Arbeitsrechtliche Gleichbehandlung: Die anonymisierte Bewerbung als Wille und Vorstellung

Der anonyme Lebenslauf als Standard im Bewerbungsverfahren ist in anderen Ländern längst Realität, nun soll ein Pilotprojekt in Deutschland starten. Aber wird eine Diskriminierung damit nicht nur verlagert? Christian Oberwetter zeigt, dass jedenfalls nicht mehr Entschädigungsforderungen zu erwarten sein dürften – und warnt vor einer Überdehnung der Beweislastkriterien nach dem AGG.

Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) Christine Lüders möchte, dass anonymisierte Lebensläufe Standard in Bewerbungsverfahren werden. Am Mittwoch kündigte sie gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung an, dass nun ein Pilotprojekt mit anonymisierten Stellenbewerbungen beginne.

Dafür habe sie drei große deutsche Unternehmen aus dem Dax und zwei internationale Konzerne gewinnen können, so Lüders.

Auf den Lebensläufen sollen weder Foto noch Name, Geburtsdatum oder Familienstand erkennbar sein. Zur Begründung verweist die ADS darauf, dass zum Beispiel türkischstämmige Bewerber bei Bewerbungen eklatant benachteiligt würden. Nach einer Studie des Instituts der Zukunft der Arbeit reiche allein ein türkischer Nachname aus, um die Chancen um 14% sinken zu lassen.

Nur aufgeschoben statt aufgehoben?

Der anonymisierte Lebenslauf ist in den USA und Großbritannien schon Praxis, in Frankreich wird dieses Verfahren derzeit getestet. Zunächst einmal hört sich ein entpersonalisierter Lebenslauf gut an: Eine Diskriminierung in der Vorauswahl von Bewerbern ist schlichtweg nicht mehr möglich, denn dem potenziellen Arbeitgeber wird jede Möglichkeit dazu genommen.

Die Befürworter des anonymisierten Lebenslaufes weisen auch die naheliegende Folgerung von sich, dann werde die Benachteiligung des Bewerbers lediglich auf das Bewerbungsgespräch verschoben. Wer sich von den Qualitäten eines Bewerbers in einem Gespräch überzeugen lasse, werde sich durch dessen Abstammung oder dessen Geschlecht nicht davon abhalten lassen, ihn einzustellen. Das könnte so sein - sollte es zumindest.

Von nicht geringer Brisanz ist allerdings die Frage, ob durch das anonymisierte Bewerbungsverfahren mit einer Zunahme von Entschädigungsforderungen wegen Diskriminierung zu rechnen ist.  Wieso das, wenn durch das Verfahren doch Benachteiligungen vermieden werden?

Verschlimmbesserung durch Verlagerung?

Ein Arbeitgeber wird eine kleine Anzahl von Kandidaten zu einem Bewerbungsgespräch einladen. Diese Kandidaten haben von ihrer beruflichen Qualifikation her die gleichen Voraussetzungen und sind auf dem Papier alle gleich geeignet für die zu besetzende Position.

Nehmen wir den nicht untypischen Fall an, der Arbeitgeber entscheidet sich für den 35 Jahre alten ethnisch deutschen männlichen Bewerber und erteilt einem türkischstämmigen Bewerber, einem 50 Jahre alten Bewerber und einer 45 Jahre alten Bewerberin eine Absage.

Liegt dann nicht die Vermutung nahe, die abgelehnten Bewerber seinen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihres Alters oder ihres Geschlechts benachteiligt worden? Schließlich sind die Bewerber aufgrund ihrer Qualifikation eingeladen worden und ausgeschieden, nachdem der Arbeitgeber registriert hat, dass ihre Abstammung, ihr Alter oder ihr Geschlecht nicht seinen Erwartungen entspricht.

Ein fehlendes Diskriminierungsmerkmal macht noch keine Diskriminierung

Naheliegend hin oder her - im Sinne einer Entschädigungsforderung verwertbar ist eine solche Vermutung nicht. § 22 AGG setzt als Grundlage eines Anspruchs voraus, dass Indizien vorliegen müssen, die eine unzulässige Benachteiligung vermuten lassen.

Allein die Tatsache, dass jemand eingestellt wurde, der gleich geeignet war, aber kein Merkmal nach § 1 AGG aufweist, reicht nicht aus, um eine Diskriminierung vermuten zu lassen. Der abgelehnte Bewerber muss vielmehr weitere Tatsachen vortragen, die eine unzulässige Benachteiligung vermuten lassen, zum Beispiel, dass er besser qualifiziert sei als der eingestellte Bewerber.

Das ist auch gut so.  Die Beweislastkriterien nach dem AGG dürfen nicht überdehnt werden – anderenfalls setzen wir uns der Gefahr aus, (wie in den USA bereits geschehen)  aus Furcht vor Entschädigungsansprüchen nicht den Kandidaten einzustellen, der am besten geeignet ist, sondern denjenigen, der zwar auch geeignet ist, aber zusätzlich ein Diskriminierungsmerkmal aufweist.

Der Autor Christian Oberwetter, Rechtsanwalt und Maître en droit, ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und IT-Recht in Hamburg und Verfasser zahlreicher Publikationen auf diesen Gebieten.

Zitiervorschlag

Christian Oberwetter, Arbeitsrechtliche Gleichbehandlung: . In: Legal Tribune Online, 30.06.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/857 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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