Die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP wollen Abgeordnete bei gravierender Verletzung der Ordnung des Bundestags mit einem Ordnungsgeld belegen. Bisher sah die Geschäftsordnung des Bundestages lediglich den Ordnungsruf und den Sitzungsausschluss vor. Kann der Bundestag seinen Abgeordneten in die Tasche greifen?
Anlass zu den neuen Plänen haben Aktionen der Fraktion Die Linke gegeben, deren Angehörige mit Transparenten und T-Shirts gegen die Politik der Regierungsparteien protestierten. Derartiges mag dem Bürger, der aus eigener Erfahrung (die Minderheit) oder durch Fernsehkonsum (die Mehrheit) Anti-Atom-Protest gewohnt und Stuttgart-21-gestählt ist, wie eine harmlose Protestform vorkommen.
Die große Mehrheit der Parlamentarier empfindet da sensibler und nimmt eine Verletzung der Ordnung des Bundestages wahr, die es verdient, mit einem Ordnungsgeld belegt zu werden. Vorgesehen ist dabei ein Rahmen von 500 bis 3.000 Euro.
Dass der Bundestag seinen Abgeordneten aber wie nun vorgesehen ans Portemonnaie kann, setzt voraus, dass
- im Entrollen von Transparenten oder Tragen einheitlicher T-Shirts überhaupt ein Verstoß gegen die Ordnung des Bundestages liegt;
- der Bundestag in seiner Geschäftsordnung ein Ordnungsgeld beschließen kann, es dafür also keines Gesetzes bedarf;
- die Einführung eines Ordnungsgeldes inhaltlich sinnvoll ist.
Transparente und die Ordnung des Bundestages
Zunächst: Was beinhaltet die "Ordnung" des Bundestages, die zukünftig durch die Drohung mit Geldbuße geschützt werden soll? Sie lässt sich allgemein umschreiben als die Gesamtheit der geschriebenen oder durch parlamentarischen Brauch begründeten ungeschriebenen Regeln, die nach Ansicht des Bundestages für sein gutes Funktionieren unerlässlich sind.
Der Bundestag beurteilt also in eigener Regie, welche Regeln die "Ordnung" beinhaltet. Dazu können auch Regeln über die Form von Meinungsäußerungen gehören. So ist es etwa unzulässig, den politischen Gegner mit Schimpfwörtern zu belegen oder das Rednerpult mit Schlägen zu traktieren.
Auch empor gehaltene Transparente können die Ordnung stören, denn der Ablauf von Bundestagsdebatten ist auf die mündliche Auseinandersetzung zugeschnitten. Aus diesem Grund werden die Redezeiten im Bundestag sorgfältig portioniert zugewiesen. Wer große Transparente nutzt, führt eine andere, schriftlich-visuelle Form der Kommunikation in die Debatte ein, welche die Aufmerksamkeit von den mündlichen Äußerungen abzieht und so die Balance der Redezeiten stört.
Die Maßnahmen: Wortentziehung und Sitzungsausschluss - bisher
Wenn also Transparente und T-Shirts möglicherweise die Ordnung stören, was kann man dagegen tun? Die Geschäftsordnung des Bundestages (GOBT) regelt die Maßnahmen zur Wahrung der Ordnung und die entsprechende Zuständigkeit. Nach § 7 GOBT ist der Bundestagspräsident berufen, die Würde und die Ordnung des Parlaments zu wahren.
Er kann sich dazu der Mittel bedienen, die in §§ 36 ff. GOBT zur Verfügung gestellt werden: Der Ordnungsruf (§ 36 S. 2 GOBT) stellt fest, dass der betroffene Abgeordnete die Ordnung verletzt hat.
Drei Ordnungsrufe zu kassieren, bedeutet für einen Redner, sofort das Pult für den nächsten auf der Rednerliste freimachen zu müssen. Er darf während der laufenden Sitzung zum selben Verhandlungsgegenstand das Wort nicht wieder ergreifen (Wortentziehung nach § 37 GOBT). Die intensivste Ordnungsmaßnahme stellt der Sitzungsausschluss nach § 38 GOBT dar: Für "gröbliche" Verstöße gegen die Ordnung des Parlaments kann der betreffende Abgeordnete von der laufenden und maximal 30 weiteren Sitzungen ausgeschlossen werden.
Die Geschäftsordnung bindet nur die Angehörigen des Bundestages
Für die Frage, ob dieser Maßnahmenkatalog um ein Ordnungsgeld erweitert werden kann, muss man den Charakter der Geschäftsordnung genauer betrachten: Seine Geschäftsordnung erlässt der Bundestag auf der Grundlage von Art. 40 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG).
Diese Geschäftsordnungsautonomie ist zentraler Teil der Parlamentsautonomie, die von Art. 39 Abs. 3, Art. 40 Abs. 1 GG umrissen wird: Danach kann der Bundestag seine Organisation und seinen Geschäftsgang selbständig bestimmen, um so seine Unabhängigkeit als Vertretung des Volkes gegenüber der Exekutive zu wahren.
Die Geschäftsordnung fußt also auf einer verfassungsrechtlichen Grundlage, ist aber kein Gesetz. Sie bindet lediglich die Angehörigen des Bundestages und möglicherweise – dies ist umstritten – andere Amtsträger, die im Bundestag Rederecht haben, etwa Mitglieder der Bundesregierung oder des Bundesrates. Die Geschäftsordnung bindet jedoch nicht die Allgemeinheit. So sind auch die Zuschauer von Bundestagssitzungen nicht an die GOBT gebunden, sondern unterliegen nur dem Hausrecht des Bundestagspräsidenten aus Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG.
Das Ordnungsgeld ist nicht nur Innenrecht: Förmliches Gesetz nötig
Die bisherigen Ordnungsmaßnahmen der GOBT sprengen diesen Rahmen des Innenrechts nicht: Sie richten sich personell nur gegen Abgeordnete und sie beschränken den Betroffenen ausschließlich in seinen Rechten als ebensolcher. Die Wirkung der Maßnahmen bleibt somit innerhalb des Bundestages.
Das geplante Ordnungsgeld betrifft die Abgeordneten hingegen in ihrem Vermögen, in Rechtspositionen also, die ihnen unabhängig von ihrem Status als Mitglieder des Bundestages zustehen. Da die Wirkung dieser Maßnahme den Bundestag "verlässt", kann ein Ordnungsgeld nicht bloß in der Geschäftsordnung geregelt werden. Vielmehr ist dafür ein förmliches Gesetz notwendig.
Auch in vergleichbaren Fällen wird bisher so verfahren: Die Abgeordneten des saarländischen Landtages können zwar durch den Landtagspräsidenten mit einem erheblichen Ordnungsgeld belegt werden, dies geschieht allerdings auf der Grundlage von § 73 Landtagsgesetz Saarland. Den Bundestagsabgeordneten droht zwar ein Ordnungsgeld, falls sie ihr Einkommen nicht entsprechend den Verhaltensregeln für Mitglieder des Bundestages (als Anlage 1 Bestandteil der GOBT) veröffentlichen. Auch dafür existiert aber eine gesetzliche Grundlage in §§ 44a Abs. 4 S. 2 bis 5; 44b Nr. 5 Abgeordnetengesetz (AbgG.).
Moderat, praktisch, gut
Eine gesetzliche Regelung des Ordnungsgeldes könnte sich tatbestandlich auf den in der Parlamentspraxis bereits hinreichend scharf entwickelten Ordnungsbegriff beziehen.
Der angedachte Rahmen von 500 bis 3.000 Euro Ordnungsgeld ist moderat. Für höhere Ordnungsgelder besteht allerdings auch kein Bedarf, da für gravierende Fälle von Ordnungsstörung immer noch die Möglichkeit besteht, den Störer von den Sitzungen des Bundestages auszuschließen.
Auch ein Sitzungsausschluss hat – neben der Beschränkung der politischen Rechte des Abgeordneten – übrigens pekuniäre Folgen: Der ausgeschlossene Abgeordnete darf sich nicht in die Anwesenheitsliste eintragen und gilt als nicht beurlaubt (§ 38 Abs. 6 GOBT i.V.m. § 14 Abs. 1 S. 4 AbgG-Bund). Folge ist eine Kürzung seiner Kostenpauschale um 100 Euro für jeden Fehltag (§ 12 Abs. 2 AbgG-Bund).
Da ein Abgeordneter von bis zu 30 Sitzungstagen ausgeschlossen werden kann, läuft er Gefahr, finanzielle Ansprüche aus seinem Abgeordnetenverhältnis von bis zu 3.000 Euro verlieren. Wegen dieser gravierenden Folgen werden Sitzungsausschlüsse eher selten verhängt.
Das Ordnungsgeld lässt sich nach seiner Schwere auf der Skala der Ordnungsmaßnahmen zwischen dem Ordnungsruf und dem Sitzungsausschluss einordnen. Es ergänzt die Palette der Ordnungsmaßnahmen um eine Maßnahme mittlerer Intensität und gibt so dem Bundestagspräsidenten die Möglichkeit, angemessen und sinnvoll auf Störungen zu reagieren, die keinen Sitzungsausschluss rechtfertigen. Allerdings müsste diese Ergänzung, so wünschenswert sie auch sein mag, eben im Wege eines förmlichen Gesetzes vorgenommen werden.
Der Autor Sebastian Roßner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für deutsches und europäisches Parteienrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Sebastian Roßner, Bundestag: . In: Legal Tribune Online, 10.11.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1906 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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