Die Auslieferung von Maja T. nach Ungarn ist am Mittwoch Thema im Rechtsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Die GenStA Berlin hatte die Person überstellt in dem Wissen, dass Rechtsmittel eingelegt werden. Wie geht es weiter?
Noch hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Gründe für seine Entscheidung den Parteien nicht bekannt gegeben. Fest steht aber: Die 1. Kammer des Zweiten Senats hatte am Freitag entschieden, dass die non-binäre Person (im Folgenden "sie" als Person) Maja T. nicht nach Ungarn ausgeliefert werden darf.
Die Entscheidung kam jedoch T. einige Stunden zu spät – da hatte die Generalstaatsanwaltschaft (GStA) Berlin die 23-Jährige bereits den Österreichern zur Weiterverbringung nach Ungarn übergeben. Dies geschah, obwohl die Berliner Behörde wusste, dass Rechtsmittel eingelegt werden. Der Vorfall wird am Mittwoch im Rechtsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses diskutiert, wie die dpa erfuhr.
Was in Ungarn geschah
T. wurde im Dezember 2023 in Berlin verhaftet. Es geht um Taten, die im Februar 2023 in Ungarn verübt worden sein sollen. Damals soll T. mit einer Gruppe von Menschen nach Budapest gereist sein. Die Gruppe soll dort über mehrere Tage an unterschiedlichen Tatorten insgesamt fünf Taten in unterschiedlicher Besetzung begangen haben. Die Staatsanwaltschaft Dresden hat dazu rund 950 Stunden Videomaterial von den Ungarn bekommen, das auch T. während und nach den Taten und auch den Aufenthalt in der gemieteten Air-BnB-Wohnung zeigen soll. Die Gruppe soll Leuten aus der rechtsextremen Szene aufgelauert, sie verfolgt und dann mit Teleskopschlagstöcken auf sie eingeschlagen haben. Die mutmaßlichen Täter:innen werden von den Behörden als linksextremistisch eingeordnet. Die Gruppe soll sich um die inzwischen verurteilte Lina E. in Jena gegründet haben.
Ungarn erließ im November 2023 wegen der Vorwürfe einen europäischen Haftbefehl gegen T. Das Amtsgericht (AG) Dresden erließ zudem einen nationalen Haftbefehl im Dezember 2023. T. wurde noch im Dezember in Berlin verhaftet und unmittelbar nach Dresden in Untersuchungshaft verbracht.
Über Monate diskutierten die Generalstaatsanwaltschaften daraufhin die Zuständigkeiten: Denn wenn T. wegen des nationalen Haftbefehls festgenommen wurde, wäre das AG Dresden zuständig. Erfolgte die Festnahme wegen des europäischen Haftbefehls, wäre es das Kammergericht (KG) in Berlin. Für Auslieferungsfälle sind zudem stets die Generalstaatsanwaltschaften zuständig. Darüber hinaus hatte sich auch der Generalbundesanwalt am Bundesgerichtshof (BGH) wegen Ermittlungen wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung eingeschaltet. Ob der tatsächlich auf seine Zuständigkeit verzichtet hat oder dies in ein Schreiben hineingelesen wurde, ist bis heute nicht ganz klar.
Auslieferungsrechtler: "Zuständigkeit spielt in dem Fall keine Rolle"
"Schlussendlich spielen die Zuständigkeitsfragen aber keine Rolle", erklärt Dr. Nikolaos Gazeas von der Kölner Kanzlei Gezeas Nepomuck. Selbst Verstöße gegen die Regelungen aus § 14 Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) würden die Amtshandlungen nicht rechtswidrig werden lassen, solange keine Willkür vorlag. Die Zuständigkeitsfrage habe auf das Verfahren keine Auswirkung.
Generell werde bei einem Auslieferungsersuchen wie dem aus Ungarn wegen sogenannten Katalogstraftaten nicht viel geprüft. Entscheidend sei, dass das Auslieferungsersuchen vorliegt, der Vorwurf von Taten – in T.s Fall die Mitgliedschaft in einer krimineller Vereinigung, versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung – im Raum stehen und keine Auslieferungshindernisse bestehen, so Gazeas.
Gerade was Auslieferungshindernisse anbelangt, hatten die Anwälte von T. – Maik Elster und Sven Richwin – intensiv und vor dem KG erfolglos vorgetragen. Was Rechtsstaatlichkeit und Haftbedingungen angeht, stand Ungarn in den vergangenen Jahren in der Kritik. Streitigkeiten über Auslieferungen in das Land gingen noch bis vor einigen Jahren bis zum Europäische Gerichtshof (EuGH). Bei einem Ungarn wurde die Auslieferung schließlich als rechtmäßig erachtet (EuGH, Urt. v. 25.07.2018, Az. C-220/18C), auf Zusicherungen zu den Haftbedingungen müssten sich Mitgliedstaaten verlassen können. Ob dies Insbesondere auch für Kritiker der eher rechts einzuordnenden Regierung gelten kann, wurde noch während T.s Auslieferungsverfahren von Menschenrechtsorganisationen bezweifelt.
Aus Sicht von Gazeas liegt der eigentliche "Skandal" aber in dem Vorgehen der GenStA Berlin.
Der zeitliche Ablauf
Am Donnerstag, dem 27. Juni hat das KG die Auslieferung von T. für zulässig erklärt. Die Anwälte haben diese Information nach eigenen Angaben am selben Tag um 17.26 Uhr erhalten. Anwalt Elster erhielt mitten in der Nacht gegen 3 Uhr dann einen Anruf, dass mit der Überstellung begonnen worden sei. Gegenüber LTO erklären die Anwälte, dass sie die Beamten informiert hätten, dass sie weitere Rechtsmittel einlegen werden – das geht in dieser Phase nur noch über das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit der Verfassungsbeschwerde und einem Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung.
Die Beamten setzten die Überstellung fort und übergaben T. am Freitagmorgen um 6.50 Uhr zwecks Durchlieferung nach Ungarn an die österreichischen Behörden, teilte die GenStA mit. Um 7.38 Uhr ging der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim BVerfG ein, darüber informierte das BVerfG die GenStA Berlin telefonisch gegen 8:30 Uhr.
Der Beschluss des BVerfG erging gegen 10.50 Uhr, auch darüber informierte das BVerfG die GenStA und den Anwalt von T. gegen 11 Uhr. Da war es aber für T. schon zu spät: Die GenStA Berlin informierte das BVerfG mit E-Mail von 11.47 Uhr, dass T. bereits um 10 Uhr an die ungarischen Behörden übergeben worden sei.
GenStA erklärt die Sache für erledigt
Der Beschluss des BVerfG lautet wörtlich: "Die Übergabe des Antragstellers an die ungarischen Behörden wird bis zur Entscheidung über die noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Wochen, einstweilen untersagt." Und weiter: "Die GenStA Berlin wird angewiesen, durch geeignete Maßnahmen eine Übergabe des Antragstellers an die ungarischen Behörden zu verhindern und seine Rückführung in die Bundesrepublik Deutschland zu erwirken."
Mit einer eigenen Pressemitteilung erklärte die GenStA dazu noch am Freitag: T. habe sich schon nicht mehr im Bundesgebiet befunden, als sie von dem Eilantrag an das BVerfG in Kenntnis gesetzt wurde. Deshalb habe die GenStA rechtlich keine Möglichkeit mehr gehabt, die weitere Durchführung der Auslieferung zu stoppen.
Und weiter: "Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin kann der einstweiligen Anordnung nicht mehr nachkommen, weil sich die um 10.50 Uhr beschlossene einstweilige Verfügung […] durch die […] erfolgte Übergabe […] an die ungarischen Behörden erledigt hat. Die 'Übergabe' konnte nicht mehr 'verhindert' werden. Ein Auftrag an die Generalstaatsanwaltschaft Berlin, die Rückführung aus der Republik Ungarn zu erwirken, ist der einstweiligen Anordnung nicht zu entnehmen."
Die österreichischen Behörden hätten die Durchlieferung zudem auf Antrag der ungarischen Behörden vorgenommen und nicht auf ein Ersuchen der deutschen Behörden. Ein solches habe daher auch von der GenStA Berlin nicht zurückgenommen werden könnten. "Von hiesiger Seite war der Vollzug der Auslieferung mit der Übergabe von Maja T. an die österreichischen Behörden abgeschlossen."
Die GenStA teilte weiter mit, sie habe das BVerfG um einen Hinweis gebeten, ob der Senat die Rechtsauffassung der GenStA Berlin teilt, dass sich die einstweilige Anordnung erledigt hat.
Das BVerfG teilte der GenStA Berlin und T.s Anwälten daraufhin mit, dass "ein richterlicher Hinweis auf das Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Berlin nicht erforderlich" erscheine. Ob aus dieser Formulierung zu schließen ist, dass sich die Sache tatsächlich erledigt hat oder die Anordnung des BVerfG so eindeutig ist, dass es keines weiteren Hinweises bedarf, wird von den Beteiligten derzeit nicht kommentiert.
Auslieferungsrechtler kritisieren "Nacht-und-Nebel-Aktion"
Kai Peters, Rechtsanwalt bei Ignor & Partner in Berlin, erklärt gegenüber LTO, die Überstellung von T. nach Österreich sei offenbar aufgrund eines sogenannten Durchlieferungsersuchens erfolgt. Da dieses Ersuchen von Ungarn an Österreich gestellt und von dort auch bewilligt worden sein solle, hätten deutsche Behörden ab diesem Zeitpunkt nichts mehr erreichen können. Denn die Bewilligung eines Durchlieferungsersuchens begründe einen völkerrechtlichen Einzelfallvertrag, der von Österreich im Fall einer Rücküberstellung nach Deutschland verletzt worden wäre.
"Die Aktion der deutschen Behörden war deswegen möglicherweise nicht rechtswidrig, aber offenbar von langer Hand orchestriert, um den Umstand auszunutzen, dass das deutsche Auslieferungsverfahren kein Rechtsmittel vorsieht", so der Berliner Anwalt. "Da mit einer Verfassungsbeschwerde sicher gerechnet werden musste, ist dies eines Rechtsstaates nicht würdig."
So sieht es auch Anwalt Gazeas. Für ihn ist "die Art und Weise des Vollzugs der Auslieferung in einer Nacht-und-Nebel-Aktion unmittelbar nach der Entscheidung des KG nicht nur befremdlich, sondern in Ansehung des ganz klar zu erwartenden Rechtsmittels an das BVerfG rechtswidrig", so der Anwalt gegenüber LTO. "Ein solches Vorgehen kenne ich von Schurkenstaaten wie Russland und dem Iran, nicht jedoch von einem Rechtsstaat. Das Vorgehen ist beschämend."
Außerordentliche Rechtsmittel zum BVerfG seien in Auslieferungssachen nahezu zum Standard geworden, weil das Gesetz kein weiteres ordentliches Rechtsmittel gegen die Entscheidung zulasse. "Dies wissen – selbstverständlich – die zuständigen Generalstaatsanwaltschaften ebenso wie die mit Auslieferungen betrauten Polizeibehörden", so Gazeas. "Das Vorgehen im Fall T. kann ich nicht anders bewerten als den – am Ende erfolgreichen – Versuch, eine gerichtliche Entscheidung, die im Sinne der GenStA ergangen ist, sofort zu vollstrecken, bevor das BVerfG ihm einen Strich durch die Rechnung macht. Anders ist nicht zu erklären, warum in einem Fall, in dem die Festnahme im Dezember 2023 erfolgte und die Zulässigkeitsentscheidung zur Auslieferung erst ein halbes Jahr später, so viel Zeitdruck bestanden haben soll, dass binnen Stunden mit der Auslieferung begonnen werden sollte", so der Anwalt. Aus seiner Sicht müsse "das Verhalten der Generalstaatsanwaltschaft bei Licht betrachtet nicht nur als rechtswidrig erklärt werden, sondern auch Konsequenzen haben".
Ob es dazu kommt, kann sich am Mittwoch bei der der Sitzung im Abgeordnetenhaus zeigen. "Ungarn ist ein offen queerfeindlicher Staat und die Behörden wussten, dass es einen Eilantrag am BVerfG gegen die Auslieferung geben wird", sagte der queerpolitische Sprecher der Grünen, Sebastian Walter, dpa. "Deshalb fragen wir uns, warum es über Nacht diese plötzliche Eile gab, für die uns keine vergleichbaren Fälle bekannt sind."
Mit Material von dpa
Auslieferung von Maja T.: . In: Legal Tribune Online, 03.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54923 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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