Kritik an der katholischen Kirche ist erlaubt, doch sollte man sie als Sozialpädagoge bei der Caritas nicht gleich durch einen Austritt aus der Kirche manifestieren. Denn dann, so das BAG, ist die rote Linie überschritten, bis zu der man als Mitarbeiter der katholischen Kirche gehen kann, ohne sein Arbeitsverhältnis zu riskieren, erläutert Hermann Reichold.
Wer in der katholischen Kirche arbeitet, muss nicht gläubig sein. Aber er sollte Mitglied einer christlichen Kirche sein. Wenn er als katholischer Christ eingestellt worden ist, sollte er später keinesfalls aus der katholischen Kirche austreten, nur weil er sich über zahlreiche Missbrauchsfälle, die Vorgänge in der "Piusbruderschaft" oder die Karfreitagsliturgie ärgert. Am Donnerstag erklärte das Bundesarbeitsgericht (BAG) nämlich die außerordentliche Kündigung eines Sozialpädagogen in einem Projekt der Erziehungshilfe in Mannheim für wirksam, obwohl der bereits eine Dienstzeit von fast 20 Jahren hinter sich hatte, als er 2011 aus Gewissensgründen aus seiner Kirche ausgetreten war (Urt. v. 25.04.2013, Az. 2 AZR 579/12).
Wer aus der Kirche austritt, so wird gerne von Kirchenrechtlern formuliert, gibt die Mindestübereinstimmung preis, die die Kirche von jedem Arbeitnehmer erwarten kann, der bei ihr in den Dienst tritt. Auch wenn das Gewissen den einen oder anderen Kirchenbeschäftigten umtreiben mag, darf er diese letzte Konsequenz doch nicht ziehen. Denn damit hat er quasi selbst gekündigt. Juristen nennen das eine Loyalitätsobliegenheit, die der kirchliche Dienstgeber erwarten kann. Begründet wird das mit dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nach Art. 140 Grundgesetz. Und eine Auflockerung dieser strengen Rechtsprechung ist nicht in Sicht, seitdem das BAG im November 2012 auch das Streikrecht in der Kirche mit einem Grundsatzurteil verworfen hat, weil es dieses für eine Aufkündigung der sogenannten Dienstgemeinschaft hielt.
Sendungsauftrag auch bei bloßer schulischer Förderung
Das BAG hat jetzt bestätigt, dass auch dann, wenn ein Sozialpädagoge in einem Caritas-Projekt den Kindern keine religiösen Inhalte vermittelt, sondern sie nur schulisch und in ihrem Sozialverhalten fördert, er nach dem kirchlichen Selbstverständnis dennoch unmittelbar einen "Dienst am Menschen" tut und damit am Sendungsauftrag der katholischen Einrichtung teil hat. Nach der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse von 1993 ist der Austritt aus der katholischen Kirche ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß, der eine Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters nicht zulässt. Man könnte fast von einem absoluten Kündigungsgrund sprechen.
Allerdings hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die deutschen Gerichte bereits ermahnt, auch die Kündigungen im Kirchendienst nicht ohne eine umfassende Interessenabwägung nach beiden Seiten zu bejahen. Wenn nur die strengen Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre durchgesetzt werden, wäre das zu einseitig. Im Fall eines Essener Organisten, der nach einer Scheidung mit seiner neuen Partnerin in wilder Ehe lebte, gab der EGMR daher dem Kantor Recht, weil sein Privatleben eben auch Schutz verdiene. So mussten die Erfurter Richter jetzt prüfen, ob nicht die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Klägers, also seine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche, angesichts seiner langen und unbeanstandeten Dienstzeit den Vorrang vor den Interessen des Arbeitgebers verdienten.
Das BAG verneinte dies klar. Der Austritt berühre das Selbstbestimmungsrecht der Kirche elementar. Staatliche Gerichte könnten die Caritas als Einrichtung der katholischen Kirche nicht zwingen, im verkündigungsnahen Bereich einen Mitarbeiter weiter zu beschäftigen, der nicht nur in einem einzelnen Punkt den kirchlichen Loyalitätsanforderungen nicht gerecht geworden ist, sondern sich insgesamt von der katholischen Glaubensgemeinschaft losgesagt hat.
Der Autor Prof. Dr. Hermann Reichold ist Leiter der Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht und Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht an der Eberhard Karls Universität Tübingen.
BAG zum Kirchenarbeitsrecht: . In: Legal Tribune Online, 26.04.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8616 (abgerufen am: 21.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag