Ihr Autorennen durch das nächtliche Berlin kostete einen Mann das Leben. Am Donnerstag verhandelt der BGH darüber, ob er das Mord-Urteil gegen die Berliner Ku’Damm-Raser hält. Werden die Richter diese Büchse der Pandora öffnen?
Am Donnerstag wird der Bundesgerichtshof (BGH) über die beiden jungen Männer verhandeln, die vor knapp einem Jahr vom Landgericht (LG) Berlin wegen eines Autorennens zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Nur selten werden Entscheidungen aus Karlsruhe gleichermaßen in der Fachwelt wie von der interessierten Öffentlichkeit mit solcher Spannung erwartet.
In der Nacht zum 1. Februar 2016 hatten die beiden Beschuldigten, die der Berliner Autoraserszene angehören, sich ein spontanes Rennen geliefert. Mitten durch die Berliner Innenstadt, mit einem hoch motorisierten, schweren und sportlich bereiften Mercedes und einem Audi S6 sollen sie mit bis zu 170 Stundenkilometern mehrere rote Ampeln überfahren haben. Auf einer Kreuzung kurz vor dem Kaufhaus KaDeWe rammte der 28-jährige Angeklagte mit ca. 160 Stundenkilometern einen Jeep, der 72 Meter weit geschleudert wurde. Zeugen beschrieben die Situation nach der Kollision als ein "Bild der Verwüstung", ein Unfallsachverständiger sagte aus, dass er ein solches "Schlachtfeld" sonst nur bei Frontalunfällen auf Bundesstraßen oder Autobahnen gesehen habe. Der 69 Jahre alte Fahrer des Jeeps starb noch in seinem Auto.
Für die 35. Große Strafkammer des LG Berlin war das ein mittäterschaftlich begangener Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs (Urt. v. 27.02.2017, Az. 535 Ks 8/16). Seitdem fragen sich die Öffentlichkeit und die juristische Fachwelt: Ist dieses Urteil richtig?
Mittlerweile sind Autorennen strafbar
Ungewohnt einig ist man sich dabei in der Bewertung, dass die Konsequenzen, die das deutsche Recht im Februar 2016 für Autorennen vorsah, nicht ausreichen können. Der Fall hat mit dazu beigetragen, dass der Bundestag im Sommer 2017 die neue Vorschrift des § 315d Strafgesetzbuch (StGB) verabschiedete, die die Planung und Durchführung von sowie die Teilnahme an verbotenen Straßenrennen unter Strafe stellt. Wer dabei andere Menschen gefährdet, wird nun mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft, wer einen anderen Menschen tötet oder schwer verletzt oder viele Menschen verletzt, muss mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe rechnen.
Zum Tatzeitpunkt galt diese Norm noch nicht. Die Teilnahme an einem illegalen Autorennen war als Ordnungswidrigkeit nur mit einem Bußgeld bewehrt, eine fahrlässige Tötung muss nicht einmal mit einer Freiheitsstrafe enden und auch die mögliche Einziehung des Kfz sowie die in aller Regel bei einem Autorennen verwirklichten Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbestände konnten das kollektive Gefühl nicht verhindern: Das reichte nicht.
Aber eine lebenslange Freiheitsstrafe? Ein Mord? Mittäterschaftlich begangen, mit gemeingefährlichen Mitteln, mit bedingtem Vorsatz, so argumentierte das LG Berlin. Nun muss der 4. Strafsenat darüber entscheiden, ob die beiden Männer zumindest billigend in Kauf nahmen, andere zu töten.
LG Berlin: Auch Raser haben Menschenverstand
Selbstverständlich wussten die Beschuldigten, die beide im Straßenverkehr schon vielfach auffällig geworden waren, dass ihr Rennen jemanden das Leben kosten könnte.
Gänzlich abgelehnt hat das LG das Argument der Verteidiger, dass Angehörige der Raserszene grundsätzlich ausblendeten, welche Risiken ihr Verhalten habe. Nicht nur, weil jeder Mensch, auch wenn er zur Raserszene gehöre, seinen Verstand einsetzen könne, Lebenserfahrung gesammelt und seine Führerscheinprüfungen absolviert habe. Sondern auch, weil diese Argumentation darauf hinausliefe, bestimmte Personengruppen grundsätzlich nicht für bestimmte Taten belangen zu können.
Aber wollten die beiden Männer das auch? Kann man von Tötungsvorsatz sprechen und, wenn aus der Tötung mit dem Auto als gemeingefährliches Mittel* vielleicht gar zwingend ein Mord wird, damit unausweichlich eine lebenslange Freiheitsstrafe begründen?
Das LG Berlin gab sich viel Mühe mit der Begründung. Es verglich die Beschuldigten mit anderen Rasern, deren Verhalten für Dritte tödlich endete und die dennoch nur wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurden. Bei den beiden Berlinern habe es sich nicht um Einzeltäter, Heranwachsende und verkehrsrechtlich Unbelastete gehandelt, so die Berliner Richter zur Begründung. Zudem sei es dort um Geschwindigkeiten von (nur) unter bzw. um 100 km/h gegangen.
Vom Wissen aufs Wollen
Mit ihren schnellen und schweren Fahrzeugen seien die beiden Männer im Innenstadtbereich unterwegs gewesen, in dem auch nachts einiges los war. In die kreuzenden Querstraßen hätten sie kaum Einblick gehabt, während sie die zulässige Geschwindigkeit um mehr als das Dreifache überschritten, die Fahrzeuge "im Grenzbereich des technisch Machbaren" lenkten und dabei mehrfach rote Ampeln überfuhren, führte das LG aus. Bei und vor der Kollision versuchten sie nicht einmal zu bremsen.
"Sie hatten sich durch ihr Verhalten, insbesondere ihre Geschwindigkeit, jeglicher Reaktionsmöglichkeit beraubt, konnten keinerlei Vermeidungsverhalten mehr entfalten". Das 69-jährige Opfer, das bei grüner Ampel in die Kreuzung einfuhr, habe "nicht den Hauch einer Überlebenschance" gehabt.
Die beiden Männer hätten aus dem Streben gehandelt, zu gewinnen. Um Selbstbestätigung sei es ihnen gegangen und darum, die Stärke des eigenen Wagens zu zeigen. Dafür waren sie bereit, schwerste Folgen in Kauf zu nehmen, so die Richter. Es war ihnen einfach egal.
Unter Berufung auf die Rechtsprechung des BGH stellen sie darauf ab, dass Gleichgültigkeit gegenüber dieser Möglichkeit bei Tötungsdelikten genügen könne. Ganz besonders, wenn die Todesgefahr, die der Täter schafft, "groß und anschaulich" sei, genüge das, um vom Wissenselement des Vorsatzes auch auf das Wollenselement zu schließen, heißt es in dem Urteil.
Schreibt der BGH Rechtsgeschichte?
Es gibt jede Menge gute Argumente gegen die Annahme, dass, wer rast, billigend in Kauf nimmt, andere zu töten. Ganz besonders, wenn wie auf dem Ku'Damm auf dem Beifahrersitz eines der Autos die Freundin des Angeklagten sitzt.
Aber auch ganz unabhängig vom Einzelfall: Kann man jedem Raser im Straßenverkehr ernsthaft unterstellen, dass er sich selbst töten will? Kann man bei solchen Autofreaks davon ausgehen, dass sie auch nur eine Beschädigung ihrer geliebten Wagen billigend in Kauf nehmen? Wann sollte eigentlich bei einem spontanen Rennen, das an einer Ampel startet, ein – zudem: mittäterschaftlicher - Vorsatz gefasst werden? Wann könnte der Versuch beginnen, wie und wann wäre ein Rücktritt noch möglich?
Der BGH wird nicht klären, ob, wer an einem illegalen Autorennen teilnimmt, stets mit Tötungsvorsatz handelt. Der 4. Strafsenat hat nur über den Fall der beiden Berliner Raser zu entscheiden.
Es ist ein besonderes Urteil in einem besonderen Fall. Die Berliner Richter gaben sich große Mühe, das herauszuarbeiten. Sie betonten, dass ihr Urteil kein Präjudiz für andere Raserunfälle sei, die stets im Einzelfall bewertet werden müssten.
Wenn der BGH ihre Auffassung aber teilen würde, könnte er Strafrechtsgeschichte schreiben. Wenn er die Abgrenzung zwischen bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz, besonders den umstrittenen Schluss vom Wissen auf das Wollen neu definieren würde, könnte das über die Raserunfälle weit hinausgehen. So weit, dass die Karlsruher Richter sicherlich gut abwägen werden, ob es das wert ist, diese Büchse der Pandora zu öffnen. Schließlich ist die Strafbarkeitslücke, die es zum Zeitpunkt der Tat in Berlin noch gab, zwischenzeitlich durch § 315d StGB geschlossen*. Nach geltendem Recht könnten die beiden Männer bis zu 10 Jahre Freiheitsstrafe kassieren – und würden es ziemlich sicher auch. Dafür braucht es keinen Mord.
*Klarstellend eingefügt am 01.02.2018, 8:00 Uhr.
Pia Lorenz, BGH verhandelt Ku'Damm-Raser-Fall: . In: Legal Tribune Online, 31.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26811 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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