BGH zur Befangenheit in Berufungsinstanz: Richter darf nicht über Urteile seiner Frau ent­scheiden

von Martin W. Huff

13.03.2023

Wenn ein Berufungsrichter mit der Einzelrichterin der Vorinstanz verheiratet ist, ist er befangen. Der BGH erweitert dies auf die Mitwirkung an einstimmigen Entscheidungen – und deutet an, noch strenger zu werden, schreibt Martin W. Huff

Es kommt in der Justiz gar nicht so selten vor, dass Richter verschiedener Instanzen miteinander verheiratet bzw. verpartnert sind. Schwierig wird dies, wenn der eine Ehepartner an einer Entscheidung mitgewirkt hat, über die der andere Ehepartner dann in der nächsten Instanz entscheidet. Sorgt diese Verknüpfung schon für den "bösen Schein" der Befangenheit im Sinne des § 42 Abs. 2 ZPO?  

Bislang war der Bundesgerichtshof (BGH) hier eher großzügig und hat eine Befangenheit ohne konkrete Anhaltspunkte im Regelfall nicht gesehen. Jetzt scheint er seine Auffassung zu überdenken, wie aus einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss (Beschl. v. 09.02.2023, Az. I ZR 142/22) hervorgeht. 

BGH: Ehe allein reicht nicht für Befangenheit … 

Nach § 42 Abs. 2 ZPO wird ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Das setzte nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte für eine Befangenheit voraus. Der BGH vertrat die Auffassung, dass eine generalisierende, allein auf die Tatsache der ehelichen Verhältnisse abstellende Betrachtung auf dem Umweg über die Befangenheitsvorschrift des § 42 ZPO zu einer Erweiterung der Ausschlussgründe des § 41 ZPO führen könnte.  

Nach § 41 Nr. 2 und 2a führt der Sachverhalt der Ehe (bzw. gleichgestellt der Lebenspartnerschaft) faktisch immer zu einem Ausschuss von einem Verfahren. Dies sei aber mit dem Grundsatz des gesetzlichen Richters schwer zu vereinbaren. Diese Linie ist beim BGH seit langem anerkannt (siehe nur BGH, Urt. v. 17.03.2008, Az. II ZR 313/06). Die Literatur hingegen äußerte deutliche Kritik, weil auch bei Ehegatten der "böse Schein" der Befangenheit bestehe und daher eine Befangenheit vorliege.   

… außer, der Partner war Einzelrichter in der Vorinstanz 

Eine Ausnahme hatte der BGH bisher nur für den Fall gesehen, dass in der Vorinstanz der Partner als Einzelrichter entschieden hatte (BGH, Urt. v. 27.02.2020, Az. III ZB 61/19). Denn damit könne aufgrund des "ehelichen Näheverhältnisses" bei den Parteien der Eindruck der Befangenheit entstehen. Dies sei etwas anderes als die Mitwirkung in einem Kollegialorgan.  

Der am Donnerstag veröffentlichte Beschluss hat Bedeutung über den Einzelfall hinaus. Der BGH formuliert nämlich: "Vorliegend muss nicht entschieden werden, ob an dieser Rechtsprechung uneingeschränkt festgehalten werden kann", erweitert seine Rechtsprechung zum Einzelrichter dann aber doch.  

BGH: Notwendige Einstimmigkeit wie Entscheidung als Einzelrichter zu behandeln 

In dem zugrundeliegenden Fall ging es um eine Richterin am Oberlandesgericht (OLG) Hamburg, die mit einem Richter am I. Zivilsenat des BGH verheiratet ist. In einem Berufungsverfahren vor dem OLG wies der Senat – unter Beteiligung der Richterin – die Berufung einstimmig gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurück. Dagegen legte die unterlegene Partei Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH ein.  

Nach der Geschäftsverteilung des I. Zivilsenats wäre der Ehemann mit anderen Richtern zuständig für die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde. Der betroffene Richter beim BGH hat sich selbst als befangen angesehen und dies wurde auch den Parteien mitgeteilt. Sowohl Klägerin als auch die Beklagte sahen die Tatsache der Befangenheit allein wegen des "bösen Scheins" als gegeben an. 

Der BGH gab nun dem Antrag des Richters statt. Er stützt dies im Wesentlichen darauf, dass der Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO nur einstimmig ergehen kann, so also deutlich sei, welche Auffassung die Richterin am OLG vertreten habe. Damit sei der Fall genauso wie der Fall des Einzelrichters zu sehen, so dass im Streitfall ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters am BGH rechtfertigen.  

BGH ruft gemeinsamen Senat nicht an 

Der BGH sieht auch keine Notwendigkeit, den gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes gem. § 2 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (Beschl. v. 18.3.2013, Az. B 14 AS 70/12 R) anzurufen. Anders als der BGH sieht das BSG die Mitwirkung des Ehepartners an der Instanz der Vorentscheidung immer als Ausschlussgrund an. So könne immer der Eindruck entstehen, dass eine Entscheidung, an der der Ehepartner mitgewirkt hat, wohlwollend behandelt wird.  

Wenn die unterschiedlichen Auffassungen der Bundesgerichte im zu entscheidenden Fall zum gleichen Ergebnis führten, liege keine Abweichung von der Auffassung eines anderen Bundesgerichts vor, so der BGH. 

Im konkreten Fall sei auch nach Ansicht des BGH das Ablehnungsgesuch begründet. Der BGH lässt offen, ob er grundsätzlich von seiner Linie abweichen will, dies scheint aber wohl der Weg zu sein, den er gehen will, denn ansonsten müsste er in einem der nächsten Fälle doch den gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes anrufen. 

BGH sollte sich der Rechtsprechung des BSG anschließen 

Es ist zu hoffen, dass der BGH sich auf Dauer der Rechtsprechung des BSG anschließt. Dass er dies nicht schon in diesem Fall getan hat, ist bedauerlich. Denn bereits die Tatsache der Ehe bzw. einer Lebenspartnerschaft erweckt den "bösen Schein" der Befangenheit. Dazu ist die Nähe, bei aller Professionalität der Richter, einfach zu groß.  

Das BSG (Beschl. v. 18.3.2013, Az. B 14 AS 70/12 R) hatte Befangenheit damit begründet, dass "angesichts der Komplexität der Verfahren und der Intensität, mit der sich die für die Entscheidung zuständigen Richter mit dem vorinstanzlichen Urteil auseinandersetzen" müssen, aber dabei auf ein Bundesgericht abgestellt. Dieser Gedanke ist auf jede Instanz zu übertragen.  

Aufgrund dieses Beschlusses sollten Richter in der nächsten Instanz genau überlegen, ob sie sich nicht selbst ablehnen, wenn ihr Partner – in welcher Form auch immer – an der Entscheidung der Vorinstanz beteiligt war. Denn dadurch wird jeder falsche Eindruck vermieden. Dies steht auch der Richterschaft insgesamt gut an, wenn hier für Klarheit gesorgt wird.  

Zitiervorschlag

BGH zur Befangenheit in Berufungsinstanz: . In: Legal Tribune Online, 13.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51285 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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