Das BAG wird entscheiden, ob eine Crowdsourcing-Plattform Arbeitgeber ihrer Dienstleister ist. Bisher gelten diese Auftragnehmer in der Regel als Selbstständige – und das trifft meist auch die Sachlage, meint Anja Mengel.
Die Digitalisierung hat eine Reihe neuer Jobs geschaffen: Menschen fahren Taxi, kontrollieren Supermarktregale oder sammeln E-Roller ein, die Aufträge kommen per App. Die dort tätigen Menschen werden als Crowdworker bezeichnet und gelten bisher in der Regel als Selbstständige. Am 1. Dezember wird das Bundesarbeitsgericht für einen dieser Fälle klären, welchen arbeitsrechtlichen Status Menschen haben, die für derartige Plattformen tätig sind (Az. 9 AZR 102/20).
In dem Fall klagt der Auftragnehmer gegen den Plattformbetreiber darauf, den Status als Arbeitnehmer zu haben und damit auch Ansprüche auf Mindestlohn, Urlaub und Krankenversicherung. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht München (Urt. v. 04.12.2019, Az. 8 Sa 146/19) haben die Klage abgewiesen.
Auftrag annehmen oder ablehnen?
Der Mann machte nach der Vermittlung durch die Plattform unter anderem Fotos von Tankstellen und Märkten, kontrollierte so die Präsentation von Waren und berichtete dazu mit Bildern in der App. Der Mikrojobber entschied selbst, ob und welche Aufträge er übernehmen wollte und in welchem Intervall ihm die App überhaupt Aufträge angezeigte. Er konnte angebotene Aufträge einsehen, soweit die aufzusuchenden Geschäfte und Tankstellen maximal 50 km von seinem aktuellen Standort entfernt waren.
Nach der Vereinbarung kam der Vertrag über die einzelnen Aufträge jedoch mit dem Plattformbetreiber und nicht den Kunden zustande; auch die Vergütung erhielt die Plattform und stellte sie dem Dienstleister als auszahlbares Guthaben in der App zum Abruf (per Paypal) bereit. Allerdings hat der Tester vor Ort in den Märkten jeweils "Legitimationsschreiben" der Kundenunternehmen, nicht etwa der Plattform verwendet, soweit es nicht ohnehin eine verdeckte Kontrolle gab.
Die Jobs standen abhängig vom jeweiligen Kundenauftrag regelmäßig zwei bis vier Wochen zur Verfügung. Innerhalb dieses Zeitraums konnte der Auftrag angenommen werden, solange er nicht erledigt war. Die zeitliche Komponente war auch entscheidend für die Vergütung: Je länger ein Auftrag nicht erledigt war, desto höher stieg der Preis, den die Plattform festsetzte. Ab dem Anklicken eines Auftrags in der App lief ein Zeitraum zur Erledigung, regelmäßig von zwei Stunden, nach dessen Ablauf der Auftrag nicht weiterbearbeitet werden konnte.
Autonome Planung der Touren
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Teil jedes Auftrags waren Anfahrt, Kontrolle und der Bericht über das Ergebnis und all das hat den Charakter eines Werkvertrages. Noch wichtiger ist jedoch, dass der Mann allein über die Annahme von Aufträgen entscheiden, frei über die Erledigung innerhalb der nächsten zwei Stunden verfügen und autonom eine Tour planen konnte. Speziell diese eigenverantwortliche Organisation von Touren haben diverse Landessozialgerichte (LSG) bei klassischen Auslieferfahrern bereits als ein zentrales Kriterium für Selbständigkeit anerkannt (vgl. z. B. LSG Thüringen, L 3 R 1847/13; LSG Bayern, L 16 R 5144/16).
Auf der Basis dieser Präzedenzurteile zu traditionellen "analogen" Auslieferungsfahrten ist auch für die digitale Plattformwirtschaft eine Gestaltung mit Selbständigen zulässig und gestaltbar. Dies gilt jedenfalls für werkvertragsähnliche Dienstleistungen, die nicht zeitkritisch und „on demand“ sofort durchgeführt werden müssen.
Schwieriger ist es für Lieferdienste, bei denen einzelne Aufträge sofort erledigt werden müssen, wie z. B. Essenslieferdiensten oder Taxifahrten ohne Vorbestellung. Erst recht problematisch ist es, wenn die Plattformbetreiber den Fahrern keine Einzelaufträge anbieten, sondern sie für bestimmte Verfügbarkeitszeiträume ("Schichten") einplanen. Soweit die Plattformen allerdings nur einen Vertrag zwischen Fahrer und Kunde vermitteln und selbst nicht die Auftragsabwicklung organisieren und kontrollieren, spricht dies wiederum stark für Selbständigkeit.
Operative Einbindung in die Plattform?
Ein ebenfalls zentrales weiteres Kriterium ist die Intensität der operativen Integration der Auftragnehmer, die typischerweise plattformbezogen und damit strukturell, nicht vom Einzelfall des Auftragsnehmers abhängig ist. Diese erfolgt bei den modernen Internetplattformen digital, per App und Smartphone des Auftragnehmers. Mit diesen Apps ergibt sich oftmals eine sehr intensive operative Verschmelzung von Plattformanbieter (Auftraggeber) und Auftragnehmer, die auch die Durchführung des Auftrags betrifft, sowie die Abwicklung der zu den Aufträgen erforderlichen Finanztransaktionen.
Die Einschaltung und Nutzung der App kann je nach Art der Plattform und Ausgestaltung dann digital der Situation entsprechen, in der ein Auftragnehmer durch das Werkstor oder den Büroeingang tritt und dann "vollständig operativ integriert" wird in die Betriebsorganisation des Plattformbetreibers. In solchen Fällen ist die Abwicklung der Aufträge durch Selbständige kaum denkbar.
Eine pauschale Antwort wird es auf die Frage nach dem Status dieser Crowdworker daher nicht geben – dafür sind die Plattformen und Auftragstypen zu unterschiedlich aufgesetzt. Somit wird die rechtssichere Gestaltung der Dienstleistungen, die die digitale Plattformwirtschaft anbietet, bis zu einer (schrittweisen) Klärung der verschiedenen Modelle durch die Rechtsprechung eine spannende Praxisfrage bleiben.
Die Autorin Rechtsanwältin Prof. Dr. Anja Mengel (LL.M Columbia) ist Partnerin bei SchweibertLeßmann & Partner, Berlin. Sie berät vorwiegend Unternehmen, darunter u. a. zahlreiche Start-ups und ist daher auch in Mandaten immer wieder mit Status-Themen befasst.
BAG entscheidet über Statusfrage: . In: Legal Tribune Online, 27.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43547 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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