Erstmals hat ein deutsches Gericht die Beschlagnahme eines Facebook-Accounts angeordnet. Obwohl der Anlass banal ist, hat die Entscheidung des AG Reutlingen für Aufsehen gesorgt. Denn sollte das Beispiel Schule machen, ist mit einer Flut ähnlicher Anordnungen zu rechnen. Ob das allerdings rechtlich und nicht zuletzt praktisch überhaupt geht, erläutert Kai Peters.
Dass die Möglichkeit der Kommunikation über Facebook nicht nur für harmlose Unterhaltungen, sondern auch zur Planung und Durchführung von Straftaten genutzt wird, gehört zu den gesicherten Erkenntnissen der Kriminalwissenschaft. Das Amtsgericht (AG) Reutlingen vermutet, dass auch der Angeklagte in einem aktuellen Verfahren den Nachrichtendienst des sozialen Netzwerks genutzt hat, um sich mit einem vermeintlichen Einbrecher auszutauschen. Dabei soll er seinem Komplizen den entscheidenden Tipp für den Einbruch gegeben und die spätere Tatausführung vereinbart haben.
Das Gericht hat deshalb die Beschlagnahme der gesamten bei Facebook gespeicherten elektronischen Nachrichten und Chats des Betroffenen angeordnet. Nachdem das soziale Netzwerk allerdings erklärt hat, dass die Daten auf einem Server in Irland gespeichert seien, hat Richter Sierk Hamann den nun wegen Beihilfe zum Einbruchsdiebstahl Angeklagten aufgefordert, die Daten freiwillig preiszugeben. Ansonsten müsse die Anordnung im Wege der Rechtshilfe vollstreckt werden - mit entsprechenden Kosten, die im Falle seiner Verurteilung selbstverständlich vom Angeklagten zu tragen wären.
Dass der Richter an die Nachrichten kommt, wenn der Mann diese nicht freiwillig herausgibt, ist aber keineswegs sicher. Eine Rechtsgrundlage, die ausdrücklich auf die Beschlagnahme so genannter Inhaltsdaten beim Provider zugeschnitten ist, stellt die Strafprozessordnung (StPO) nämlich nicht zur Verfügung. Ob und gegebenenfalls auf welcher Basis die Ermittlungsbehörden auf solche Daten zugreifen können, war deshalb lange umstritten.
Die richtige Rechtsgrundlage ist das Problem
Unklar war insbesondere, unter welchen Voraussetzungen Daten unter das durch Art. 10 des Grundgesetzes geschützte Fernmeldegeheimnis fallen. Die Literatur ging lange davon aus, dass eine Beschlagnahme in diesem Fall nur unter den strengen Voraussetzungen des § 100a StPO gerechtfertigt ist. Die Vorschrift regelt, wann Telekommunikation aufgezeichnet und überwacht werden kann. Derartige Maßnahmen dürfen nur bei Verdacht bestimmter, katalogmäßig aufgezählter Straftaten angeordnet werden, zu denen der Tatbestand des Wohnungseinbruchdiebstahls nicht gehört.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte dagegen in einer Entscheidung vom 31. März 2009, in der es um die Beschlagnahme von E-Mails ging, die Regeln über die Beschlagnahme von Postsendungen analog angewendet (Az. 1 StR 76/09). Anders als für die Überwachung von Telekommunikation genügt hier ein einfacher Tatverdacht und die Maßnahme ist nicht auf bestimmte Straftatbestände beschränkt. Nach dieser Lösung wäre ein Zugriff auf den Facebook-Account wegen des Verdachts des Wohnungseinbruchsdiebstahls ohne weiteres möglich. Wohl nicht zuletzt deshalb hat auch das AG Reutlingen bei seiner Anordnung auf die Normen über die Postbeschlagnahme abgestellt.
Ob der Richter damit die richtige Rechtsgrundlage in den Blick genommen hat, ist allerdings zweifelhaft. Die analoge Anwendung einer Vorschrift setzt das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke voraus. Sie wäre hier also nur dann möglich, wenn das Gericht die Maßnahme nicht auf eine andere Vorschrift der StPO stützen könnte.
Die allgemeine Beschlagnahmebefugnis weist den Weg
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verweist insoweit auf die allgemeine Beschlagnahmebefugnis nach § 94 der StPO. Die Karlsruher Richter haben in ihrer Grundsatzentscheidung zur Beschlagnahme von E-Mails vom 16. Juni 2009 klargestellt, dass die Norm auch eine taugliche Basis für den Zugriff auf E-Mails bildet, die beim Provider gespeichert sind (Az. 2 BvR 902/06). Zwar stelle die Beschlagnahme grundsätzlich einen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis dar. Da es sich jedoch um einen offenen Eingriff außerhalb des eigentlichen Kommunikationsvorgangs handele, könne dieser durch den einfachen Anfangsverdacht einer Straftat gerechtfertigt werden.
Die genannten Grundsätze gelten auch für die Beschlagnahme eines Facebook-Accounts. Dass es vorliegend lediglich um den Vorwurf eines Wohnungseinbruchs geht, hindert die Maßnahme nicht.
Allerdings ist auch bei der Beschlagnahme von Daten auf Facebook in der Regel das verfassungsrechtliche Übermaßverbot zu beachten. Das BVerfG verlangt, dass der Betroffene vor dem Zugriff auf die Daten von den Strafverfolgungsbehörden unterrichtet wird, damit er zumindest der Sichtung seines Datenbestandes beim Provider beiwohnen kann. Das AG Reutlingen hat hingegen ausdrücklich angeordnet, dass die Maßnahme ohne das Wissen des Betroffenen zu erfolgen hat. Wie das zuständige Landgericht diesen Umstand im Falle einer Beschwerde würdigt, bleibt abzuwarten.
Schwieriger Umweg über Irland
Unabhängig von der Frage, ob die Beschlagnahmeanordnung des AG Reutlingen zu Recht ergangen ist, stellt sich außerdem die Frage nach ihrer konkreten Durchsetzbarkeit.
Die Beschlagnahme von Daten, die auf einem außerhalb Deutschlands befindlichen Server gespeichert sind, kann nämlich nur im Wege der Rechtshilfe erfolgen. Um an die Nachrichten auf den irischen Facebook-Servern zu kommen kann sich das Gericht auf das EU-Rechtshilfeübereinkommen vom 29. Mai 2000 berufen, das im Gegensatz zum herkömmlichen Rechtshilferecht vor allem Verfahrenserleichterungen vorsieht. Unter welchen Bedingungen Rechtshilfe geleistet wird, richtet sich in erster Linie nach irischem Recht. Bis die irischen Gerichte über die Durchführung der Beschlagnahme entscheiden, wird es allerdings noch eine Weile dauern.
All dies wird der Betroffene bei seiner Entscheidung, ob er die Daten freiwillig an das Gericht herausgibt, berücksichtigen. Sollte er seine Facebook-Kommunikation lieber für sich behalten wollen und Irland dem Rechtshilfeersuchen des AG Reutlingen nachkommen, kann sich Facebook jedenfalls schon jetzt auf zahlreiche weitere Anfragen deutscher Gerichte einstellen. Wer sich ungestört von den Strafverfolgungsbehörden mit Kriminellen unterhalten will, muss dann auf andere Wege zurückgreifen.
Kai Peters ist Rechtsanwalt und Partner der Strafrechtskanzlei Ignor & Partner in Berlin.
Anklage wegen Einbruchsdiebstahls: . In: Legal Tribune Online, 23.02.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5619 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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