Der Internetkonzern muss Wortkombinationen aus seiner automatischen Vervollständigung löschen, wenn er erfährt, dass damit Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Das entschied der BGH am Dienstag. Bettina Wulffs Erfolgsaussichten in ihrem "Rotlicht"-Prozess gegen Google sind damit gestiegen. Allerdings wird sie sich nun wohl unangenehme Fragen stellen lassen müssen, meint Niko Härting.
Gewehrt hatte sich ein Unternehmer, der seinen Namen bei Google nicht in Verbindung mit Scientology gebracht sehen wollte. Bei der Eingabe seines Namens (R.S.) schlug die Autocomplete-Funktion von Google "R.S. Scientology" und "R.S. Betrug" zur Suche vor. Er forderte den Suchmaschinenbetreiber auf, dies zu unterlassen, und verlangt eine Entschädigung. Während die Klage in den ersten beiden Instanzen erfolglos blieb, gab der Bundesgerichtshof (BGH) dem Mann nun Recht.
Das Oberlandesgericht (OLG) Köln verneinte eine Persönlichkeitsverletzung. Bei einem "Autocomplete"-Vorschlag wisse der Nutzer der Suchmaschine, dass es sich um einen "computergesteuerten, automatischen Vorgang" handele und nicht um das Ergebnis einer "kognitiven intellektuellen Leistung" (Urt. v. 14.05.2012, Az. 15 U 199/11).
Nur Menschen könnten Persönlichkeitsrechte verletzen, nicht jedoch Computer, Automaten und Maschinen. Mit diesem auf den ersten Blick einleuchtenden Argument hat Google in Deutschland bislang alle Prozesse gewonnen, in denen es um die "Autocomplete-Funktion" ging. Der BGH sieht dies nun anders und bejaht einen "fassbaren Aussagegehalt" der Suchvorschläge (Urt. v. 14.05.2013, Az. VI ZR 269/12). Auf die Urteilsbegründung darf man in diesem Punkt besonders gespannt sein.
Algorithmen gehütet wie Staatsgeheimnisse
Google ist natürlich mehr als eine "Maschine". Seine Tools sind von Menschen gemacht. Die Suchergebnisse und Suchvorschläge werden von Algorithmen erzeugt, die durch Patente geschützt und streng geheim gehalten werden. Das kalifornische Unternehmen, das gerne Transparenz und Offenheit propagiert, ist äußerst schweigsam bei allen Fragen zu den Rechenformeln und hütet seine Algorithmen wie Staatsgeheimnisse.
Algorithmen sind komplexe Rechenformeln, erstellt von Experten, deren Bewertungen in die Ergebnisse einfließen. Je komplexer die Algorithmen werden, desto weniger wird erkennbar, welche Wertungen in die Formeln eingeflossen sind. Das ist ein ernsthaftes gesellschaftliches Problem.
Der Internet-Unternehmer Stephan Noller hat unlängst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf die Notwendigkeit einer "Algorithmen-Ethik" hingewiesen. Keiner weiß, ob Google bei seinen Suchvorschlägen eigene Produkte bevorzugt und andere diskriminiert. Als Nutzer vertrauen wir auf die "Neutralität" der Algorithmen, ohne beurteilen zu können, ob das gerechtfertigt ist.
Haftung bleibt überschaubar
Der Suchmaschinenbetreiber ist auch keineswegs damit überfordert, problematische Suchvorschläge zu verhindern. Bei urheberrechtlich relevanten Begriffen in der Vorschlagsliste kündigte der Google-Jurist Kent Walker nach Meldungen von Spiegel Online schon 2010 an, Begriffe zu blockieren, "die eng mit Piraterie verbunden sind". Und was bei "Piraterie" möglich ist, wird Google auch bei "R.S." und Bettina Wulff zumutbar sein.
Die Haftung, der sich Google jetzt ausgesetzt sieht, bleibt überschaubar. Der BGH knüpft an seine verschlungene Rechtsprechung zur Störerhaftung an. Google ist danach für Suchvorschläge nur verantwortlich, wenn das Unternehmen Kenntnis davon erlangt, dass Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Es wird nicht dazu verpflichtet, präventiv alle Suchvorschläge auf mögliche Rechtsverletzungen hin zu überprüfen.
Der Fall Bettina Wulff
Der Fall "R.S." ist damit noch nicht zu Ende. Die Karlsruher Richter haben den Rechtsstreit an das OLG Köln zurückverwiesen, das nun feststellen muss, ob Google Prüfungspflichten verletzt hat. Das wird womöglich nicht der Fall sein, da das Unternehmen behauptet, erst aufgrund der Zustellung der einstweiligen Verfügung von den umstrittenen Suchvorschlägen erfahren zu haben. Zu diesem Zeitpunkt seien die Vorschläge jedoch schon "entfernt" gewesen. Wenn "R.S." nicht das Gegenteil beweisen kann, wird ihm der Erfolg vor dem BGH im Ergebnis nichts nutzen.
Und eine weitere Hürde kommt hinzu: Das OLG Köln wird auch prüfen müssen, ob "R.S." tatsächlich weder Betrüger noch Scientologe ist, denn nur dann wären die Suchvorschläge ja unwahr und würden ihn in seinen Persönlichkeitsrechten verletzen.
Was heißt dies nun für den Fall der Bettina Wulff? Die Ex-Präsidentengattin wird sich darüber freuen, dass der BGH eine Haftung von Google grundsätzlich bejaht hat. Damit hat sie ihren Prozess jedoch noch nicht gewonnen, der bis zur Entscheidung aus Karlsruhe ausgesetzt worden war. Vielmehr wird es auf die pikante Frage ankommen, ob es sich bei den "Rotlichtgerüchten" tatsächlich nur um Gerüchte handelt.
Der Autor Professor Niko Härting ist Partner bei HÄRTING Rechtsanwälte in Berlin, Lehrbeauftragter und Honorarprofessor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR Berlin) sowie Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin.
Niko Härting, BGH zur Autocomplete-Funktion: . In: Legal Tribune Online, 14.05.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8721 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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