In Kleinbetrieben greift kein Kündigungsschutz, deshalb erhalten die Angestellten auch keinen Wiedereinstellungsanspruch, erst recht nicht nach einem Betriebsübergang. Stephan Altenburg erklärt das Prognoseprinzip beim Kündigungsschutz.
Ein Wiedereinstellungsanspruch kann grundsätzlich nur Arbeitnehmern zustehen, die Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) genießen. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am Donnerstag entschieden (Urteil vom 19. Oktober 2017, Az. 8 AZR 845/15).
Der Kläger arbeitete seit fast 30 Jahren als vorexaminierter Angestellter in einer Apotheke, in der wegen der Kleinbetriebsklausel gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG kein Kündigungsschutz bestand. Die Inhaberin beschloss, die Apotheke aus gesundheitlichen Gründen stillzulegen, und kündigte die Arbeitsverhältnisse sämtlicher Arbeitnehmer wirksam zum 30. Juni 2014.
Im Rahmen der Abwicklung der Apotheke ergab sich im Sommer 2014 unvorhergesehen die Möglichkeit, die Apotheke fortzuführen, nachdem die hinzugezogene Vertrauensapothekerin des Apothekerverbandes Kaufinteresse gezeigt hatte. Der Kaufvertrag über den Apothekenbetrieb einschließlich des Warenlagers und des Kundenstamms wurde am 15. Juli 2014 unterschrieben. Die Erwerberin verpflichtete sich außerdem dazu, drei Angestellte zu übernehmen und weiter zu beschäftigen – unter anderem der Kläger zählte nicht dazu.
Die bisherige Inhaberin führte die Apotheke daraufhin bis Ende August 2014 mit einer verringerten Anzahl von Beschäftigten weiter, nämlich mit zwei angestellten approbierten Apothekern und einer Reinigungskraft – eben jenen Arbeitnehmern, die auch zukünftig weiter beschäftigt werden sollten. Die Erwerberin übernahm den Betrieb ab dem 1. September 2014.
Der Kläger wurde in dem Fortführungskonzept nicht berücksichtigt und wollte sich damit nicht abfinden. Er verklagte deshalb zunächst die bisherige Betriebsinhaberin auf Wiedereinstellung. Später schwenkte er auf die Erwerberin um: Sein Arbeitsverhältnis sei gemäß der Regelung über den Betriebsübergang in § 613a BGB auf die neue Inhaberin übergegangen.
Kündigungen beruhen immer auf Prognosen…
Das Arbeitsgericht Duisburg und das Landesarbeitsgericht Düsseldorf wiesen die Klage ab. Um zu verstehen, wie es dieser Fall überhaupt bis in die höchste Instanz geschafft hat, muss man allerdings einen Blick auf die etwas theoretischen Grundlagen des Kündigungsschutzes werfen.
Das Kündigungsschutzgesetz schützt nur vor sozial ungerechtfertigten Kündigungen. Will der Arbeitgeber kündigen, muss er eine Prognoseentscheidung treffen, wie sich ein bestimmter Lebenssachverhalt in der Zukunft auf das Arbeitsverhältnis auswirken wird.
So stellt beispielsweise die verhaltensbedingte Kündigung keineswegs eine Sanktion auf eine vom Arbeitnehmer begangene Pflichtverletzung dar – auch wenn mancher Arbeitgeber mit "kurzer Zündschnur" bei Ausspruch der Kündigung andere Empfindungen haben mag. Vielmehr rechtfertigt erst das auch nach einschlägiger Abmahnung wiederholte Fehlverhalten des Arbeitnehmers die Prognose, dass er sich auch zukünftig nicht vertragstreu verhalten wird, was dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen und eine Kündigung rechtfertigen kann.
Auch die betriebsbedingte Kündigung basiert stets auf einer Prognoseentscheidung des Arbeitgebers, mit welchem Personalbestand er zukünftig die in seinem Betrieb anfallenden Arbeiten wird erledigen können. Übersteigt nach dieser Prognose der Bestand den Bedarf, kann eine betriebsbedingte Kündigung zur entsprechenden Anpassung gerechtfertigt sein. Der Arbeitgeber muss nicht eine größere Anzahl von Arbeitnehmern beschäftigen, als er zukünftig nach seiner Personalplanung benötigt.
…und die sind manchmal falsch
Nun ist das mit der Prognose so eine Sache. Nach einer zutreffenden Weisheit, die wahlweise Winston Churchill, Karl Valentin oder Kurt Tucholsky – letztgenannter war immerhin Jurist – zugeschrieben wird, sind Prognosen nur dann schwierig, wenn sie die Zukunft betreffen. Das sieht auch das BAG so: Prüfungsgegenstand bei der Arbeitgeberkündigung ist allein die Prognoseentscheidung des Arbeitgebers im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs. Was danach geschieht, ist irrelevant.
Sehr stringent stellt das BAG in ständiger Rechtsprechung fest, dass "die hinreichend begründete Prognose zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit genügt" und die "spätere tatsächliche Entwicklung grundsätzlich unberücksichtigt bleibt" (so beispielsweise BAG, Urteil vom 25. Oktober 2007 – 8 AZR 989/06).
An der sozialen Rechtfertigung der Kündigung und damit an deren Wirksamkeit ändert sich somit selbst dann nichts, wenn sich die maßgeblichen tatsächlichen Umstände nach Ausspruch der Kündigung (unerwartet) ändern und sich folglich die Prognose des Arbeitgebers im Nachhinein als falsch erweist: Die Kündigung ist und bleibt wirksam.
BAG zum Übergang eines Kleinbetriebes: . In: Legal Tribune Online, 20.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25155 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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