2/2: Rechtsunsicherheit und Belastung des Arbeitsverhältnisses
Zuvor war die Sachlage klar: Der Arbeitnehmer hatte einer Weisung zu folgen, ansonsten drohte ihm der Verlust seines Vergütungsanspruchs und im schlimmsten Fall die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses. Nach der bevorstehenden Rechtsprechungsänderung des Zehnten Senats trägt der Arbeitnehmer das Abschätzungsrisiko, will er der angeblich unbilligen Weisung nicht unter Vorbehalt bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung nachkommen. Stellt sich nach einer häufig mehrere Monate dauernde arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung heraus, dass die Weisung doch wirksam war, muss er auch die arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung tragen.
Aber selbst wenn sich am Ende die Unbilligkeit der Weisung herausstellt, wird das Arbeitsverhältnis in aller Regel irreparabel beschädigt sein. Der Arbeitnehmer wird nach einem langen Rechtsstreit bei ausgesprochener außerordentlicher Kündigung über einen längeren Zeitraum freigestellt gewesen und damit nicht mehr in den Arbeitsablauf integriert sein. In der Praxis werden die Arbeitsvertragsparteien danach nicht mehr erfolgreich zusammenarbeiten können und am Ende wird häufig die (einvernehmliche) Beendigung des Arbeitsverhältnisses stehen. Gewonnen hat damit keine Seite etwas.
Besser Klärung im einstweiligen Rechtschutz
Das häufig gegen die Rechtsprechung des Fünften Senats vorgebrachte Argument der unsachgemäßen, weil langen Verfahrensdauer vor den Arbeitsgerichten und des damit fehlenden Rechtsschutzes gegen unbillige Weisungen verfängt demgegenüber nicht. Gerade Versetzungen wie im vorliegenden Fall erfolgen nicht von heute auf morgen, sondern werden in der Regel unter Beachtung einer angemessenen Ankündigungsfrist ausgesprochen.
Genau für diese Fälle sieht das Gesetz das einstweilige Verfügungsverfahren vor, in dem eine schnelle Klärung der Verbindlichkeit der Weisung erfolgen kann. Da jede Partei im ersten Rechtszug nur ihre eigenen Kosten trägt und viele Arbeitnehmer rechtschutzversichert sind, bleiben die Kosten überschaubar. Für den betroffenen Arbeitnehmer ist es regelmäßig zumutbar für die Dauer des einstweiligen Verfügungsverfahrens der Weisung in jedem Fall nachzukommen. Berücksichtigt man die Möglichkeit, durch einstweiligen Rechtsschutz schnell eine Entscheidung zu erhalten, sind durch dieses Instrument die Interessen beider Parteien des Arbeitsvertrages ausgewogen berücksichtigt.
Ausnahme: Evident unrechtmäßige Arbeitgeberweisungen
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die im Arbeitsvertrag regelmäßig nur grob umrissene Arbeitsleistung im Rahmen des Direktionsrechts durch Weisungen im Arbeitsalltag konkretisiert wird. Im Lichte der Rechtsprechung des BAG kann es nun dazu kommen, dass zwar rechtmäßige, aber unliebsame Weisungen solange verweigert werden, bis eine gerichtliche Klärung eingeholt wurde. Das widerspricht dem auch in § 106 Gewerbeordnung (GewO) verankerten arbeitsrechtlichen Grundsatz der Leistungskonkretisierung durch Weisung.
Unter diesen Gesichtspunkten wäre es daher begrüßenswert gewesen, die frühere Ansicht des Fünften Senats grundsätzlich beizubehalten und die Folgepflicht des Arbeitnehmers nur in offensichtlichen Fällen von unbilligen Weisungen zu verneinen. In solchen Fällen sollte der Arbeitnehmer nicht verpflichtet sein, bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Billigkeit der Weisung an diese gebunden zu sein. Dieser Ansatz verfolgt eine interessengerechtere Risikoverteilung unter Berücksichtigung der Grundsätze des Arbeitsvertragsrechts. Man darf gespannt sein, wie sich der Zweite Senat zu dieser Frage positioniert.
Der Autor Günther H. Heckelmann ist auf das Arbeitsrecht spezialisierter Anwalt und Partner bei Baker McKenzie in Frankfurt.
Unverbindlichkeit unbilliger Arbeitgeberweisungen: . In: Legal Tribune Online, 20.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24613 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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