Strafen heißt jetzt "Integrität stärken" – in dem nun finalen Entwurf hat sich vor allem der Name geändert. Aber bei den Milderungsmöglichkeiten haben die Unternehmen sich durchgesetzt. Und eine Regelung verschwindet vollständig.
Auf den ersten Blick fällt vor allem die Überschrift des neuen Gesetzentwurfs auf: Überschrieben sind die Pläne jetzt mit "Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft". Zunächst hatte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) mit dem Namen "Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität" geplant. Unter dem neuen Titel hat das BMJV nun einen erstmal finalen Referentenentwurf veröffentlicht. Das Gesetz, das in Kraft treten soll, soll aber weiterhin Gesetz zur Sanktionierung verbandsbezogener Straftaten heißen, die übrigen Änderungen sind damit einhergehende Anpassungen in anderen Gesetzen.
Der 147 Seiten starke Entwurf ist jetzt auch abgestimmt mit dem Wirtschaftsministerium. Wegen unterschiedlicher Auffassungen zwischen den Ministerien und auch den Rechts- und Wirtschaftspolitikern in den Fraktionen von SPD und CDU/CSU zu letzten Details des Regelwerks hing das Vorhaben monatelang fest. Nach der Veröffentlichung des Entwurfs haben die Bundesländer und Interessenverbände jetzt Gelegenheit, sich zu den Vorschlägen äußern.
Von Anfang an war der Gesetzentwurf als ein verschärftes Ordnungswidrigkeitenrecht konzipiert, speziell auf Unternehmenskriminalität zugeschnitten und mit verbraucherschützenden Elementen. Das Papier vermeidet es tunlichst, von "Strafen" zu sprechen, und hält sich stattdessen an "Sanktionen". Der Begriff "Verbände" meint juristische Personen und Personenvereinigungen.
"Todesstrafe" für Unternehmen fehlt im Entwurf
Der Entwurf umfasst 68 Paragraphen, und damit genau einen Paragraphen weniger als der Entwurf, der im Sommer 2019 öffentlich geworden war. Es fehlt: die Verbandsauflösung. Die war zu einem Hauptstreitpunkt geworden. Der BMJV-Entwurf sah vor, dass in besonders schwerwiegenden Fällen, ein Unternehmen, dessen wesentlicher Zweck in krimineller Aktivität besteht, aufgelöst werden kann. Rechtspolitiker der Union hatten diese Maßnahme vehement als zu einschneidend kritisiert, ihr rechtspolitischer Sprecher Jan-Marco Luczak nannte sie "Todesstrafe für Unternehmen".
Immer wieder hatte Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) darauf gepocht, dass mit dem BMJV-Entwurf "eins zu eins" Vorgaben aus dem gemeinsamen Koalitionsvertrag umgesetzt würden. " Von der Verbandsauflösung ist in dem Papier allerdings nicht die Rede, sondern nur von "weiteren Sanktionsinstrumenten".
Die praktische Bedeutung einer solchen Vorschrift wäre ohnehin wohl überschaubar, umso größer wäre aber ihre symbolische Bedeutung geworden: Wie weit will die Große Koalition bei der Sanktionierung von Verbänden gehen?
Legalität statt Opportunität
"Das geltende Recht legt die Verfolgung auch schwerster Unternehmenskriminalität zudem allein in das Ermessen der zuständigen Behörden, was zu einer uneinheitlichen und unzureichenden Ahndung geführt hat", teilte das BMJV am Mittwoch zu dem Entwurf mit. Ein neues Gesetz soll hier Klarheit bringen. So müssen die Staatsanwaltschaften künftig zwingend ermitteln, wenn ein Anfangsverdacht für eine aus einem Unternehmen heraus begangene Straftat vorliegt, die Verfolgung steht nicht mehr in ihrem Ermessen. Es soll – anders als im Ordnungswidrigkeitenrecht – das Legalitätsprinzip gelten.
Die Höhe der Geldsanktion soll sich künftig an der Wirtschaftskraft des Unternehmens orientieren. Für große Wirtschaftsunternehmen mit mehr als 100 Millionen Euro Jahresumsatz können die Geldsanktionen bis zu zehn Prozent des Umsatzes betragen. Der BMJV-Entwurf sieht vor, dass es für kleinere Unternehmen beim bisherigen Sanktionsrahmen von maximal zehn Millionen Euro bei vorsätzlichen Straftaten bleibt.
Regeln sollen nicht für gemeinnützige Verbände gelten
Ausdrücklich keine Anwendung sollen die neuen Sanktionsregeln auf gemeinnützige Verbände finden. Bereits in § 1 des Entwurfs findet sich eine neue ausdrückliche Klarstellung: "Dieses Gesetz regelt die Sanktionierung von Verbänden, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist…".
In der Begründung zum Entwurf heißt es dazu: "Bei Verbänden, deren Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, sowie bei bloßen Ordnungswidrigkeiten findet die Neuregelung keine Anwendung, sondern es bleibt bei einer Ahndung des Verbandes nach § 30 OWiG." Weiter heißt es: "Verbände, deren Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, sind regelmäßig in hohem Maße durch ehrenamtliches Engagement gekennzeichnet und dienen insbesondere gemeinnützigen Zwecken."
Bei guter interner Ermittlung: Gericht soll die Verbandssanktion mildern
Ein Herzstück des Gesetzentwurfs sind die Möglichkeiten für Unternehmen, Verbandssanktionen zu mildern, indem sie selbst die Vorwürfe untersuchen und dabei vollumfänglich mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren.
Dieses dem deutschen Recht ursprünglich fremde Rechtsinstitut der sog. Internal Investigations wird auch in Deutschland schon seit längerem praktiziert, vorwiegend von großen Wirtschaftskanzleien und hochspezialisierten kleinen Boutiquen, bisher allerdings weitgehend im luftleeren Rechtsraum.
Der Entwurf bleibt im Wesentlichen bei den vorab bekannt gewordenen Plänen. Bei der einzigen relevanten Neuerung in diesem Bereich haben sich die Unternehmensvertreter durchgesetzt: § 17 des Entwurfs regelt jetzt, dass das Gericht die Verbandssanktion mildern soll, wenn das Unternehmen interne Ermittlungen beauftragt hat, die den dort kumulativ aufgestellten qualitativen Anforderungen entsprechen. Gegenüber der zunächst vorgesehenen Kann-Regelung soll das Gericht nun also in seinem Ermessen gebunden sein.
Wichtig: Der Zeitpunkt der Offenlegung
Ein neuer Absatz drei fügt Kriterien ein, die das Gericht bei der Entscheidung über die Milderung berücksichtigen soll. Bemerkenswert ist dabei die Bedeutung des Zeitpunkts der Offenbarung durch das Unternehmen. Bei der Festlegung des Umfangs der Sanktionsmilderung ist demnach der Zeitpunkt zu berücksichtigen, zu dem das Unternehmen anzeigt, dass es auch intern ermittelt oder sogar bereits Ergebnisse der Ermittlung offenlegt.
Mit der in § 17 Nr. 3 vorgesehenen Verpflichtung des Verbands oder beauftragter Dritter, ununterbrochen und uneingeschränkt mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten, soll zwar ausweislich der Begründung des Entwurfs keine Anzeigepflicht oder eine Verpflichtung zur sofortigen Mitteilung der Ergebnisse begründet werden.
Wenn es aber die Verfolgungsbehörden sind, die sich im Laufe ihrer Ermittlungen an den Verband wenden, kann dieser die Sanktionsmilderung nur noch erlangen, wenn er unverzüglich mit den Verfolgungsbehörden kooperiert. Dazu muss er, das stellen die Erwägungen jetzt klar, auch innerhalb kurzer Frist über die Kooperation entscheiden.
Ausgeschlossen ist eine Milderung nach Abs. 3 nun ausdrücklich, wenn der Verband die Ergebnisse der verbandsinternen Untersuchung erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 der Strafprozessordnung) offenbart.
Klargestellt: Mitarbeiter müssen sich nicht selbst belasten
An den qualitativen Anforderungen an die internen Untersuchungen hat sich gegenüber dem ursprünglichen Entwurf nichts Wesentliches mehr geändert, laut Begründung sollen detailliertere Vorgaben „aufgrund der Vielgestaltigkeit verbandsinterner Untersuchungen sowie der zugrunde liegenden Sachverhalte“ unterbleiben.
Entfallen ist das im ersten Entwurf noch geplante Kriterium, dass die verbandsinterne Untersuchung "in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen durchgeführt wird". In den Erwägungen findet sich diese eher deklaratorisch anmutende Voraussetzung zwar noch, allerdings waren wohl auch hier die Unternehmensverbände erfolgreich. Sie befürchteten, zumal in Kombination mit der bloßen Möglichkeit einer Strafmilderung, dass jeder kleinste Verstoß gegen irgendwelche Vorschriften dazu geführt hätte, dass die regelmäßig sehr teuren internen Untersuchungen am Ende keine Milderung brächten.
Auch an den stark kritisierten Vorgaben zur Befragung der Mitarbeiter hält der Entwurf ausdrücklich fest. § 17 Abs. 1 Nr. 5 definiert die Anforderungen, welche die interne Untersuchung einhalten und dokumentieren muss, um die Strafe mildern zu können. Häufig sind die Mitarbeiter der Schlüssel zum Erfolg, die Behandlung ihrer einer strafrechtlichen Aussagesituation ähnlichen, aber rechtlich dennoch nicht vergleichbaren Drucksituation ist jedoch seit Jahren massiv umstritten.
Es bleibt aber, Stand jetzt, dabei, dass die Befragten sich bei einer solchen internen Untersuchung nicht selbst belasten müssen und hierüber auch vorab zu informieren sind (§ 17 Abs. 1 Nr. 5). Die Klarstellung, dass niemand zur Selbstbelastung gezwungen sei, wiederholt und intensiviert das BMJV in der aktuellen Begründung zum Entwurf, wohl auch in Reaktion auf massive Kritik, nicht zuletzt aus der Anwaltschaft, an der geplanten Regelung.
Weiterhin nur Unterlagen der Verteidigung beschlagnahmefrei
Überhaupt scheinen die Anwälte, während sich die Unternehmen offenbar mit einigen Forderungen durchsetzen konnten, jedenfalls bislang kein Gehör zu finden. Der jetzt vorgelegte Entwurf weist auch zur strikten Trennung zwischen der strafrechtlichen Verteidigung einerseits und der anwaltlichen Vertretung in der internen Untersuchung andererseits keine Neuerung gegenüber den im vergangenen Jahr bekanntgewordenen Plänen auf. So soll es, Stand heute, dabei bleiben, dass nicht dieselbe Person strafrechtlich verteidigen und die internen Untersuchungen durchführen kann.
Auch bei den damit einhergehenden beschränkten Beschlagnahmeverboten soll es bleiben, allein die Unterlagen der Verteidigung dürfen weiterhin nicht beschlagnahmt werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2018 die Verwertung von Unterlagen für verfassungsgemäß erklärt, welche die Ermittlungsbehörden in Sachen Dieselskandal u.a. in der internationalen Wirtschaftskanzlei Jones Day beschlagnahmt hatten. Kein Anwaltsprivileg für interne Untersuchungen also, und dabei bleibt auch der aktuelle Entwurf.
Aufzeichnungen über Befragungen im Rahmen von verbandsinternen Untersuchungen sind vor Beschlagnahme nur geschützt, wenn sie dem geschützten Vertrauensverhältnis zuzuordnen sind. Das Papier verwendet weiterhin die Formulierung, dass Kanzlei "kein sicherer Hafen" für Unterlagen sein dürften.
Die Länder und Verbände können nun bis zum 12. Juni 2020 zum Entwurf Stellung nehmen. Erst dann kann ein Kabinettsbeschluss den Entwurf zu einem amtlichen Regierungsvorhaben machen. Nachdem bereits eine intensive Abstimmung nicht nur zwischen Justiz- und Wirtschaftsministerium stattgefunden hat, sondern auch zwischen Rechts- und Wirtschaftspolitikern der Regierungsfraktionen, könnte das Gesetzgebungsverfahren im Bundestag durchaus zügig ablaufen.
BMJV legt neuen Entwurf vor: . In: Legal Tribune Online, 22.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41382 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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