Den Widerrufsjoker kennt jeder Verbraucher, der sich über zu hohe Zinsen auf seinen Kredit ärgert. Aber so einfach ist es nicht. Auch nicht nach zwei weiteren BGH-Entscheidungen vom Dienstag, zeigt Alexander Knauss.
Seit vielen Jahren schon tobt der Streit zwischen Verbraucheranwälten und Banken darüber, ob die von den Banken insbesondere in den Jahren 2002-2010 verwendeten Widerrufsbelehrungen den gesetzlichen Anforderungen entsprachen oder nicht.
Der Streit hat handfeste wirtschaftliche Gründe: Denn über den sog. Widerrufsjoker versuchen viele Darlehensnehmer, sich ihrer zum Teil schon über viele Jahre laufenden Darlehens-verträge zu entledigen, um ihre Zinsbelastung auf das aktuell sehr günstige Zinsniveau zu sen-ken, ohne ein ansonsten anfallendes Vorfälligkeitsentgelt zahlen zu müssen.
Auch wenn das Widerrufsrecht für Altfälle bis einschließlich 10. Juni 2010 seit dem 21. Juni 2016 erloschen ist, wird der Streit rund um den Widerrufsjoker die Gerichte noch lange beschäftigen. Dabei stellt sich häufig die Frage, ob ein im Einzelfall noch bestehendes Widerrufsrecht verwirkt oder seine Ausübung rechtsmissbräuchlich sein kann. Eine Frage, die auch in der Rechtsprechung der Instanzgerichte stark umstritten ist.
Treu und Glauben vs. schrankenloses "Ewigkeitsrecht"
Zum Teil wird vertreten, dass ein "ewiges" und schrankenlos gewährtes Recht unserer Rechtsordnung fremd sei. Deshalb unterliege die Ausübung des Widerrufsrechts wie auch jedes andere subjektive private Recht den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB).
Immer dann, wenn seiner Ausübung kein schutzwürdiges Interesse (mehr) zugrunde liege, werde das Recht also missbraucht. Das einem Verbraucher zustehende Recht zum Widerruf des Darlehensvertrages diene dazu, ihn vor Übereilung zu schützen, nicht aber dazu, ihm Jahre später eine günstige Umfinanzierung zu ermöglichen. Verwirkt sei es dann, wenn es jahrelang nicht ausgeübt werde und die Bank auf den Bestand des Vertrages vertrauen durfte.
Dem wird entgegengehalten, das Widerrufsrecht sei vom Gesetzgeber bewusst als "ewig" konzipiert worden. Deshalb könne es weder verwirkt noch seine Ausübung rechtsmissbräuchlich sein. Nach dem Gesetz bedürfe der Widerruf keiner Begründung, woraus zum Teil abgeleitet wird, dass es auf die Motive zur Ausübung des Widerrufsrechts nicht ankommen könne.
Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Mittwoch zur Frage von Verwirkung und Rechtsmissbrauch wurden daher mit Spannung erwartet.
BGH: Rechtsmissbrauch und Verwirkung grundsätzlich ja…
In dem Verfahren XI ZR 501/15 hatte der Kläger noch unter Geltung des Haustürwiderrufsgesetzes (HWiG) und – nach eigenen Angaben - nach Anbahnung in einer Haustürsituation im Jahr 2001 mit der beklagten Sparkasse einen Darlehensvertrag ageschlossen, der die Beteiligung an einer Fondsgesellschaft finanzierte. Dem Darlehensvertrag war eine Widerrufsbelehrung beigefügt.
Im Jahr 2007 hatte der Darlehensnehmer den Kredit vollständig zurückgezahlt und seine auf Abschluss des Vertrags gerichtete Willenserklärung – erst - im Juni 2014 widerrufen. Das Landgericht (LG) wies seine Klage mit der Begründung ab, dass ein etwaiges Widerrufsrecht jedenfalls verwirkt sei.
Das Oberlandesgericht (OLG) lehnte dagegen die Anwendung des Instituts der Verwirkung auf Fallgestaltungen ab, in denen ein sog. ewiges Widerrufsrecht aufgrund einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung besteht. Gleichwohl wies es die Berufung des Klägers zurück, weil er mit der Ausübung des Widerrufsrechts unzulässige Rechtsausübung betreibe. Es stellte auf den Sinn des Widerrufsrechts aus § 1 HWiG ab, den Verbraucher wegen der wirtschaftlichen Bedeutung des Darlehensgeschäftes vor übereilter Bindung zu schützen. Dem Kläger hingegen sei es nach eigenem Bekunden darum gegangen, sich über den Widerruf des Darlehens von den negativen Folgen einer unvorteilhaften Investition in ein Anlagevehikel zu lösen.
Der BGH folgt dem OLG in dessen Begründung nicht. Es hätte das Motiv des Klägers für die Ausübung des Widerrufsrechts nicht allein deshalb zu seinen La berücksichtigen dürfen, weil es außerhalb des Schutzzwecks des HWiG lag, so die Karlsruher Richter. Gleichwohl schließen sie die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben in derartigen Konstellationen nicht aus, sondern verwiesen den Fall zurück an das Oberlandesgericht, das u.a. klären soll, "ob der Kläger aus sonstigen Gründen rechtsmissbräuchlich gehandelt hat und ob das Widerrufsrecht des Klägers verwirkt ist."
Alexander Knauss, BGH zu alten Darlehensverträgen: . In: Legal Tribune Online, 12.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19976 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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