Ein Betriebsrat darf bei der Personalstärke nicht mitreden. Doch das Thema berührt auch den Gesundheitsschutz - und das könnte eine Hintertür für die Mitbestimmung sein. Was das BAG nicht sagte, erklärt Alexander Willemsen.
Einer der Grundsätze des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) stand vor Kurzem in Erfurt auf dem Prüfstand: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte darüber zu entscheiden, ob die Mitbestimmungsrechte beim betrieblichen Gesundheitsschutz auch Regelungen zur personellen Mindestbesetzung in Dienstplänen umfassen. Das würde quasi eine Mitbestimmung des Betriebsrats über die Personalstärke durch die Hintertür bedeuten, denn an sich darf der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei darüber entscheiden, mit welcher Personaldecke er seinen Betrieb ausstattet.
Das mit einiger Spannung erwartete Grundsatzurteil blieb jedoch aus: In seiner Entscheidung vermied es das BAG ausdrücklich, zu dieser Frage Stellung zu nehmen (Urt. v. 19.11.2019, Az. 1 AZR 22/18). Für die Praxis bedeutet das Unsicherheit.
Ausgangspunkt des Rechtsstreits war ein Streit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über die Dienstplanung von Pflegekräften in einer Spezialklinik mit rund 300 Beschäftigten. Da zwischen den Betriebsparteien keine Einigung darüber erzielt werden konnte, wurde eine betriebliche Einigungsstelle gebildet. Dieser gesetzlich vorgesehene Konfliktlösungsmechanismus soll Meinungsverschiedenheiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber lösen, indem ein betriebsfremder Einigungsstellenvorsitzender beigezogen wird. Kann auch dieser keine Einigung herstellen, erfolgt eine Entscheidung per Abstimmung („Spruch“), bei der der Vorsitzende die entscheidende Stimme abgeben darf.
Unternehmerische Freiheit vs. Mitbestimmung
Auch in dem vom BAG zu entscheidenden Fall kam es zuvor zu einem Einigungsstellenspruch. Aus den Regelungen des Einigungsstellenspruchs ergaben sich unter anderem detaillierte Vorgaben für die Besetzung jeder Schicht. Der Arbeitgeber konnte folglich nicht mehr frei darüber entscheiden, welche Personaldecke er für eine bestimmte Schicht oder insgesamt für den Gesamtbetrieb für angemessen hielt. Stattdessen war er an die Vorgaben des Einigungsstellenspruches gebunden und hatte die sich aus den Vorgaben ergebende Mindestpersonaldecke auch dann vorzuhalten, wenn er selbst der Auffassung war, dass eine kleinere Belegschaft an sich ausreichend wäre.
Die Arbeitgeberin war der Auffassung, dass der Einigungsstellenspruch gegen Betriebsverfassungsrecht verstößt. Nach der grundlegenden Konzeption des BetrVG ist der Arbeitgeber nämlich frei darin, über die Größe des Betriebes, Einstellungen und Entlassungen zu entscheiden. Als Ausfluss der im Grundgesetz (GG) garantierten unternehmerischen Freiheit (Art. 12, 14 GG) dürfen diese Entscheidungen unabhängig von einem Betriebsrat getroffen werden. Das BetrVG sieht in diesem Zusammenhang auch nur sehr begrenzte Unterrichtungs- und Beteiligungsrechte des Betriebsrats vor. Beispielsweise ist er zwar vor jeder Einstellung (§ 99 BetrVG) oder Entlassung (§ 102 BetrVG) anzuhören. Ob überhaupt eingestellt oder entlassen wird, kann allerdings auch ohne Zustimmung oder gegen den Willen des Betriebsrats umgesetzt werden.
Soziale Angelegenheiten sind Sache des Betriebsrates
Von dieser – beschränkten – Beteiligung des Betriebsrats bei personellen Angelegenheiten ist die sehr stark ausgestaltete Mitbestimmung in sog. sozialen Angelegenheiten zu trennen. Das BetrVG zählt mehrere sozialen Angelegenheiten auf, in denen Betriebsrat und Arbeitgeber sich einigen müssen. Gegen den Willen des Betriebsrats kann der Arbeitgeber in diesem Bereich nicht agieren.
Zu dem gesetzlichen Katalog gehören auch Fragen des betrieblichen Gesundheitsschutzes (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG). Der Betriebsrat machte geltend, dass die Frage, mit welcher Mindestpersonalbesetzung Dienste in der Spezialklinik geplant und durchgeführt werden, als Maßnahme des Gesundheitsschutzes anzusehen sei. Sie unterliege deshalb der zwingenden Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten und der Arbeitgeber könne nicht frei darüber entscheiden.
ArbG „ja“, LArbG „nein“, BAG „ich sag nichts“
Das Arbeitsgericht (ArbG) Kiel (Az. 7 BV 67 c/16) bestätigte in erster Instanz die Wirksamkeit des Einigungsstellenspruchs. Damit sorgte es für einiges Aufsehen, weil damit die Möglichkeit eines Betriebsrates zur Erzwingung einer bestimmten Personalstärke bejaht wurde. Das ArbG maß dem Schutz der Belegschaft vor gesundheitlichen Gefahren durch Arbeitsüberlastung eine höhere Bedeutung zu als dem aus Sicht des Gerichtes begrenzten Eingriff in die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers.
Das Landesarbeitsgericht (LArbG) Schleswig-Holstein wiederum (Az. 6 TaBV 21/17) sah den Fall anders: Es hob das Urteil auf. Die Vorgabe einer Mindestbesetzung stelle einen nicht durch das BetrVG vorgesehenen Eingriff in die unternehmerische Freiheit dar, dem Betriebsrat seien in diesem Bereich bewusst nur Mitwirkungsrechte eingeräumt worden. Diese Entscheidung dürfe nicht durch den Spruch einer Einigungsstelle unterlaufen werden.
Die erste Instanz gab dem Gesundheitsschutz den Vorrang, die zweite schützte die unternehmerische Freiheit. Das BAG war aufgerufen, zu entscheiden. Und die Erfurter Richter vermieden es, Farbe zu bekennen: In der – sehr knappen – Pressemitteilung weist das BAG vorsorglich gleich zwei Mal darauf hin, dass man der Anfechtung des Einigungsstellenspruches stattgegeben habe, „ohne über die Zulässigkeit von solchen Regelungen als Maßnahme des Gesundheitsschutzes zu entscheiden“. Es waren anscheinend allein formelle Gründe, die zu der – endgültigen – Aufhebung des Einigungsstellenspruches geführt haben sollen.
Keine eindeutigen Schlüsse…
Aus dem Umstand, dass das BAG davon abgesehen hat, die zentrale Frage zu entscheiden, ob Regelungen zur personellen Mindestbesetzung Maßnahmen des betrieblichen Gesundheitsschutzes sind und deshalb auch gegen den Willen des Arbeitgebers eingeführt werden können, lassen sich keine eindeutigen Schlüsse ziehen:
Es liegt nahe, dass das BAG sich mit dieser Frage schlicht deswegen nicht befasst hat, weil sich die Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruches bereits aus formellen, d. h. verfahrenstechnischen, Gründen ergeben hat. Ob der Spruch materiell wirksam war – also in seinem Regelungsinhalt nicht gegen Betriebsverfassungsrecht verstößt – war danach nicht mehr relevant.
Dennoch: Es wäre wünschenswert gewesen, wenn das BAG bei dieser Gelegenheit eine klare Grenze gezogen hätte. Gerade psychische Gefährdungen am Arbeitsplatz sind in letzter Zeit oft Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, weil (noch) rechtliche Unsicherheiten bestehen, wie damit im Rahmen von betrieblichen Gefährdungsbeurteilungen und sog. Maßnahmenableitungen (also die Frage, welche Maßnahmen der Arbeitgeber zum Gesundheitsschutz zu ergreifen hat) umzugehen ist.
...oder doch „beredtes Schweigen“?
Häufig bringen Betriebsräte die Möglichkeiten von Neueinstellungen, personellen Aufstockungen oder ähnlichen Maßnahmen ins Gespräch, um Belastungsspitzen bei Arbeitnehmern und daraus resultierende psychische Gefährdungen abzumildern. Für die Praxis hätte es geholfen, wenn das BAG den vorliegenden Fall zur Klarstellung genutzt hätte, ob und inwieweit Mitbestimmungsrechte in sozialen Angelegenheiten Einfluss auf die unternehmerische Freiheit bei der personellen Ausstattung von Betrieben erlauben.
Die Zurückhaltung des BAG bei der Klärung dieser Frage könnte als „beredtes Schweigen“ missverstanden werden und Betriebsräte ermutigen, künftig verstärkt über den Umweg der Mitbestimmung beim betrieblichen Gesundheitsschutz eine Aufstockung der Personaldecke anzustreben. Es wird vermutlich nicht lange dauern, bis das BAG in dieser Frage erneut zu entscheiden hat – und dann Farbe bekennen muss.
Der Autor Dr. Alexander Willemsen ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht. Er ist Partner bei der Kanzlei Oppenhoff & Partner in Köln.
Mitsprache des Betriebsrats bei Personalplanung: . In: Legal Tribune Online, 13.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39629 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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