Das BAMF hat mit seinen Außenstellen eine dezentrale Behördenstruktur geschaffen. Das löst vor dem Hintergrund der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung verfassungsrechtliche Bedenken aus, meinen Lennart Laude und Hendrik Jürgensen.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat sog. Außenstellen verteilt auf das Bundesgebiet errichtet. Rechtsgrundlage dafür ist § 5 Abs. 3 Asylgesetz (AsylG). Danach soll der Leiter des Bundesamtes bei jeder Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber mit mindestens 1000 dauerhaften Unterbringungsplätzen in Abstimmung mit dem Land eine Außenstelle einrichten. Von dieser Befugnis hat das BAMF vielfach Gebrauch gemacht. So sind aktuell 35 Außenstellen in Betrieb; somit ist das BAMF laut eigener Homepage "über seine dezentrale Struktur […] in ganz Deutschland präsent".
Diesen BAMF-Außenstellen kommt nach den Regelungen des AsylG eine wesentliche Rolle im Asylverfahren zu. So muss ein Ausländer, der in einer Aufnahmeeinrichtung aufgenommen ist, dort persönlich erscheinen, um einen Asylantrag zu stellen, § 23 Abs. 1 AsylG. Demgegenüber müssen etwa Minderjährige, Gefängnisinsassen oder Ausländer im stationären Krankenhausaufenthalt den förmlichen Asylantrag direkt beim Bundesamt stellen, § 14 Abs. 2 AsylG, welches dann gem. § 14 Abs. 2 Satz 3 AsylG die zuständige Außenstelle bestimmt.
Diese Systematik zeigt, dass der Gesetzgeber im AsylG eine Abgrenzung zwischen der Antragstellung bei einer Außenstelle und der Zentrale des BAMF getroffen hat und den Außenstellen eigene, von der Zentrale des BAMF abgegrenzte Zuständigkeiten zukommen. Diese bestehen auch beim Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 33 Abs. 5 Satz 3 AsylG) und für Folgeanträge (§ 71 Abs. 2 Satz 1 AsylG) fort. Doch entspricht diese dezentrale Organisationsstruktur den verfassungsrechtlichen Vorgaben? Das wäre nur dann der Fall, wenn es für die Einrichtung der Außenstellen auch eine Rechtsgrundlage im Grundgesetz gäbe. Und die gibt es nicht.
Außenstellen für bundeseigene Behörde?
Zunächst einmal sind für die Ausführung der Bundesgesetze die Länder in eigener Angelegenheit zuständig, soweit das Grundgesetz (GG) nichts anderes bestimmt oder zulässt, Art. 83 GG. Eine solche Ausnahme existiert für die in Art. 87 ff. GG abschließend normierten Verwaltungsaufgaben, die durch bundeseigene Behörden wahrzunehmen sind. Der Bereich des Asyl- und Aufenthaltsrechts ist hier nicht erfasst.
Dabei verdeutlichen die nachträglich eingefügten Art. 87a-f GG zu Bundeswehr- oder Luftverkehrsverwaltung sowie die Gemeinschaftsaufgaben in Art. 91a-e GG, dass für bestimmte Verwaltungsaufgaben auch nachträglich Kompetenzen geschaffen werden können, was für den Bereich des Aufenthalts- und Asylrechts allerdings nicht passiert ist.
Asylrecht als zentral zu erfüllende Aufgabe?
Eine weitere Ausnahme von dieser Kompetenzverteilung ermöglicht die Öffnungsklausel des Art. 87 Abs. 3 GG. Nach Satz 1 können selbstständige Bundesoberbehörden, neue bundesunmittelbare Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts geschaffen werden. Diese Stellen der Bundesverwaltung können allerdings nur für Aufgaben errichtet werden, die zentral erfüllt werden müssen. Dies ist für den Bereich des Asylverfahrensrechts mehr als zweifelhaft.
Denn eine Verwaltungsaufgabe ist nicht mehr zentral erfüllbar, wenn sie nach ihren typischen Merkmalen regional zuständige (Mittel- und Unter-) Behörden verlangt. Es ist schwer vorstellbar, dass die Vielzahl der Asylanträge der Jahre 2015 und 2016 von einer zentral zuständigen Behörde ohne regionalen Mittel- und Unterbau hätte bewältigt werden können; gerade die Schaffung von Außenstellen in allen Ländern verdeutlicht dies.
Vielmehr legt die Annahme einer dezentral – also grundsätzlich durch Landesbehörden – zu erfüllenden Aufgabe auch die Regelung in § 52 Nr. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nahe; nach Satz 3 ist als Ausnahme für Streitigkeiten nach dem AsylG das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Ausländer Aufenthalt zu nehmen hat. Der Gesetzgeber sah sich offenbar angesichts des Umstands, dass alle Ausländer in Asylstreitigkeiten zum VG Ansbach hätten reisen müssen, zu einer bereichsspezifischen Ausnahme veranlasst.
Viel Arbeit, aber keine "neue" Aufgabe
Als verfassungsrechtliche Grundlage für die Errichtung der Außenstellen verbleibt somit nur noch Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG. Danach ist dem Bund die Errichtung bundeseigener Mittel- und Unterbehörden möglich, wenn ihm auf Gebieten mit eigener Gesetzgebungszuständigkeit "neue" Aufgaben erwachsen. Somit wird – im Gegensatz zu Satz 1 – eine gestufte bundeseigene Verwaltungsorganisation eröffnet.
Allerdings ist die Voraussetzung "neuer" Aufgaben restriktiv zu interpretieren und erfasst nach der herrschenden Meinung in der Literatur nur solche Aufgaben, die zeitlich nach Inkrafttreten des Grundgesetzes entstanden sind. Schon dies gilt für die Durchführung von Asylverfahren sowie das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer insgesamt nicht.
Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung weist Bedenken gegen die Rechtsgrundlage der Außenstellen eher pauschal mit dem Argument zurück, die Außenstellen seien organisatorisch unselbständig und es fehle an einer eigenen Entscheidungszuständigkeit (etwa OVG NRW, Urt. v. 17.12.1993, Az. 19 A 2772/93.A; OVG Bremen, Beschl. v. 10.08.1993, Az. 2 B 44/93). Doch diese Sichtweise kann nicht überzeugen: Die Asylverfahren werden nach der Konzeption der §§ 14 und 23 AsylG ausschließlich in den Außenstellen des BAMF durchgeführt und entschieden. Zudem wird auf Asylbescheiden immer die entscheidende Außenstelle benannt; diese wirken also als regionale Einheit des BAMF selbstständig wahrnehmbar gegenüber dem Ausländer. Da das AsylG zwischen Außenstellen und Zentrale unterscheidet, wirkt die Konstruktion des BAMF als einheitlich entscheidendes Bundesamt eher gekünstelt.
Die Außenstellen bilden eine vom Sitz der Bundesoberbehörde räumlich getrennte Einheit mit eigenen Personal- und Sachmitteln und nehmen in deren Sachbereich Verwaltungsaufgaben wahr. Angesichts dieser Überschneidungen liegt ein Verwaltungsunterbau vor, der nur unter den Voraussetzungen des Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG zulässig wäre – und diese sind nicht gegeben.
Selbst wenn man mit einer anderen Argumentation davon ausgeht, dass die Außenstellen des BAMF wegen der fehlenden Behördeneigenschaft nicht unmittelbar gegen Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG verstoßen, ist zu beachten, dass durch die territoriale Aufteilung der BAMF-Außenstellen eine Bundesverwaltung geschaffen worden ist, die in ihrem Wesen einem gestuften Verwaltungsaufbau entspricht. Die Norm soll die Länder aber gerade vor der Umgehung des Grundsatzes der Länderzuständigkeit schützen – die Schaffung der BAMF-Außenstellen stellt somit jedenfalls eine verfassungswidrige Umgehung des Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG bzw. der Art. 87 Abs. 3 Satz 1 und 2 immanenten Regelungsphilosophie dar.
Rechtswidrigkeit von Asylbescheiden?
Ob die Regelungen des AsylG über die Einrichtung und die Aufgaben der Außenstellen noch verfassungskonform ausgelegt werden können, erscheint damit zweifelhaft. Will man sie verfassungskonform so interpretieren, dass die Außenstellen keine an Entscheidungen beteiligten Behörden darstellen dürfen (sog. "Sammelstellen"), führt die aktuelle Entscheidungspraxis dazu, dass ein in der Außenstelle des BAMF entschiedener Asylantrag wegen Unzuständigkeit formell rechtswidrig wäre. Käme ein Verwaltungsgericht bei seiner Prüfung zur Verfassungswidrigkeit der Regelungen des AsylG, müsste es gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG das Verfahren aussetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen.
Politisch hat der Bund die Möglichkeit, durch Grundgesetzänderung mit (wohl zu erwartender) Zustimmung des Bundesrats gem. Art. 79 Abs. 2 GG einen Kompetenztitel für die Arbeit der Außenstellen zu schaffen. So aber ist die aktuelle Entscheidungspraxis verfassungswidrig.
Die Autoren Lennart Laude und Hendrik Jürgensen sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. Florian Becker, LL.M. an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Die Darstellung beruht auf einem Aufsatz der Verfasser in der Zeitschrift "Die öffentliche Verwaltung", Heft 12/2019, S. 468 – 478.
Dezentrale Struktur widerspricht Grundgesetz: . In: Legal Tribune Online, 26.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36087 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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