Die Störerhaftung führte lange dazu, dass der Betrieb ungesicherter W-LANs mit Kostenrisiken verbunden war. Damit könnte es nach einem Urteil des BGH vorbei sein. Oder nicht? Für Paetrick Sakowski bleiben wichtige Fragen ungelöst.
Zwei Anläufe hat der deutsche Gesetzgeber genommen, um die von ihm als maßgebliches Hindernis für den Ausbau frei zugänglicher W-LANs in Deutschland identifizierte Störerhaftung zu beseitigen. In Folge des ersten, untauglich gebliebenen Versuchs wurden WLAN Betreiber von befassten Gerichten weiterhin zu Unterlassung und Erstattung der Abmahnkosten verurteilt, wenn über ihre Anschlüsse Urheberrechte Dritter verletzt wurden, beispielsweise durch das Verbreiten von Filmen, Musikstücken oder Computerspielen. Nach der zweiten Änderung maßgeblicher Vorschriften des Telemediengesetzes (TMG) haben sich die Fronten nunmehr verschoben, wie das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Donnerstag zeigt (Urt.v. 26.07.2018, Az.I ZR 64/17).
Hintergrund des vom BGH entschiedenen Falles ist der Betrieb eines frei zugänglichen, nicht passwortgeschützten W-LANs sowie eines Zugangspunkts zum anonymen Tor-Netz (Tor-Exit-Node) durch den Beklagten. Über den Anschluss wurde ein Computerspiel zum Herunterladen angeboten. Die Klägerin ist berechtigt, die Urheberrechte an diesem Computerspiel geltend zu machen. Das OLG Düsseldorf als Vorinstanz hatte den Beklagten vor Inkrafttreten des dritten Gesetzes zur Änderung des TMG noch zur Erstattung der Abmahnkosten sowie dazu verurteilt, Dritte daran zu hindern, der Öffentlichkeit mittels seines Internetanschlusses das betreffende Computerspiel oder Teile davon über eine Internettauschbörse zur Verfügung zu stellen. Auf Basis des alten TMG eine nach etablierter Rechtsprechung korrekte Entscheidung: Der Anschlussinhaber hatte gegen ihm zumutbare Sicherungspflichten verstoßen (Zugangssicherung für das W-LAN, Blockierung von Tauschbörsen) und haftete daher als Störer. Der BGH änderte dieses Urteil im Hinblick auf die neue Rechtslage ab.
Im Hinblick auf die Abmahnkosten bestätigte der BGH die Entscheidung des OLG Düsseldorf, da insoweit noch nach altem Recht entschieden worden war. Für den Unterlassungsanspruch stellt sich die Lage jedoch anders dar. Dieser wirkt in die Zukunft und muss daher nach dem zur Zeit der Revisionsentscheidung maßgeblichen Recht beurteilt werden. Der seit dem 13. Oktober 2017 geltende § 8 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Abs. 3 TMG nF sieht ausdrücklich vor, dass ein Unterlassungsanspruch gegen einen W-LAN Betreiber wegen einer durch Netznutzer begangenen Rechtsverletzung nicht besteht. Die Vereinbarkeit der Regelung mit Unionsrecht einmal unterstellt, ergibt sich die Entscheidung des BGH insoweit aus der schlichten Anwendung des neuen Rechts. Ebenso hatte bereits das OLG München in Fortsetzung der Rechtssache McFadden entschieden (Urt.v. 15.03.2018, Az. 6 U 1741/17).
(Noch) keine Vorlage an den EuGH
Der BGH hat davon abgesehen, dem EuGH im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens die Frage vorzulegen, ob die Einschränkungen bei der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums europarechtskonform sind. § 8 Abs. 1 S. 2 TMG nF, der den Rechteinhabern im Falle vor allem den Anspruch auf Unterlassung sowie auf Erstattung von Abmahnkosten nimmt, sei europarechtskonform. Zwar gäbe es im europäischen Sekundärrecht Vorschriften, welche die Mitgliedsstaaten dazu verpflichten, gerichtliche Maßnahmen zu Gunsten der Rechteinhaber vorzusehen (Art. 8 Abs. 3 Richtlinie 2001/29/EG und Art. 11 Satz 3 Richtlinie 2004/48/EG).
Der durch § 8 Abs. 1 S. 2 TMG nF entstandenen Rechtsschutzlücke hilft der BGH jedoch durch eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung nach: § 7 Abs. 4 TMG, dessen Anwendbarkeit auf W-LAN Betreiber dem Wortlaut nach zumindest zweifelhaft ist, soll auch auf W-LAN Betreiber anzuwenden sein. Damit können Rechteinhaber auch von ihnen eine "Sperrung der Nutzung von Informationen" verlangen. Bei Geltendmachung dieses Anspruchs besteht allerdings – außer wenn sich der Betreiber absichtlich an einer Rechtsverletzung beteiligt – kein Anspruch der Rechteinhaber auf Erstattung außergerichtlicher oder gerichtlicher Kosten. Eine in der deutschen Zivilrechtsordnung nahezu singuläre Regelung, die insbesondere eine Ausnahme von den Kostenverteilungsregelungen nach der Zivilprozessordnung (ZPO) darstellt.
Nicht entscheiden musste der BGH darüber, ob unionsrechtliche Zweifel am Ausschluss des Kostenerstattungsanspruchs bestehen. Da insoweit noch nach Altrecht zu entscheiden war und die Kosten entsprechend dem Rechteinhaber zuzusprechen waren, bestand für diese Frage keine Entscheidungserheblichkeit. Auch zu einer etwaigen Unionsrechtswidrigkeit des § 7 Abs. 4 TMG musste sich der BGH noch nicht äußern, da über dessen Anwendung zunächst erneut das OLG Düsseldorf entscheiden muss.
Netzsperren als verkappte Störerhaftung?
Eine wichtige Anschlussfrage, die sich nach dem Urteil des BGH stellt, ist, welche Maßnahmen in Anwendung des § 7 Abs. 4 TMG für den W-LAN Betreiber angemessen und verhältnismäßig sind.
In der Pressemitteilung des BGH heißt es sehr weitgehend, der Anspruch auf Sperrmaßnahmen könne "auch die Pflicht zur Registrierung von Nutzern, zur Verschlüsselung des Zugangs mit einem Passwort oder – im äußersten Fall – zur vollständigen Sperrung des Zugangs umfassen". Damit wäre jedoch genau der Zustand wiederhergestellt, den der Gesetzgeber eigentlich vermeiden wollte: W-LAN Betreiber wären auf diesem Wege doch verpflichtet, technische Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen, die zugangsbeschränkend wirken. Da § 7 Abs. 4 TMG technikoffen formuliert ist, wird alles davon abhängen, welche Sperrmaßnahmen Gerichte im Einzelfall genügen lassen, um den Anspruch der Rechteinhaber zu erfüllen.
Da auch die Sorgfaltspflichten der alten Störerhaftung bereits technikoffen ausgestaltet waren, besteht jedoch, gerade angesichts der Formulierung des BGH, die Gefahr, dass schlicht alter Wein in neue Schläuche gegossen wird. Vorteil für den W-LAN Betreiber gegenüber der alten Rechtslage bliebe, dass er keine Kosten erstatten müsste, die dem Rechteinhaber bei der außergerichtlichen oder gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs nach § 7 Abs. 4 TMG entstehen. Dass dies nicht ganz im Sinne des Gesetzgebers war, zeigt § 8 Abs. 4 TMG, nach dem "eine Behörde" von Diensteanbietern weder Zugangsbeschränkungen durch Passwörter oder Registrierungen noch die Einstellung des Dienstes verlangen kann. Gerichte sind von dieser Vorschrift jedoch nicht erfasst.
Wichtige Fragen bleiben ungelöst
Aus der Gesetzesbegründung wird allerdings ersichtlich, dass der Gesetzgeber im Rahmen von § 7 Abs. 4 TMG die Sperrung bestimmter Inhalte und nicht die Aussperrung von Nutzern im Sinn hatte. In Betracht käme zum Beispiel, so die Begründung, die Sperrung bestimmter Ports am Router oder URL-Sperren. Kritiker der Regelung haben vor allem eingewandt, dass es durch weitflächige Sperren zu einer umfassenden Blockierung legaler Inhalte kommen könne ("Overblocking").
Auch nach der aktuellen Entscheidung des BGH sind damit weiterhin wichtige Fragen ungelöst. Für W-LAN Betreiber besteht derzeit allerdings nicht die Gefahr, kostenpflichtig abgemahnt zu werden. Sie sollten sich jedoch Gedanken über eine effektive Sperrung besonders von Tauschbörsen machen und diese nach Möglichkeit bereits prophylaktisch umsetzen.
Paetrick Sakowski ist Rechtsanwalt bei CMS in Deutschland am Standort Düsseldorf. Er berät Unternehmen bei allen Fragen des geistigen Eigentums sowie im Datenschutzrecht.
BGH zur Störerhaftung: . In: Legal Tribune Online, 26.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30005 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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