Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat das Dienstzimmer, die Privatwohnung und das Auto des Familienrichters am AG Weimar durchsucht. Rechtsanwalt Gerhard Strate aus Hamburg hält die Vorwürfe für "nicht im Ansatz plausibel".
Die Staatsanwaltschaft (StA) Erfurt hat am Montagmorgen das Dienstzimmer des Familienrichters am Amtsgericht (AG) Weimar durchsucht, zudem seine Privatwohnung und das Auto. Die Ermittler haben das Handy und "weitere Beweismittel" des Richters beschlagnahmt. Der Richter hatte im Rahmen einer Kindschaftssache die Maskenpflicht für alle Schüler an zwei Schulen in Weimar aufgehoben und damit bundesweit für Aufregung gesorgt (Beschl. v. 08.04.2021, Az. 9 F 148/21).
Die Behörde hat nun ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Rechtsbeugung eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft sieht laut eigener Mitteilung Anhaltspunkte dafür, dass der Richter "willkürlich seine Zuständigkeit angenommen hat, obwohl es sich um eine verwaltungsrechtliche Angelegenheit handelte, für die ausschließlich der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist".
Die Zuständigkeit für Rechtsmittel gegen Hoheitsakte liegt bei den Verwaltungsgerichten (VG). Die inzwischen offenbar herrschende Rechtsprechung bewertet die Entscheidung des Familienrichters daher als „ausbrechenden Rechtsakt“ (so u.a. VG Würzburg, Beschl. v. 23.04.2021, Az. W 8 E 21.546, BayVGH, Beschl. v. 16.04.2021, Az. 10 CS 21.1113, VGH BW, Beschl. v. 22.4.2021, Az. 1 S 1007/21). Auch die AG Siegburg, Elmshorn und Itzehoe hatten ähnliche Anträge von Eltern wegen eigener Unzuständigkeit als unzulässig zurückgewiesen. Das AG Hannover hatte mehr als 100 gleichlautende Anträge vorliegen, die Frage der Zuständigkeit aber offengelassen und die Anträge mangels Kindeswohlgefährdung abgelehnt. Das AG Leipzig setze den Gegenstandswert nach Medienberichten in einem vergleichbaren Fall auf 500.000 Euro fest und stellte ein Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls gegen die Mutter in Aussicht, die sich zuvor für ihr Kind gegen die Maskenpflicht wehren wollte (AG Leipzig, Hinweisbeschluss v. 15.04.2021, Az. 335 F 1187/21).
Ähnlich wie der Familienrichter in Weimar entschied nur eine Richterin am AG Weilheim. Im Gespräch mit LTO hatten Verfassungsrechtler und Richter höherer Instanzen die Entscheidungen aus Weimar und Weilheim zumindest nicht als ausbrechenden Rechtsakt bzw. Scheinbeschluss und damit als unmittelbar unwirksam qualifiziert*.
Mit der Einordnung als "Scheinbeschluss" hatte sich jedoch das Bildungsministerium in Thüringen von Anfang an positioniert.
StA sieht Anfangsverdacht
Bei der StA Erfurt ist der Richter nun ein Beschuldigter. Es bestehe der Anfangsverdacht, "dass er sich bei dieser Entscheidung einer Beugung des Rechts schuldig gemacht hat, indem er sich bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt hat, seine Entscheidung also von den gesetzlichen Vorschriften nicht mehr getragen wird, so dass sie willkürlich erscheint".
Ein Anfangsverdacht ist gegeben, wenn es aufgrund konkreter Tatsachen nach der kriminalistischen Erfahrung als möglich erscheint, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt. Ob ein Hauptverfahren gegen den Richter tatsächlich eröffnet oder eine Verurteilung erfolgen wird, ist damit nicht gesagt. Elf Strafanzeigen hatte die StA Erfurt gegen den Richter zuletzt vorliegen.
Verteidiger Strate: "Vorwurf Rechtsbeugung nicht im Ansatz plausibel"
Der Richter hat sich nunmehr mit Dr. iur. h.c. Gerhard Strate aus Hamburg einen bundesweit renommierten Anwalt genommen. Strate hatte selbst nicht mit eigener Kritik an den Corona-Maßnahmen zurückgehalten und diverse Beiträge dazu publiziert.
Der Richter hatte in dem von ihm zu entscheidenden Verfahrens Dritte im Sinne von § 1666 Abs. 4 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), gegenüber denen er glaubte, das Kindeswohl sicherzustellen, auch die Vertreter der Schulen gesehen. "Ob unter den Begriff auch öffentliche Institutionen fallen, dazu gibt es in den großen Kommentaren weder verneinende noch bejahende Ausführungen", sagt Strate. Das anzunehmen, sei damit jedenfalls vertretbar und der Vorwurf der Rechtsbeugung durch den Richter "nicht im Ansatz plausibel".
Der Anwalt hat nun Akteneinsicht bei der StA Erfurt beantragt, Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung durch den Richter am AG Erfurt eingelegt und wird diese nun noch begründen – allesamt Standardmaßnahmen eines Strafverteidigers in so einem Fall. Strate hat bereits diverse Richter wegen des Vorwurfs der Rechtsbeugung vertreten, der bekannteste ist wohl Ronald Schill, dessen Schuldspruch vom Bundesgerichtshof mit Strates Hilfe aufgehoben worden war (Urt. v. 04.09.2001, Az.5 StR 92/01). Strate ist auch jetzt überzeugt: "Im Rahmen seiner richterlichen Unabhängigkeit konnte der Familienrichter diese Auffassung vertreten."
Zwei Richter verhandeln weiter
Der Familienrichter verhandelt derweil weiter seine Fälle. Ebenso wie sein Kollege, der im Januar in einer Ordnungswidrigkeiten-Sache auf Freispruch geurteilt hatte, was ebenfalls für bundesweites Aufsehen gesorgt hatte. Auch gegen diesen Richter am AG Weimar läuft ein Ermittlungsverfahren.
Zuständig wäre auch hier die StA Erfurt. Die bittet in diesem Fall allerdings die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft in Jena, das Verfahren der Staatsanwaltschaft Gera zuzuweisen. Bislang liegt das Verfahren der Generalstaatsanwaltschaft noch nicht vor. Hintergrund der Bitte aus Erfurt ist – so ist aus Justizkreisen zu vernehmen – dass die StA sich für befangen hält.
Unterdessen ist der Beschluss des Familienrichters immer noch in der Welt: Das Oberlandesgericht (OLG) als zuständige Rechtsmittelinstanz für die Beschwerde gegen den Beschluss hat den Beteiligten noch eine Frist zur Stellungnahme gesetzt. Wahrscheinlich ist, dass das OLG im Mai entscheiden wird.
*Satz geändert zur Klarstellung am 28.04.21, 10.39h (Red. tap)
Staatanwaltschaft sieht Verdacht auf Rechtsbeugung: . In: Legal Tribune Online, 27.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44822 (abgerufen am: 21.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag