Ist ein Arbeitnehmer verstorben, der zuvor seinen Urlaub wegen Krankheit nicht nehmen konnte, haben seine Erben keinen Anspruch auf Auszahlung des nicht genommenen Urlaubs in Geld, entschied das BAG. Klingt selbstverständlich? Ist es aber ganz und gar nicht, erklärt Christian Oberwetter – der stark daran zweifelt, dass es bei diesem Ergebnis bleiben wird.
Am Dienstag gab es keine lachenden Erben vor dem BAG: Die Witwe und der Sohn eines im April 2009 verstorbenen Kraftfahrers haben keinen Anspruch auf Abgeltung von dessen Urlaub in Geld. Sie klagten erfolglos auf Abgeltung von 35 Urlaubtagen, insgesamt 3.203,50 Euro.
Der verstorbene Trucker war seit dem Jahr 2001 bei dem Arbeitgeber als Kraftfahrer beschäftigt gewesen. Seit April 2008 bis zu seinem Tod im April 2009 war er arbeitsunfähig erkrankt, so dass Urlaubsansprüche, die ihm entstanden waren, nicht mehr gewährt werden konnten.
Der Fall ist weniger abstrus, als er auf den ersten Blick erscheinen mag. Schließlich begehrten seine Frau und sein Sohn als Erben des Kraftfahrers ja nicht dessen Urlaubsansprüche, sondern vielmehr bares Geld vom Arbeitgeber des Verstorbenen. Kann der Urlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden, so ist er gemäß § 7 Abs.4 Bundesurlaubgsgesetz (BurlG) abzugelten. Hätte das Beschäftigungsverhältnis des Kraftfahrers also durch Kündigung und nicht durch den Tod geendet, so hätte er sich den Anspruch in Geld auszahlen lassen können.
Warum sollte das nicht auch gelten, wenn das Arbeitsverhältnis durch Tod geendet ist, dachten sich Witwe und Sohn – und zogen bis vor das Bundesarbeitsgericht (BAG). Leider am Ende erfolglos, die Erben gingen leer aus (BAG, Urt. v. 20.09.2011, Az. 9 AZR 416/10).
EuGH: Urlaubsanspruch muss nicht erfüllbar sein, um überzugehen
Dabei war das Urteil des höchsten deutschen Arbeitsgerichts mit Spannung erwartet worden. Zwar hatte das BAG in vergleichbaren Fällen bisher stets entschieden, dass ein Urlaubsabgeltungsanspruch nicht auf die Erben übergehe. Die Richter begründeten das damit, dass es sich beim Urlaubsabgeltungsanspruch um einen höchstpersönlichen Anspruch handele. Außerdem sei Voraussetzung eines Übergangs auf die Erben, dass der Urlaubsanspruch noch hätte erfüllt werden können, wenn das Arbeitsverhältnis fortbestanden hätte - was bei einem verstorbenen Arbeitnehmer natürlich nicht möglich sei (so BAG, Urt. v. 26.05.1992, Az. 9 AZR 172/91).
Luxemburg allerdings sah das etwas anders als die Erfurter Richter. Der Europäische Gerichtshof befand im Jahr 2009, dass es für die Entstehung eines Urlaubsabgeltungsanspruches nicht darauf ankomme, ob der Urlaubsanspruch noch erfüllbar wäre (EuGH, 20.01.2009, Slg. I-0179).
Infolge dieser Entscheidung trat das Landesarbeitsgericht Hamm der Rechtsprechung des BAG entgegen (LAG Hamm, 22.04.2010 – 16 Sa 1502/09): Es sei unerheblich, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch bedingt durch den Tod des Arbeitnehmers nicht mehr erfüllbar wäre. Zudem handele es sich um einen reinen Geldleistungsanspruch, der nicht höchstpersönlicher Natur sei.
BAG: Urlaubsanspruch nicht nur nicht erfüllbar, sondern erloschen
Dieses Vorpreschen der Hammer Richter hat das BAG nun gestoppt. Mit dem Tod des Kraftfahrers sei dessen Urlaubsanspruch nämlich erloschen. Ein Urlaubsabgeltungsanspruch sei daher nicht entstanden, so dass ein solcher Anspruch auf Geldleistung auch nicht vererbt werden konnte.
Das Urteil der Erfurter Richter ist weder auf Grundlage der nationalen Gesetze noch auf Basis der Rechtsprechung des EuGH verständlich. § 7 Abs.4 BUrlG sieht eine Abgeltung vor, wenn der Urlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden kann. Ob das Arbeitsverhältnis durch Kündigung, Aufhebungsvertrag oder Tod beendet wird, ist nach der Norm unerheblich.
Es ist nicht ersichtlich, warum der Arbeitgeber finanzielle Vorteile durch den Tod des Arbeitnehmers haben soll. Nach dem EuGH kommt es zudem auf eine Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruches nicht an, so dass der Tod am Entstehen des Abgeltungsanspruchs nichts ändern kann. Gut möglich, dass die Streitigkeit in Luxemburg neu aufgerollt wird. Und da heißt es dann: Wer zuletzt lacht...
Der Autor Christian Oberwetter, Rechtsanwalt und Maître en droit, ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und IT-Recht in Hamburg und Verfasser zahlreicher Publikationen auf diesen Gebieten.
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Christian Oberwetter, BAG enttäuscht Erben: . In: Legal Tribune Online, 20.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4343 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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