Eine muslimische Krankenschwester verstößt gegen ihre Pflicht zu neutralem Verhalten, wenn sie bei der Krankenpflege in einem evangelischen Krankenhaus Kopftuch tragen möchte. Das entschied am Mittwoch das BAG. Clash of cultures, mal friedlich - und kein Grund für einen Kirchenkampf, findet ganz unaufgeregt Hermann Reichold.
Beim Deutschen Juristentag in Hannover ging es in der vergangenen Woche um religiös verblendete Straftäter. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt hatte am Mittwoch über die friedliche Variante des religiösen Clash of Cultures zu entscheiden.
Nach der Elternzeit wollte eine muslimische Krankenschwester im Bochumer Augusta-Klinikum ihre Arbeit nur noch mit Kopftuch verrichten. Das BAG hatte dafür kein Verständnis: Wer ein Kopftuch als Symbol seines muslimischen Glaubens bei der Krankenpflege im Evangelischen Krankenhaus tragen möchte, verstößt gegen seine arbeitsvertragliche Nebenpflicht zu neutralem Verhalten (BAG, Urt. v. 24.09.2014, Az. 5 AZR 611/12). Anlass des Verfahrens war nicht etwa eine Kündigung des Klinikums, sondern die Nichtzulassung der klagenden Krankenschwester zur Arbeit, solange sie diese nur mit dem islamischen Kopftuch verrichten wollte.
Seit 1996 im Augusta-Krankenhaus in Westfalen beschäftigt, war sie seit dem Jahr 2005 kurz mit Kopftuch aufgetreten und nach langer Elternzeit und kurzer Krankheit erst 2010 wieder arbeitsbereit – aber nur mit Kopftuch.
Glaubensfreiheit vs. Kirchliches Selbstbestimmungsrecht
Schon das LAG Hamm hatte als Vorinstanz weniger auf den Aspekt der angemessenen Berufskleidung im Klinikum als auf die kollidierenden Grundrechte abgestellt, die sich hier gegenüber stehen: die Glaubensfreiheit der Klägerin ist abzuwägen mit dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht der evangelischen Einrichtung.
Dabei falle ins Gewicht, dass "nichtchristliche" Mitarbeiter laut der EKD-Loyalitätsrichtlinie den kirchlichen Auftrag zu beachten und die ihnen übertragenen Aufgaben im Sinne der Kirche zu erfüllen hätten. Die Richtlinie definiere damit die allgemeine Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) für die kirchliche Einrichtung.
Anders war das noch im Kaufhaus-Fall anno 2002, als das BAG die Kündigung einer Parfüm-Verkäuferin zurückwies, die ebenfalls nur mit Kopftuch bedienen wollte. Dem Kaufhausbetreiber wurde damals bedeutet, er hätte seine muslimische Angestellte ja auch in eine andere Abteilung versetzen können, wo das Kopftuch weniger Aufregung bei den Kunden in der mittelhessischen Kleinstadt verursachen dürfte. Auf eine eigene, entgegenstehende "Tendenz" des Unternehmens konnte sich das Kaufhaus aber nicht berufen.
Glaubwürdige Dienstgemeinschaft mit einheitlichem Auftreten
Das BAG hat jetzt die arbeitsvertragsrechtliche Argumentation der Vorinstanz im Wesentlichen bestätigt. Allerdings verwiesen die Erfurter Richter die Sache zurück an die Vorinstanz, weil diese die institutionelle Zuordnung des beklagten Augusta-Klinikums zur Evangelischen Kirche in Westfalen nicht ausreichend festgestellt habe.
Der Fall eignet sich jedenfalls nicht zum Kirchenkampf, den viele Kirchenkritiker hierzulande längst ausgerufen haben. Sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg als auch die deutschen Verfassungsrichter dürften das berechtigte überwiegende Interesse des kirchlichen Klinikums an einer - im wahrsten Sinne des Wortes - glaubwürdigen Dienstgemeinschaft mit einheitlichem Auftreten gegenüber Patienten und anderen Kunden in diesem Fall wohl anerkennen. Loyalitätsobliegenheiten in Gestalt zumindest von "neutralem Verhalten" darf der kirchliche Dienstgeber auch von Nichtchristen erwarten.
Das bestätigt auch die Regelung im deutschen Gleichbehandlungsrecht, welches den Mitarbeitern laut § 9 Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) loyales Verhalten nach dem Selbstverständnis des kirchlichen Trägers abverlangt. Doch weist diese auf der EU-Richtlinie 2000/78/EG basierende Regel der klagenden Muslima immerhin den Weg nach Luxemburg zum EuGH.
Der Autor Prof. Dr. Hermann Reichold ist Leiter der Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht und Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht an der Eberhard Karls Universität Tübingen.
BAG sieht Neutralitätspflicht verletzt: . In: Legal Tribune Online, 24.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13301 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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