Nachdem sich die schwarz-grüne Koalition in Baden-Württemberg auf weitreichende neue Befugnisse für Polizei und Verfassungsschutz geeinigt hat, stellt sich die Frage, wer beim Thema Sicherheit überhaupt noch auf die Bremse tritt.
In Baden-Württemberg haben sich CDU und Grüne nach langem Streit auf ein Anti-Terror-Paket geeinigt. Auch die SPD stimmte am Mittwoch im Landtag für die Gesetzesänderungen. Die FDP war dagegen, die AfD enthielt sich.
Polizei und Verfassungsschutz bekommen neue Befugnisse und sollen so Terroranschläge frühzeitig verhindern können. Dazu gehört die präventive Überwachung von Telekommunikation (TKÜ) einschließlich der Quellen-TKÜ, bei der etwa Chatnachrichten direkt auf dem Handy der überwachten Personen ausgelesen werden können. Das funktioniert, indem die Behörden unbemerkt eine Software aufspielen – den Staatstrojaner.
Nach dem ersten Gesetzentwurf von CDU und Grünen wäre sogar in Fällen allgemeiner Kriminalität eine weitreichende Überwachung möglich geworden. Nach heftiger Kritik, unter anderem vom Datenschutzbeauftragten des Landes, Stefan Brink, besserte die Koalition noch auf den letzten Metern nach und stellte klar, dass ein Terrorverdacht bestehen oder es um etwaige schwere Kriminalität gehen muss.
Umstritten ist die Quellen-TKÜ aber auch deshalb, weil so nicht nur aktuelle Nachrichten, sondern auch der gesamte Chatverlauf der letzten Monate oder Jahre eingesehen werden kann. Deshalb sollen laut Gesetz "technische Maßnahmen" sicherstellen, dass nur die laufende Kommunikation überwacht und aufgezeichnet wird. Das Problem: Eine solche "abgespeckte" Version eines Staatstrojaners muss erst noch entwickelt werden.
Schwarz-grün beschließt eines der schärfsten Landespolizeigesetze
Die CDU wollte zudem eine Rechtsgrundlage für die Online-Durchsuchung schaffen, um Festplatten von Computern oder Handys durchsuchen zu können. Außerdem will sie die Vorratsdatenspeicherung nutzen, die derzeit allerdings leerläuft, weil es Streit um die Speicherpflichten der Telefonanbieter gibt. Beides scheiterte an den Grünen.
Einigen konnte man sich aber auf eine Rechtgrundlage für die "intelligente Videoüberwachung". An Kriminalitätsschwerpunkten und bei öffentlichen Veranstaltungen, die Ziel von Terroranschlägen werden könnten, kann die Polizei dann eine Software einsetzen, um Videoaufnahmen auszuwerten. Die soll Verhaltensmuster erkennen, die auf geplante Straftaten hinweisen, und dann ein Alarmsignal geben.
Die Polizei kann außerdem mutmaßliche Terroristen – sogenannte Gefährder – künftig unter Hausarrest stellen, Kontaktverbote auferlegen und eine elektronische Fußfessel einsetzen, um sie zu überwachen. Und sie darf in bestimmten Fällen nicht nur Schusswaffen, sondern auch Sprengstoff gegen Personen einsetzen.
Aufgrund dieser Änderungen gilt das baden-württembergische Polizeigesetz nun als eines der schärfsten bundesweit. Und die Grünen stehen als neue Partei der inneren Sicherheit da. Ein Signal für die Jamaika-Verhandlungen in Berlin?
Alles schon bekannt, alles umstritten
Wirklich neu sind die meisten baden-württembergischen Regelungen nicht, vieles findet sich wortgleich für das Bundeskriminalamt (BKA) im von der Großen Koalition in der vergangenen Legislaturperiode novellierten BKA-Gesetz. Die Reform war genauso gedacht: Als Vorlage für entsprechende Gesetze auch auf Landesebene.
Neue Sicherheitsgesetze werden deshalb zurzeit auch in vielen anderen Ländern diskutiert. In Niedersachsen haben CDU und SPD zum Abschluss ihrer Koalitionsverhandlungen angekündigt, das Polizeigesetz im kommenden Jahr zu reformieren und darin auch den Hausarrest und die elektronische Fußfessel für Gefährder aufzunehmen.
Auch in Sachsen-Anhalt haben sich CDU, SPD und Grüne auf die Fußfessel geeinigt, in Bayern gibt es sie schon. Dabei ist wohl bei kaum einer anderen Regelung so umstritten, ob sie irgendetwas dazu beitragen kann, Terroranschläge zu verhindern: Der Spiegel berichtete gerade, dass sich ein mutmaßlicher Terrorist trotz Fußfessel kurzerhand per Flugzeug nach Athen abgesetzt haben soll.
Annelie Kaufmann, Anti-Terror-Gesetze: . In: Legal Tribune Online, 17.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25581 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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