Blogger und die Pflicht zur Wahrheit: Löschen kostet nur den Stolz

von David Ziegelmayer

02.04.2012

Ein Blogger zieht vor das BVerfG, die Netzgemeinde jubelt ihm zu. Michael Frison will klären lassen, ob er einen Zeitungsartikel mit einer falschen Tatsachenbehauptung aus seinem Forum hätte löschen müssen. Dabei braucht es keine Narrenfreiheit für die im Netz fleißig Publizierenden, meint David Ziegelmayer. Er zweifelt daran, dass ein "Laienprivileg" für Blogger zeitgemäß ist.

Die letzten Wochen haben es gezeigt: Die bloße Tatsache, dass ein Internet-Forenbetreiber das jedem Bürger zustehende Recht zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde ausübt, ist geeignet, die Aufmerksamkeit der "Presse" zu wecken und Teile der "Netzgemeinde" in Verzückung zu versetzen. Dem beschwerdefreudigen Forenbetreiber Michael Frison dürfte der Trubel recht sein, hat er doch bis jetzt nach eigenen Angaben 12.000 Euro an Spenden von Unterstützern eingesammelt.

Die Wohltäter wollen ihm helfen, vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Grundsatzfrage klären zu lassen, ob er als Blogger beziehungsweise Forenbetreiber ein "Laienprivileg" in Anspruch nehmen kann - im konkreten Fall das "Privileg", Zeitungsartikel mit falschen Tatsachenbehauptungen ins Netz zu stellen und eine Unterlassungserklärung nach einer inhaltlich berechtigten Abmahnung zu verweigern.

Frison hatte den streitigen Zeitungsartikel aus dem von ihm betriebenen Nürburgring-Forum ("N-Forum")  gelöscht, nachdem er von einer Projektentwicklungsgesellschaft und deren Geschäftsführer abgemahnt worden war. Gleichzeitig weigerte er sich jedoch, eine Unterlassungserklärung abzugeben.

Weiß die Presse mehr als der Einzelne?

Es folgte ein übliches juristisches Nachspiel: Die Kläger erwirkten eine einstweilige Verfügung beim Landgericht (LG) Köln, Frison verlor den Widerspruch und ging in Berufung. Vor dem Oberlandesgericht (OLG) Köln erklärten beide Parteien den Streit später für erledigt, so dass nur noch über die Verteilung der Prozesskosten entschieden werden musste. Das OLG brummte dem Forenbetreiber mit einem 17-seitigen Beschluss einen Großteil der Kosten auf, weil er "die Rechtmäßigkeit der in Rede stehenden Aussage in der Sache verteidigt" und deshalb auch dann noch zur Abgabe einer Unterlassungserklärung verpflichtet gewesen wäre, als der Artikel bereits gelöscht war. Hier liegt für Frisons Anwälte der "springende Punkt" für die Begründung der Verfassungsbeschwerde. Durch den Kostenbeschluss sehen sie ihren Mandanten letztlich des von ihm in Anspruch genommenen "Laienprivilegs" beraubt.

Abgesehen von der Frage, ob eine Verfassungsbeschwerde gegen einen so herbeigeführten Kostenbeschluss ohne Hauptsacheverfahren überhaupt zulässig sein kann, wäre die Annahme der Beschwerde durch das Karlsruher Gericht in jedem Fall interessant: Das so genannte Laienprivileg, das vom BVerfG nicht selbst so getauft worden und in der rechtswissenschaftlichen Literatur zu Recht umstritten ist, ist nämlich ein schwammiges Konstrukt und bedarf gewiss einer Generalüberholung – wenn man überhaupt daran festhalten will.

Nach dem "Bayer-Beschluss" (Beschl. v. 09.10.1991, Az. 1 BvR 1555/88) darf die von der Presse geforderte Sorgfalt vom "Einzelnen" nur verlangt werden, soweit er Tatsachenbehauptungen aufstellt, die seinem "eigenen Erfahrungs- und Kontrollbereich" entstammen. Denn der "Einzelne" könne letztlich nicht so gut recherchieren wie "die Presse". Das höchste deutsche Gericht hat allerdings in anderen Entscheidungen darauf hingewiesen, dass ein Unterlassungsanspruch in Betracht kommt, wenn die Gefahr besteht, dass eine rechtswidrige Äußerung aufrechterhalten wird.

Keine Narrenfreiheit für Blogger

Alles eine Frage des Einzelfalls also. Die bisherigen Entscheidungen zum "Laienprivileg" sind zum Teil Jahrzehnte alt und beschäftigen sich nicht mit den Besonderheiten des Web 2.0. Dabei ist gerade im Internet die Gefahr groß, dass falsche Tatsachen sich unkontrolliert verbreiten und zur Stimmungsmache missbraucht werden. Die bisherige Rechtsprechung hat mit der medialen Wirklichkeit deshalb auch nicht mehr viel zu tun.  "Die Presse" hat nicht mehr die frühere Bedeutung und auch die Netzgemeinde wirkt an der Meinungsbildung mit. Dabei verfügt auch jeder "Einzelne" mit einem Internetzugang über wesentlich bessere Prüfungs- und Recherchemöglichkeiten als noch vor zehn Jahren.

Das LG Köln hatte im Fall "N-Forum" noch versucht, die Kriterien des BVerfG anzuwenden und dem Kläger das "Laienprivileg" mit der Begründung abgesprochen, dass er den Artikel selbst kommentiert hatte, seit mehr als 10 Jahren das Forum betreibt und auch an der öffentlichen Diskussion um den Nürburgring rege teilnahm. Nicht zuletzt habe er durch sein Forum eine "auf Dauer angelegte mediale Öffentlichkeit" geschaffen. Deshalb habe Frison  sich den Inhalt des Artikels zueigen gemacht. Das hat etwas für sich: Soll sich ein Blogger, der sich – sei es auch nur in seiner Freizeit – ausgiebig mit einem Thema öffentlich beschäftigt, im Ernstfall darauf zurückziehen dürfen, dass Unwahrheiten nun mal in der Zeitung standen?

Trotz aller Aufregung steht die Haltung der Kölner Gerichte mit den aktuellen Grundsätzen des Presserechts, vor allem denen des Äußerungsrechts, dem selbstverständlich auch "Privatpersonen" oder "Laien" unterfallen, im Einklang. Um es nochmals auf den Punkt zu bringen: Das OLG Köln vertrat in seiner Entscheidung die Auffassung, dass es genügt hätte, wenn der Blogger den Artikel – was er auch tat – aus dem Netz genommen und – was er nicht tat – eine Unterlassungserklärung abgegeben hätte, die im konkreten Fall nicht einmal eine Vertragstrafenverpflichtung erfordert hätte. Nach den Grundsätzen der "Störerhaftung" hätte die Angelegenheit den Forenbetreiber demnach keinen Cent gekostet.

Wer publizieren will, muss auch den Druck ertragen

Blogger, die sich von Anwälten, Unternehmen oder streitsüchtigen Individuen unter Druck gesetzt fühlen, müssen sich auf die Meinungsfreiheit berufen können. Sie müssen  aber – wie Presseunternehmen auch –  mit dem bloßen "Druck" berechtigter und unberechtigter äußerungsrechtlicher Ansprüche leben lernen. Zugegeben: Ihre "Kriegskasse" für juristische Auseinandersetzungen ist nicht immer gefüllt, kann aber durch Sorgfalt geschont werden, ohne dass stets ein Presserechtler eingeschaltet werden müsste. Dazu gehört im Übrigen schon, überhaupt keine urheberrechtlich geschützten Inhalte wie Zeitungsartikel ungefragt ins Netz zu stellen.

Und: Blogger können wählen, wie sie auf Abmahnungen reagieren. Wer sich seiner Sache sicher ist, lässt solche Angriffe unbeantwortet und streitet sich im Ernstfall. Dann trägt der Blogger wie im "wahren Leben" aber auch ein gewisses Prozessrisiko. Jedenfalls Forenbetreiber, die nicht selbst an den Inhalten mitwirken, können dagegen "kostenlos" einer drohenden Auseinandersetzung entfliehen. Sie müssen bloß löschen und sich dazu verpflichten, ihr Verhalten nicht zu wiederholen, koste es auch den Stolz. Mit "Zensur" hat das alles nichts zu tun, denn es kann nie gerechtfertigt sein, Unwahrheiten zu verbreiten.

Das BVerfG wird jedenfalls nicht die Grundsatzfrage klären können, wer oder was ein "Laie" ist. Es führt zu nichts, ein "Privileg" zu statuieren, wenn die Kriterien dafür nicht einzuhalten sind.

Der Autor David Ziegelmayer ist Rechtsanwalt bei CMS Hasche Sigle am Standort Köln. Er ist Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz und berät Unternehmen in äußerungsrechtlichen Auseinandersetzungen.

Zitiervorschlag

David Ziegelmayer, Blogger und die Pflicht zur Wahrheit: . In: Legal Tribune Online, 02.04.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5916 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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