Der Auftrag kommt per App – und dabei ggf. ein Arbeitsverhältnis zustande: Crowdworker können Arbeitnehmer sein, so das BAG. Eine Kracherentscheidung, meint Michael Fuhlrott – aber nicht zwangsläufig das Ende des Geschäftsmodells.
Das moderne Pendant zum klassischen Solo-Selbständigen, der etwa als Subunternehmer ohne eigene Mitarbeiter Pakete ausliefert, ist in Zeiten der vielbeschworenen Plattformökonomie der Crowdworker. Eine Internetplattform vermittelt ihm die Aufgaben und Projekte, die er bearbeitet. Manchmal handelt es sich dabei um komplexe Tätigkeiten wie die Entwicklung und Ausarbeitung eines Designs, in der Regel aber um einfache Arbeiten wie das Abgleichen von Adressen, das Sammeln von Daten oder das Testen von Software oder Apps.
Gemeinsam ist den Tätigkeiten, dass diese zeitlich unabhängig ausgeführt werden können und keine räumliche oder persönliche Zusammenarbeit mit Kollegen oder anderen Beschäftigten erfordern. Während viele dieser Arbeiten im Internet nicht nur vermittelt, sondern dort auch direkt ausgeführt werden, müssen manche Tätigkeiten vor Ort erledigt werden, wie etwa die Kontrolle von Warenpräsentationen in Verkaufsstellen oder die Auslieferung von online bestelltem Essen.
Crowdworking wird dabei oftmals als Nebenverdienst genutzt und neben einer "normalen" Beschäftigung als Arbeitnehmer oder als Zubrot während einer Ausbildung ausgeübt. Gewerkschaften kritisieren diese Arbeitsform auch aufgrund der teilweise geringen Vergütung und sprechen von Crowdworkern als digitalen Tagelöhnern. Mit Slogans wie "Geld verdienen mit deinem Smartphone" oder "Ganz einfach und macht Spaß" werben hingegen entsprechende Anbieter von Crowdsourcing-Lösungen. Sie sehen im Crowdworking eine gute Möglichkeit, selbstbestimmt und flexibel ein weiteres Einkommen zu erzielen.
Der Streitfall: Ein hohes Level, aber kein Arbeitsvertrag
Den so angepriesenen Spaß an der Tätigkeit hatte ein in München tätiger rund 50-jähriger Crowdworker zwischenzeitlich aber offenbar verloren. Er war seit Anfang 2017 für eine Internetplattform tätig, mit der ihn in rechtlicher Hinsicht zunächst eine Basisvereinbarung nebst diese ergänzende Allgemeine Geschäftsbedingungen verband. Hierdurch erhielt er Zugang zu auf der Internetplattform angebotenen Einzelaufträgen, auf deren Bearbeitung er sich mittels App bewerben konnte bzw. ihm angebotene Bearbeitungsaufträge annehmen konnte.
Die Auftragsangebote standen dabei abhängig vom jeweiligen Kundenauftrag regelmäßig zwei bis vier Wochen lang zur Verfügung. Innerhalb dieses Zeitraums konnte der Mann einen Auftrag annehmen, solange er von niemand anderem in der Zwischenzeit erledigt worden war. Nach Anklicken des Auftrags wurden detailliertere Informationen zur Bearbeitung lesbar. Vor dem Anklicken teilte die App zudem mit, wie viel Zeit für den Auftrag voraussichtlich aufgewendet werden muss. Mit dem Anklicken eines Auftrags lief sodann eine Uhr rückwärts. Nach Ablauf der Zeit, regelmäßig zwei Stunden, konnte der Auftrag nicht weiterbearbeitet werden. Wenn Crowdworker regelmäßig für die Plattform tätig waren, sammelten sie zudem Erfahrungspunkte und erreichten ein immer höheres Level, was viele Vorteile brachte: Sie erhielten Zugang zu mehreren bzw. besseren Aufträgen.
In diesem System bewegte sich der Münchner Crowdworker und arbeitete durchschnittlich 20 Stunden in der Woche. Als Selbständiger erzielte er so einen monatlichen Durchschnittsverdienst von knapp 1.800 Euro, der auf einem virtuellen Konto gutgeschrieben und jeweils per PayPal ausgezahlt werden konnte. Die Plattform vermittelte dabei verschiedene Aufträge und Projekte von ihren Kunden aus verschiedenen Branchen weiter, schloss aber die Einzelaufträge mit dem Crowdworker im eigenen Namen ab. Vertragliche Beziehungen bestanden damit allein zwischen dem Crowdworker und der Plattform.
Plattformbetreiber schließt Crowdworker aus
Nach Unstimmigkeiten über die ordnungsgemäße Erledigung von Aufgaben und deren Vergütung teilte der Plattformbetreiber dem später klagenden Crowdworker Anfang April 2018 mit, dass man ihm keine weiteren Aufträge mehr anbieten, sein Guthaben auszahlen und anschließend seinen Account deaktivieren und löschen werde.
Daraufhin erhob der Münchener im Juli 2018 Kündigungsschutzklage und begehrte die Feststellung, dass ein Arbeitsverhältniss i. S. v. § 611a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zur Plattform vorliege. Er berief sich dabei darauf, dass für ihn – subjektiv empfunden – eine Pflicht zur Übernahme von Aufträgen bestanden habe, da er nur so höhere Level habe erreichen können. Dadurch sei bei ihm ein motivationspsychologisch zu erklärender menschlicher Spieltrieb ausgelöst und dieser von der beklagten Internetplattform ausgenutzt worden. Die Möglichkeit, künftige Aufträge sehen zu können, habe zudem einen Druck zum Tätigwerden ausgelöst. Durch die App sei er überdies betrieblich eingebunden gewesen, sodass jedenfalls eine Gesamtbetrachtung für das Vorliegen von persönlicher Abhängigkeit und damit für das Vorliegen eines (Teilzeit-)Arbeitsverhältnisse spreche.
Das Arbeitsgericht (ArbG) München (Urt. v. 20.2.2019, Az.19 Ca 6915/18) und Landesarbeitsgericht (LAG) München (Urt. v. 4.12.2019, Az. 8 Sa 146/19) teilten diese Ansicht aber nicht und wiesen die Klagen des Mannes ab. Die Begründung: Ein Vertrag, der keine direkte Verpflichtung zur Arbeitsleistung begründet, sei eben kein Arbeitsvertrag. Es fehle an einer für ein Arbeitsverhältnis charakteristischen und rechtlich notwendigen persönlichen Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit. Daher ist nach Auffassung der Vorinstanzen die zwischen den Parteien geschlossene Rahmenvereinbarung, die nur die Bedingungen der erst noch abzuschließenden Einzelverträge regelte, selbst kein Arbeitsvertrag.
Ein Arbeitsverhältnis werde auch nicht dadurch begründet, dass der Crowdworker per Mausklick einen Auftrag zur Bearbeitung annimmt und dabei mit der Internetplattform jeweils ein auf den Ablauf des zur Verfügung stehenden Zeitfensters befristetes Arbeitsverhältnis vereinbarte, welches mangels Wahrung der in § 14 Abs. 4 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) verlangten Schriftform nach § 16 TzBfG als auf unbestimmte Zeit abgeschlossenes Arbeitsverhältnis anzusehen sei. Auch aus der tatsächlichen Durchführung der Basisvereinbarung ergebe sich nichts anderes, so die Münchner Richter.
Diese rechtliche Bewertung wollte der klagende Crowdworker höchstrichterlich geprüft haben und legte daraufhin Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) ein, das nun in seinem Sinne entschied
BAG: Der Crowdworker war ein Arbeitnehmer
Das BAG (Urt. v. 01.12.2020, Az.: 9 AZR 102/20) stufte den Crowdworker nunmehr als Arbeitnehmer ein. Der klagende Mann habe in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit geleistet. Zwar sei er vertraglich nicht zur Annahme von Angeboten der Internetplattform verpflichtet gewesen. Die Organisationsstruktur des Portals sei aber darauf ausgerichtet gewesen, dass über einen Account angemeldete und eingearbeitete Nutzer kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge annehmen, um diese persönlich zu erledigen.
Da die Vermittlungsplattform vorsorglich aber gleich dieKündigung ausgesprochen hatte, war der Crowdworker im Ergebnis nicht vollends erfolgreich. Das heißt konkret: Als er über die Plattform vermittelte Aufträge abgearbeitet hatte, war er für diese Zeit nach Auffassung der Erfurter Arbeitsrichter als Arbeitnehmer zu qualifizieren gewesen – mit den entsprechenden Rechten und Pflichten. Hinsichtlich der geltend gemachten Vergütungsansprüche verwies das BAG die Sache an die Vorinstanz zurück, nachdem es diese Grundsatzfrage entschieden hatte.
Das Ende von Vermittlungsplattformen?
Was bedeutet die Entscheidung nun für solche Vermittlungsplattformen?
Die Entscheidung – ergangen zu einem Einzelfall – bringt jedenfalls nicht gleich ihr Ende. Sie werden aber ihr Geschäftsmodell prüfen und ggf. umstellen müssen.
Enge Bindungen und Vorgaben an Crowdworker zur Gestaltung der Abläufe werden nämlich nicht mehr möglich sein und bergen – aus Unternehmersicht - die "Gefahr", dass der Crowdworker ungewollt als Arbeitnehmer zu qualifizieren ist. Damit einher gehen entsprechende Rechte: Urlaub, Kündigungsschutz, Entgeltfortzahlung und betriebliche Mitbestimmung. Als Arbeitgeber werden die Plattformen dann zudem Sozialversicherungsabgaben leisten müssen.
Ausblick: Wird nun noch der Gesetzgeber tätig?
Bleibt das Urteil der Erfurter Arbeitsrichter zum Arbeitnehmerstatus nun das letzte Wort in dieser Sache? Rechtlich mit Blick auf den konkreten Fall wohl ja, eine Verfassungsbeschwerde ist fernliegend. Ob der Gesetzgeber den Fall aber zum Anlass nimmt, die Situation von Crowdworkern rechtlich zu regeln, bleibt fraglich.
Zwar hat das Bundesarbeitsministerium erst vor kurzem - am 27. November 2020 - ein neues Eckpunktepapier mit dem Titel "Neue Arbeit fair gestalten" zum Schutz von Crowdworkern kommuniziert. Hiernach sollen diese u.a. in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden, Zugang zur Unfallversicherung haben, bestimmte Mindestkündigungsfristen geschaffen werden oder eine Beweisverlagerungen bei Prozessen zur Klärung des Arbeitnehmerstatus eingeführt werden. Damit sollten Crowdworker zwar nicht Arbeitnehmern gleichgestellt, aber jedenfalls in den Genuss einer Mindestabsicherung kommen.
Ein konkreter Gesetzentwurf aus dem Bundesarbeitsministerium ist allerdings bislang noch nicht in Sicht – auch wenn das aktuelle Urteil die entsprechende öffentliche Diskussion weiter befeuern dürfte. So oder so: Auf Zustimmung von Gewerkschaftsseite sind die Überlegungen des Arbeitsministeriums bereits gestoßen: Die IG Metall etwa begrüßt die Änderungspläne im Grunde, wünscht sich aber weitere Änderungen wie etwa ein "digitales Zugangsrecht" für Gewerkschaften zu den Plattformen und insbesondere auch Mitbestimmungsrechte für Crowdworker.
Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei FHM sowie Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg.
BAG urteilt über moderne Arbeitsformen: . In: Legal Tribune Online, 01.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43597 (abgerufen am: 02.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag