Der für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat des BGH hat entschieden, dass ein Sozialhilfeträger auch von demjenigen Erstattung für Heimkosten seiner Mutter verlangen kann, der über einen längeren Zeitraum keinen Kontakt zu dieser hatte. Die "schicksalhaft" krankheitsbedingte Unfähigkeit der Mutter, sich um ihr Kind zu kümmern, rechtfertige keine Abwälzung der Kosten auf den Staat.
Die Entscheidung, die medial bereits im Vorfeld als Grundsatzentscheidung angekündigt wurde, enthält letztlich wenig Überraschungen, aber eine wichtige Klarstellung.
Der Senat wies die Revision eines Beklagten zurück, der sich gegen die Inanspruchnahme für die Pflegeheimkosten seiner 1935 geborenen und zwischenzeitlich verstorbenen Mutter gewehrt hatte. Der Sozialhilfeträger nahm ihn aus übergegangenem Recht auf Zahlung von Elternunterhalt in Anspruch.
Der 48-jährige Gelsenkirchener berief sich auf eine Verwirkung des Anspruchs, da dieser erst verspätet geltend gemacht worden sei. Außerdem sah er es als unbillige Härte an, dass er gegenüber dem Sozialhilfeträger kraft Rechtsübergangs für den Unterhalt aufkommen müsse, obwohl er seit spätestens 1977 so gut wie keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter hatte.
Hintergrund war, dass diese schon während der Kindheit des nun beklagten Sohnes an einer Psychose mit schizophrener Symptomatik und damit einhergehend an Antriebsschwäche und Wahnideen litt. Sie hatte sich um den Beklagten daher nur bis zur Trennung und Scheidung von ihrem damaligen Ehemann im Jahr 1973 gekümmert. Längere stationäre Krankenhausaufenthalte unterbrachen auch diese Versorgung.
Kein Umstandsmoment, keine Verwirkung
Wie auch schon das OLG Hamm sieht der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in diesen besonderen Umständen keinen Hinderungsgrund.
Den Einwand der Verwirkung des Anspruchs beantwortet der Senat mit dem schlichten Hinweis auf das fehlende Umstandsmoment.
Da der klagende Sozialhilfeträger sich durchgängig um die Realisierung des auf ihn übergegangenen Anspruchs bemüht habe, durfte der beklagte Sohn sich nicht darauf verlassen, dass der Anspruch nicht geltend gemacht werden würde.
Eine Krankheit ist schicksalhaft - nicht schuldhaft
Die Inanspruchnahme des unterhaltsverpflichteten Sohnes ist auch nicht unbillig (§ 1611 BGB).
Denn die aus der psychischen Erkrankung der Mutter resultierende Unfähigkeit, ihrer Unterhaltsverpflichtung gegenüber ihrem Sohn nachzukommen, ist kein schuldhaftes Fehlverhalten im Sinne der Vorschrift, das zu einer Reduktion oder gar zum Wegfall des Unterhaltsanspruchs führen könnte.
Der Senat bezeichnet die Erkrankung und ihre Auswirkungen vielmehr als schicksalhaft.
Nur was der Staat verschuldet, hat er auszubaden
Diese Schicksalhaftigkeit ist es auch, die dazu führt, dass der Senat davon ausgeht, dass der Unterhaltsanspruch nach § 94 SGB XII auf den Sozialhilfeträger übergegangen ist. Zwar kann ein solcher Übergang wegen des sozialhilferechtlichen Gebots, auf die Interessen und Beziehungen in der Familie Rücksicht zu nehmen, ausgeschlossen sein.
Der Senat beschränkt einen derartigen Ausschluss aber ausdrücklich weiterhin auf Ausnahmefälle - und einen solchen sieht er hier nicht. Er zitiert dabei eine Entscheidung aus dem Jahr 2004 (Az. XII ZR 251/01). Dort gingen die Karlsruher Richter vom Vorliegen eines solchen Ausnahmefalles aus, da die psychische Krankheit, die das dortige Elternteil daran gehindert hatte, sich um sein Kind zu kümmern, auf seine Teilnahme am zweiten Weltkrieg zurückzuführen war.
Dieser Lebenssachverhalt weise einen Bezug auf zu sozialen oder öffentlichen Belangen. Und nur in solchen Fällen sei es gerechtfertigt, die Unterhaltslast dem Staat aufzubürden.
BGH zum Elternunterhalt: . In: Legal Tribune Online, 15.09.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1465 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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