Die Staatsanwaltschaft hat Fußball-Profi Bakery Jatta vom HSV wegen Identitätstäuschung und Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz angeklagt. Welche Konsequenzen eine Verurteilung für den Zweitligisten haben könnte, beschreibt Helmut Grothe.
Der Hamburger SV hat ein Problem: Er könnte seine nächsten Zweitligaspiele allesamt gewinnen und trotzdem wieder jedes einzelne dieser Spiele am grünen Tisch mit 0:2 verlieren. Seit die Hamburger Staatsanwaltschaft gegen den HSV-Profi Bakery Jatta vergangenen Montag wegen Identitätstäuschung und damit vor allem wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz Anklage erhoben hat, kann der norddeutsche Traditionsclub den Spieler nicht mehr risikolos einsetzen.
Es ist ein klassisches Déja vu: Bereits zu Beginn der Saison 2019/2020 kamen Gerüchte auf, Bakery Jatta, der 2015 aus seinem Heimatland Gambia nach Deutschland eingereist war, habe über seine Identität, sein Alter und seinen sportlichen Hintergrund getäuscht. In Wahrheit heiße er Bakary Daffeh, sei bei seiner Einreise nicht minderjährig, sondern bereits volljährig gewesen und habe bereits bei mehreren afrikanischen Fußballvereinen gespielt. Die Zweitliga-Clubs aus Bochum, Nürnberg und Karlsruhe, die ihre Spiele gegen den HSV allesamt verloren hatten, erhoben daraufhin Einspruch gegen die Spielwertung. Beweisen ließen sich die Vorwürfe gegen Jatta allerdings nie, und in der Folge zogen die drei Clubs ihre Einsprüche wieder zurück. Die DFB-Sportgerichtsbarkeit musste sich mit der Angelegenheit nie beschäftigen. Das mag sich künftig ändern. Denn Pressespekulationen über die persönlichen Hintergründe eines Spielers sind eine Sache, die zur Anklageerhebung gediehene staatsanwaltschaftliche Ermittlung eine andere.
Die Sache mit der Spielberechtigung
Für den HSV kreist jetzt alles um den Begriff der "Spielberechtigungsliste". Das DFB-Reglement wertet es ausdrücklich als Einspruchsgrund, wenn ein Spieler in einer Partie zum Einsatz gelangt, der nicht auf dieser, von der DFL herausgegebenen Liste der Lizenzmannschaft aufgeführt ist. Um auf sie zu gelangen, müssen Spieler aus dem EU-Ausland u.a. einen gültigen Aufenthaltstitel vorweisen. Entfällt der Aufenthaltstitel später, kann dem Spieler die Spielerlaubnis wieder entzogen werden.
Sollten sich die Vorwürfe gegen Jatta bewahrheiten, würde er im Gefolge einer strafrechtlichen Verurteilung wohl Aufenthaltserlaubnis und Spielberechtigung einbüßen. Dass er dann für künftige HSV-Spiele nicht eingesetzt werden dürfte, liegt auf der Hand. Was aber wären die Auswirkungen auf Spiele, in denen Jatta vor Urteilsverkündung auf dem Platz gestanden hätte – wie etwa vergangenen Spieltag beim 3:0 Heimsieg gegen Hansa Rostock? Da das Amtsgericht Hamburg-Altona einige Zeit bis zur Urteilsfindung brauchen wird, hat die Risikoabwägung für den HSV auch eine zeitliche Dimension.
Auf dem Platz und auf der Liste
Im Zuge der Anfechtung eines Spielergebnisses könnte der einspruchsführende Club einfach zu argumentieren versuchen, dass auf der Spielberechtigungsliste Bakery Jatta, auf dem Platz hingegen Bakary Daffeh gestanden habe. Eine Divergenz zwischen Namensträger (Bakery Jatta, der nicht eingesetzt worden wäre) und der konkreten Person, die gespielt hat (Bakary Daffeh dessen Namen sich nicht auf der Liste befunden hätte), besteht jedoch nur scheinbar. Nicht anders als beim Arbeitsvertrag zwischen HSV und Spieler und beim Lizenzvertrag zwischen DFL und Spieler kommt es nicht auf den Namensträger an, sondern auf den Handelnden. Wenn die Verträge mit dem tatsächlich Handelnden zustande gekommen sind, kann auch nur er Inhaber der Spielerlaubnis geworden sein.
Die Spielberechtigungsliste bezieht sich folglich auf jene Person, die Club und DFL als Handelnden wahrgenommen haben. Wäre der unter dem Namen Bakery Jatta verpflichtete, lizenzierte und eingesetzte Spieler in Wirklichkeit Bakary Daffeh gewesen, hätte sich Daffeh - wenngleich unter falschem Namen - auch auf der Spielberechtigungsliste befunden.
Rückwirkung - eine ganz schlechte Idee
Ihren Einspruch gegen die Wertung eines Ligaspiels, bei dem der HSV den Spieler Jatta eingesetzt hat, mögen die gegnerischen Clubs stattdessen auf einen anderen Aspekt stützen wollen. Falls nach einer strafgerichtlichen Entscheidung der Aufenthaltstitel von Jatta zurückgenommen werden würde, hätte dieser Verwaltungsakt rückwirkenden Charakter.
Wenn die DFL daraufhin die Spielerlaubnis entzieht, könnte man auf den ersten Blick annehmen, dass die sportrechtliche Entziehung in zeitlicher Hinsicht das Schicksal der Aufenthaltserlaubnis teilen muss, also ebenfalls zurückwirkt und Jatta damit von der Spielberechtigungsliste nimmt. Dafür spricht der eher diffuse Gedanke der Einheit der Rechtsordnung, dagegen jedoch, dass es um zwei Rechtsmaterien geht, die nichts miteinander zu tun haben: Öffentliches Recht und das private Vereinsrecht von DFB und DFL.
Schon die verfassungsrechtlich geschützte Vereinsautonomie verbietet die Annahme, eine verwaltungsbehördliche Entscheidung könne der DFL das Ermessen nehmen, ob sie eine Spielerlaubnis entzieht und mit welcher zeitlichen Wirkung sie dies tut. Wer jetzt auf das Anti-Doping-Recht zeigt und meint, Regelverstöße müssten zwingend zur Aberkennung der erzielten Ergebnisse führen, übersieht, dass auch Vereins- und Verbandsstrafen dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit unterliegen. Das Regelwerk der Nationalen Anti Doping Agentur sieht ausdrücklich vor, dass Dopingverstöße mit Disqualifikationen oder Punktabzügen sanktioniert werden. Eine Wertung übrigens, die die DFL in ihren Statuten übernommen hat. Hat bei einer Partie ein gedopter Spieler mitgewirkt, wird das Spiel für seine Mannschaft mit 0:2 Toren als verloren gewertet.
Indes, einen solchen Automatismus gibt es für andere Regelverstöße nicht, insbesondere nicht für den Einsatz eines Spielers, der nicht auf der Spielberechtigungsliste steht. Es existiert auch kein allgemeines sportrechtliches Rückwirkungsprinzip, das ungeschrieben wäre. Wegen der Eingriffsintensität einer automatischen rückwirkenden Bestrafung müsste diese Rechtsfolge schon ausdrücklich angeordnet werden.
Vertrauensschutz für Clubs und Spieler
Wir wissen natürlich nicht, wie die DFL ihr Ermessen ausüben würde, falls der Spieler Jatta tatsächlich gegen das Aufenthaltsrecht verstoßen haben sollte. Es spricht jedoch alles dafür, dass eine etwaige Entscheidung, Jatta rückwirkend die Spielerlaubnis zu entziehen, keine Auswirkungen auf bereits gespielte HSV-Partien hätte. Das hängt mit den Funktionen der Spielberechtigungsliste zusammen.
Diese Liste dient gleichermaßen der Klarheit und Rechtssicherheit, und zwar für Clubs wie für Spieler. Auf sie soll sich der Club verlassen dürfen, wenn er entscheidet, welche Spieler er im konkreten Wettbewerb einsetzen kann und welche nicht. Das hat negative, aber auch positive Auswirkungen. Negativ wirkt die Liste insofern, als niemand auf dem Platz stehen darf, der auf ihr nicht genannt ist. Positiv wirkt sie dergestalt, dass die Spielberechtigung eines gelisteten Spielers nicht beliebig in Frage gestellt werden kann. Zumindest wenn die Liste aus DFL- und Clubperspektive im Zeitpunkt des Spiels richtig war, hat sie einen Vertrauenstatbestand geschaffen, der schutzwürdig ist und nicht rückwirkend beseitigt werden kann.
Ohne Verschulden geht es nicht
Der HSV hat also wenig zu befürchten, sollte er den Spieler Jatta in den kommenden Partien aufstellen. Natürlich kann nie ausgeschlossen werden, dass die DFB-Sportgerichtsbarkeit das im Falle eines Einspruchs anders sieht. Schließlich gibt es keinen Präzedenzfall. Zum Spielverlust für den HSV käme es im Übrigen nur, wenn der Club den Spieler Jatta schuldhaft eingesetzt hätte. Das Verschulden würde sich auf die fehlende Spielberechtigung Jattas beziehen und laut DFB-Regeln der Mannschaft vorgeworfen werden müssen. Damit kann sinnvollerweise nur der Cheftrainer gemeint sein, also Tim Walter.
Seine Risikoabwägung wird ungleich schwieriger ausfallen als die seines Vorgängers Dieter Hecking in der Saison 2019/2020. Unsubstantiierte Medienberichte konnte und musste man ignorieren. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungsergebnisse sind dagegen ernst zu nehmen, auch wenn vieles dafür spricht, dass Jatta derjenige ist, der er zu sein behauptet. Der einfachste Weg, das "Problem Jatta" schon im Ansatz zu vermeiden, wäre sicherlich ein Deal zwischen HSV und seinen kommenden Gegnern über einen vorherigen Einspruchsverzicht. Ob es angesichts der Konkurrenzsituation in der Liga dazu kommen wird, ist jedoch zu bezweifeln.
Prof. Dr. Helmut Grothe ist Sportrechtler und leitet das Institut für Internationales Privatrecht, Internationales Zivilverfahrensrecht und Rechtsvergleichung an der Freien Universität Berlin.
Nach der Anklage gegen Fußball-Profi Jatta: . In: Legal Tribune Online, 13.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46914 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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