Wenn jemand völlig einsam stirbt, tritt der Staat in die Erbenstellung ein. Für Schulden haftet dieser dann aber nur begrenzt, entschied nun der BGH. Dominik Schüller zu einer lang erwarteten Antwort auf eine spannende Frage.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am Freitag eine bislang offene Frage zur staatlichen Haftung bei Erbschaften des Staates nach § 1936 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geklärt. Gibt es keine anderen gesetzlichen Erben und tritt daher der Staat (Fiskus) in die Erbenstellung ein, ist die Haftung für nach dem Tod des Erblassers fällig gewordene Wohngelder auf das Nachlassvermögen beschränkt. Eine Haftung mit dem gesamten Staatsvermögen des erbenden Bundeslandes besteht nicht (Urt. v. 14.12.2018, Az. V ZR 309/17).
Grundsätzlich ist das deutsche Erbrecht so konzipiert, dass jeder Erblasser gesetzliche Erben hinterlässt. Gibt es keine nahen Angehörige, erben auch sehr weit entfernte Verwandte. Das BGB begrenzt die Entfernung nicht. Denn in § 1929 Abs. 1 heißt es: "Gesetzliche Erben der fünften Ordnung und der ferneren Ordnungen sind die entfernteren Voreltern des Erblassers und deren Abkömmlinge." Im Prinzip ist jeder Mensch über irgendeine weit entfernte Kette miteinander verwandt.
In der Praxis lassen sich jedoch häufig schon Angehörige ab dem der vierten Ordnung nur noch sehr schwierig und mit unverhältnismäßigem Aufwand ermitteln. Daher sieht das BGB aus praktischen Gründen in § 1936 BGB vor, dass bei Nichtvorhandensein eines gesetzlichen Erben (oder wenn dieser die Erbschaft ausschlägt) das Bundesland des letzten Wohnsitzes als Erbe eintritt (Fiskuserbrecht). Dieses kann das Erbe hingegen nicht mehr ausschlagen. So auch im Fall eines offenbar einsam verstorbenen Deutschen.
Der Todesfall eines Sachsen
Eine Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) hatte drei Anerkenntnisurteile gegen das Land Sachsen als Erbin des Mannes über rückständige Wohngelder erwirkt. Hierin war jedoch die beschränkte Erbenhaftung vorbehalten worden. Aus diesen Titeln hat die WEG sodann die Zwangsvollstreckung in das Landesvermögen betrieben. Das Land wollte das nicht akzeptieren und erhob hiergegen die sogenannte Dürftigkeitseinrede nach § 1990 Abs. 1 BGB im Rahmen der Zwangsvollstreckungsgegenklage. Das Amtsgericht hatte die Zwangsvollstreckung noch für unzulässig erklärt – soweit das nicht zum Nachlass gehörende Vermögen betroffen war. Das Landgericht hingegen sah die Sache anders und so gelangte der Fall vor dem BGH.
Der Erbrechtssenat des BGH hat die Rechtslage nun grundsätzlich zugunsten des klagenden Landes entschieden und damit eine Fiskushaftung mit dem Eigenvermögen verneint. Wohngeldschulden des Erblassers und solche, die später entstehen, sind nach Auffassung des Senats keine Eigenverbindlichkeiten des Erben nach § 1936 BGB. Dies sieht der BGH allerdings bei allen sonstigen gesetzlichen Erben anders: Diese haften nämlich grundsätzlich für Wohngelder (und andere vergleichbare Forderungen) nach Erbschaftsannahme – und zwar auch mit dem eigenen Vermögen.
Im Gegensatz zum Land habe der Erbe allerdings die Möglichkeit, sich innerhalb eines Zeitraumes von sechs Wochen zu entscheiden, ob er die Erbschaft annimmt (und damit auch haftet) oder das Erbe ausschlägt, so der BGH. Diese Möglichkeit sieht das Gesetz für den Staat als gesetzlichen Erben nicht vor. Insofern halten die Karlsruher* Richter eine Privilegierung zugunsten des Staates für angebracht.
BGH: "Herrenlose" Nachlässe müssen abgewickelt werden
Die Richter argumentieren insbesondere mit dem Sinn und Zweck des § 1936. So solle das Fiskuserbrecht vorrangig "herrenlose" Nachlässe vermeiden. Der Staat sorge so regelmäßig nur für eine ordnungsgemäße Nachlassabwicklung. Solange er hierüber nicht hinausgeht (z.B. durch Eigennutzung einer Immobilie), sei eine Eigenhaftung nicht gerechtfertigt.
Ein Nachteil für die Wohnungseigentümergemeinschaft bestehe ebenso nicht, denn die könne die Zwangsversteigerung anstreben, während sie gleichzeitig für Wohngeldansprüche durch § 10 Abs. 1 Nr. 2 Gesetz über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung (ZVG) – zumindest für einen Teil der Forderungen – bevorrechtigt gegenüber anderen Gläubigern sei.
Das Landgericht wird unter dieser Prämisse nun zu ermitteln und zu entscheiden haben, ob der Nachlass tatsächlich nach § 1990 Abs. 1 BGB dürftig ist.
Der Autor Dominik Schüller ist Notar, Rechtsanwalt & Fachanwalt für Erbrecht, Miet- und Wohnungseigentumsrecht in der Kanzlei SAWAL & SCHÜLLER in Berlin und twittert regelmäßig zu immobilienrechtlichen Fragen (@ra_schueller).
*Klargestellt am Tag der Veröffentlichung, 12.20 Uhr.
BGH zur Fiskushaftung: . In: Legal Tribune Online, 15.12.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32761 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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