Bundestagswahl auseinander. Und nicht zuletzt kontrolliere auch die Presse die Abläufe, sagt der Öffentlichrechtler. Wer daran allerdings permanent Zweifel habe, dem sei vielleicht nicht zu helfen.

Unwirksamkeit der gesamten BT-Wahl

Fehler bei der BT-Wahl können nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Auflösung des Bundestags führen. "Das allerdings nur dann, wenn es, wie das BVerfG formuliert, unerträglich wäre, den Bundestag weiter bestehen zu lassen. Dies ist im Wesentlichen dann der Fall, wenn der Wahlfehler mandatsrelevant ist", erklärt Dr. Sebastian Roßner. Zudem müsse nach der Auffassung des Wahlprüfungsausschusses des Bundestages der Wahlfehler von einem Wahlorgan oder einer anderen Organisation begangen worden sein, die von Gesetzes wegen mit der Vorbereitung oder Durchführung der Wahl betraut ist. Ob Handlungen eines Privaten, etwa eines Wahlforschungsinstituts, in einem Wahlprüfungsverfahren relevant sind, sei noch nicht geklärt worden. Zumindest bei eindeutigen und massiven Verzerrungen spreche aber viel dafür.

Einleiten könnten ein entsprechendes Wahlprüfungsverfahren die Wähler beim Wahlausschuss beim Bundestag. "Hilft dieser nicht ab, entscheidet das BVerfG", so Roßner. Tatsächlich sei das Bestandsinteresse am Bundestag allerdings hoch, zu einer Auflösung ist es seit dessen Bestehen noch nie gekommen.

Zitiervorschlag

Posts vom Wahlschein, Selfie aus der Wahlkabine: . In: Legal Tribune Online, 18.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46045 (abgerufen am: 19.11.2024 )

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