Das BMI plant neue Befugnisse für die Geheimdienste, ein geleakter Entwurf zeigt nun erstmals Einzelheiten. Das BMJV will gar nicht erst in eine Detailprüfung einsteigen und lehnt grundsätzlich ab. Der Entwurf enthält Überraschungen.
Die Frist zur Stellungnahme läuft zwar noch bis Montag, doch die Botschaft fällt bereits einigermaßen deutlich aus. Justizministerin Katarina Barley (SPD) ist mit einem Gesetzesvorschlag aus Horst Seehofers (CSU) Innenministerium (BMI) alles andere als einverstanden – sie lehnt ihn offenbar so grundsätzlich ab, dass ihr Haus nicht mal in eine Detailprüfung der Regeln einsteigen will.
Eine Sprecherin des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) verwies gegenüber LTO auf die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag. Dieser sehe "maßvolle" Kompetenzerweiterungen für das Bundesamt für Verfassungsschutz vor sowie eine "eine gleichzeitige und entsprechende Ausweitung der parlamentarischen Kontrolle".
Das Maß und flankierende Kontrollen vermissen das BMJV und SPD-Innenpolitiker offenbar im vorgelegten Entwurf aus dem BMI, der sich gerade in der Ressortabstimmung zwischen den Ministerien befindet.
Eingriff in die Tiefe von PC, Smartphone, Alexa und Co.
Bislang hat der Entwurf vor allem für Schlagzeilen gesorgt, weil er erlaubt, auch breiter die Daten von Kindern unter 14 Jahren zu erheben und zu speichern, bislang durften die in Akten nur erwähnt werden, wenn es bei ihnen selbst tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen gibt. Ganz unabhängig von dieser Regelung weitet das Papier gleich eine ganze Reihe von Befugnissen aus. Begründet wird der Ausbau vor allem mit dem Schutz vor internationalem Terrorismus.
Im Zentrum der gewünschten neuen Befugnisse stehen für Nachrichtendienste dabei die Überwachungsinstrumente Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung, die es für die Strafverfolgung bereits jetzt in der Strafprozessordnung (StPO) gibt. Der sog. "Staatstrojaner" ist erstmal nur der Türöffner für die Beamten. In einem ersten Schritt wird dazu ein Computer oder Smartphone mit einem Trojaner, also einer Schadsoftware, infiziert, die den Überwachern Zugriff auf das System verschafft. Bei der Quellen-TKÜ wird die Kommunikation des Benutzers quasi "an der Quelle", also auf dem PC abgeschöpft, das betrifft E-Mails und Messenger-Dienste. Der Vorteil: Mit der Quellen-TKÜ kommt man auch an Gesprächsinhalte, die auf dem Übertragungsweg verschlüsselt werden.
Die Online-Durchsuchung ist eine noch tiefgreifendere Maßnahme. Dabei wird ein Computersystem umfassend oder gezielt durchsucht, also können nicht nur Kommunikationsdaten, sondern sämtliche gespeicherten Daten betrachtet werden. Aus längst vergangenen Chatverläufen, Fotos, Notizen und Webseiten-Verläufen etc. lässt sich ein sehr umfassendes Bild einer Person zusammensetzen – das macht es für Überwacher so interessant. In dem neuen Entwurf wird der Intensitätsunterschied zwischen den Maßnahmen gar nicht mehr ausdrücklich aufgenommen, § 9d spricht nur von einem "Eingriff in informationstechnische Systeme".
Beide Instrumente sind für den Verfassungsschutz keinesfalls neu – in Hessen wurde im Sommer 2018 ein entsprechendes Gesetz mit neuen Befugnissen zu "Quellen-TKÜ" und Online-Durchsuchung" für das Landesamt verabschiedet. Gegen die bayrische Variante wird derzeit gleich mehrfach geklagt .
Neues Betretungsrecht für Wohnungen, um Trojaner aufzuspielen
Auf der Justizministerkonferenz im Juni 2018 in Eisenach thematisierten die Minister die "erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Probleme" beim Aufspielen der Software, die es für die Überwachungsmaßnahmen braucht. Sie forderten deshalb, ein neues Betretungsrecht für Wohnungen zu schaffen, um einen PC, Laptop oder auch ein Heimautomatisierungssystem wie Alexa und Co mit dem Trojaner zu infizieren.
Ein solches Betretungsrecht sieht der Entwurf mit einem neuen § 9e vor. Dort heißt es: "Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf Wohnungen auch betreten, um Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 5, nach § 11 Absatz 1a des Artikel 10-Gesetzes oder § 9d vorzubereiten. " In § 9d ist der Einsatz von Trojanern zur Quellen-TKÜ bzw. Online-Durchsuchung geregelt.
Über die Anordnung solch tiefgreifender Maßnahmen muss laut Gesetzentwurf das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entscheiden. Das soll aber nicht bei Gefahr im Verzug gelten.
Gegen den Staatstrojaner in der Strafprozessordnung (StPO) haben mehrere Gruppen im Spätsommer 2018 Verfassungsbeschwerde eingelegt, sie monieren eine ganze Reihe verfassungsrechtlichen Unzulänglichkeiten. Vor allem kritisieren sie etwa, dass es für die kontrollierenden Richter schwierig werden könnte, die Auswirkungen einer Maßnahme abzuschätzen, zu deren genauem Einsatz sie gar keine Informationen haben.
Der Entwurf aus dem BMI betont entgegen der Kritik aus dem BMJV, man habe "umfassenden Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung, gesetzliche Beschränkung nachrichtendienstlicher Zielpersonen, Verfahrenssicherungen mit besonderen Anordnungs- und Kontrollverfahren und spezifischen Zweckbindungen" aufgenommen.
Soll der Auslandsgeheimdienst auch Deutsche in Deutschland überwachen?
Nicht nur das Gesetz für den Verfassungsschutz soll mit dem Entwurf geändert werden, sondern auch die Regeln für den Bundesnachrichtendienst (BND).
Dr. Sven Herpig von der Denkfabrik Stiftung Neue Verantwortung, die sich intensiv mit Geheimdienstkontrolle beschäftigt, weist dabei vor allem auf einen geplanten § 5b Abs. 1 hin. Dort heißt es im Entwurf: "Der Bundesnachrichtendienst darf ohne Wissen des Betroffenen unter Eingriff in ein informationstechnisches System von deutschen Staatsangehörigen, von inländischen juristischen Person oder von sich im Bundesgebiet aufhaltenden Personen mit technischen Mitteln die dort verarbeiteten Daten erheben…" Die Überwachung soll zulässig sein, wenn besonders schwere Gefahren oder Straftaten drohen. Dennoch überrascht diese ausdrückliche Befugnis, denn der BND ist für Auslandsaufklärung zuständig, nicht aber für die Überwachung von deutschen Staatsangehörigen auf deutschem Boden.
Der Gesetzentwurf aus dem BMI dürfte zunächst mal das maximal Mögliche an Aufrüstung für die Nachrichtendienste ins Spiel bringen – wieviel davon übrigbleibt, wird sich in den kommenden Wochen und Monaten zeigen.
Nach Ablauf der Stellungnahmefrist für die beteiligten Bundesministerien wird es zu Gesprächen zwischen dem BMI und den anderen Ministerien kommen. Besonders intensive Diskussionen dürften mit dem BMJV geführt werden – zumindest, falls Barleys Nachfolger/in den grundsätzlichen Widerstand aufrechterhält.
Geleakter Gesetzentwurf zeigt BMI-Pläne: . In: Legal Tribune Online, 28.03.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34647 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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