Der Bundestag hat einem Gesetzentwurf zur Einstufung von Georgien, Algerien, Tunesien und Marokko als sichere Herkunftsstaaten zugestimmt. Asylrechtler und Flüchtlingsorganisationen äußerten erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.
Nach einstündiger Debatte hat der Bundestag den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einstufung Georgiens, Algeriens, Marokkos und Tunesiens als sichere Herkunftsstaaten mit 509 Ja-Stimmen angenommen. 138 Abgeordnete stimmten dagegen, es gab vier Enthaltungen. Einzig Vertreter der Fraktionen der Grünen und der Linkspartei sprachen sich am Freitag im Plenum gegen den Entwurf der Bundesregierung aus. Der Ausschuss für Inneres und Heimat hatte dazu eine Beschlussempfehlung vorgelegt.
Mit dem Gesetz sollen Asylverfahren von Staatsangehörigen dieser Staaten schneller zu Ende gebracht werden: Wer aus diesen Ländern stammt, soll nach Ablehnung seines Asylantrags unkomplizierter als bisher zurückverbracht werden können. Deutschland werde dadurch als Zielland für diejenigen Flüchtlinge unattraktiver, die eher aus wirtschaftlichen Gründen einen Asylantrag stellen, so die Intention der Bundesregierung. Unberührt davon bleibe natürlich der Anspruch auf individuelle Einzelfallprüfung.
Der Innenausschuss hatte den Regierungsentwurf nur noch dahingehend ergänzt, dass es Zugang zu einer speziellen Rechtsberatung für bestimmte Ausländergruppen aus sicheren Herkunftsstaaten gewährt werden soll (§ 29a des Asylgesetzes).
Lob von der AfD
Die Regierung begründete ihren Entwurf damit, dass viele Asylanträge von vornherein sehr geringe Erfolgsaussichten hätten. Die Einstufung von Staaten als sichere Herkunftsstaaten biete die Möglichkeit, Anträge zügiger bearbeiten und entscheiden zu können. Der SPD-Abgeordnete Helge Lindh sagte, die Regelung sei wichtig, um bei den Menschen aus diesen Ländern "nicht falsche Hoffnungen" auf eine Zukunft in Deutschland zu wecken. Sie sei "Ausdruck eines gesunden Pragmatismus". Ähnlich argumentierte in der Debatte auch der Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU). Von der AfD-Fraktion gab es dafür Lob: Ihr Abgeordneter Lothar Maier begrüßte es, dass die Position der AfD übernommen worden sei.
Während Große Koalition, FDP und AfD mehrheitlich für die Gesetzesänderung stimmten, kritisierten Politiker der Grünen und der Linkspartei, Flüchtlingsorganisationen, der Lesben- und Schwulenverband sowie Juristen die Entscheidung.
Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl widerspreche die Einstufung von Algerien, Marokko, Tunesien und Georgien als sichere Herkunftsstaaten den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, wonach Sicherheit vor Verfolgung "landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen bestehen" müsse (Beschl. v. 14.05.1996, 2 BvR 1507/93, 2 BvR, 1508/93). In allen zur Debatte stehenden Ländern würden Minderheiten diskriminiert und insbesondere Homosexualität geahndet.
"Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit"
Der Rechtsanwalt und Lehrbeauftragte für Migrationsrecht an der Universität Düsseldorf, Marcel Keienborg, folgt dem Argument der Flüchtlingsorganisation. Er nannte die Entscheidung des Bundestags im Gespräch mit LTO "verfassungsrechtlich bedenklich". Zu Recht weise Pro Asyl in diesem Zusammenhang auf die Vorgaben des BVerfG hin. In allen vier Staaten sei die Situation lesbischer, schwuler, bisexueller, trans- und intergeschlechtlicher Menschen prekär. In Algerien, Tunesien und Marokko drohe die strafrechtliche Verfolgung homosexueller Handlungen.
Soweit die Bundesregierung schnellere Abschiebungen verspricht, betreibe sie zudem Augenwischerei, meint Keienborg: "Asylanträge von Personen aus diesen Ländern als mehr oder weniger offensichtlich unbegründet abzulehnen, war auch auf Basis der bislang geltenden Rechtslage unproblematisch möglich. Viele Abschiebungen scheitern eher an fehlenden Papieren oder sonstigen Abschiebungshindernissen; hieran ändert die Einstufung dieser Länder als sichere Herkunftsländer jedoch gerade nichts."
Auch der Asylrechtler Dr. Constantin Hruschka vom Münchener Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik kritisierte gegenüber LTO die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten. Er meint, die Diskussion sei "grundsätzlich geeignet, den Flüchtlingsschutz insgesamt zu diskreditieren, da der Fokus stark auf den Missbrauch des Asylverfahrens gerichtet ist."
Problematisch seien außerdem die Folgen für die Personen im Asylverfahren, denn die gesetzliche Einstufung führe zu einer "faktisch dauerhaften Wohnverpflichtung von Asylsuchenden aus diesen Staaten in einem Erstaufnahmezentrum und ebenso zu einem Arbeitsverbot". Das widerspräche zum einen der EU-Aufnahmerichtlinie, die die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende während des Verfahrens regelt, und stelle zum anderen hinsichtlich des Zugangs zum Recht eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar, die sich rechtlich nicht rechtfertigen lasse. "Denn es wird pauschal an die Staatsangehörigkeit und die Schutzquote angeknüpft, das trifft die gesamte Gruppe", so Hruschka.
Dr. Winfried Kluth, Professor für öffentliches Recht an der Universität Halle-Wittenberg und Leiter der Forschungsstelle Migrationsrecht, hält schon die Entscheidungsgrundlage bei derartigen Asyl-Verfahren für "problematisch": Die derzeit üblichen Verfahren zur Einschätzung der Gefahrenlage seien unzureichend ausgestaltet. Es bedürfe "eines größeren Einsatzes von wissenschaftlichen Sachverstand und einer besseren Transparenz des Verfahrens", wonach Länder als sichere Herkunftsstaaten deklariert würden. Das gelte auch in den Fällen, in denen Gerichte über Abschiebungsverbote entscheiden müssen, so Kluth gegenüber LTO. Kluth hatte diese Ansicht bereits auf dem vergangenen Deutschen Juristentag geäußert.
CDU: Grüne haben "keinen moralischen Alleinstellungsanspruch"
Der Lesben- und Schwulenverband LSVD hatte zuvor noch an die Politiker der großen Koalition erfolglos appelliert, von einer Einstufung der "Verfolgerstaaten" zu "sicheren Herkunftsländern" abzusehen.
Wer die Hand dafür hebe, der bewirke unter anderem, "dass die internationalen Bemühungen zur Entkriminalisierung von Homosexualität massiv zurückgeworfen und Menschenrechtverteidigerinnen und -verteidiger vor Ort im Stich gelassen werden".
In der Bundestagsdebatte hatte die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen, Luise Amtsberg, den Entwurf als überflüssig bezeichnet, da die Zahl der Asylanträge von Menschen aus diesen Ländern zuletzt ohnehin stark zurückgegangen sei. Die Zahl der Abschiebungen nach Georgien und in die Maghreb-Staaten habe dagegen deutlich zugenommen.
Der CDU-Abgeordnete Alexander Throm sagte, Abschiebungen seien nicht nur für die Grünen ein schmerzhaftes Thema, sondern auch für Politiker anderer Parteien, für die Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und für die Bundespolizisten, die diese Ausländer außer Landes bringen müssten. Die Grünen hätten "keinen moralischen Alleinstellungsanspruch". Durch ihre Blockadehaltung bei dieser Asylrechtsänderung riskierten sie die Akzeptanz der Bevölkerung für das relativ liberale deutsche Asylrecht.
Gesetz könnte noch im Bundesrat scheitern
Die große Koalition war 2017 allerdings mit einem ähnlichen Entwurf zu den Maghreb-Staaten im Bundesrat am Widerstand mehrerer Länder gescheitert, in denen Grüne beziehungsweise die Linkspartei mitregieren. Ähnliches könnte auch diesmal wieder passieren. Pro Asyl appellierte daher an die rot und grün (mit-)regierten Bundesländer, "sich bereits jetzt von dieser Mogelpackung zu distanzieren". Die Länderkammer wird voraussichtlich am 15. Februar über das gesetz abstimmen.
Keine Mehrheit erzielte am Freitag im Bundestag ein weitergehender Entschließungsantrag der FDP-Fraktion zu dem Gesetzentwurf. Die FDP wollte mit diesem die Bundesregierung auffordern, erstmalig bis Ende 2019 zu prüfen, inwieweit noch bestimmte weitere Staaten als sichere Herkunftsländer eingestuft werden könnten, darunter beispielsweise Indien, Vietnam und die Ukraine.
Wenn eine Vorprüfung eine positive Einschätzung für die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat erbringen sollte, sollte die Regierung nach dem Willen der FDP eine vollständige Prüfung veranlassen müssen. Der FDP-Antrag wurde allerdings mit 495 zu 150 Stimmen abgelehnt - und erhielt damit mindestens 70 Stimmen aus anderen Fraktionen.
Mit Material von dpa
Maghreb-Staaten und Georgien als sichere Herkunftsländer: . In: Legal Tribune Online, 18.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33319 (abgerufen am: 21.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag