Am 7. Februar 1992 unterzeichneten Vertreter der europäischen Mitgliedsstaaten im niederländischen Maastricht den Vertrag über die Europäische Union und brachten so den Euro auf den Weg. Der Vertrag gilt als wichtiger Meilenstein im Zusammenwachsen Europas - angesichts der andauernden Schuldenkrise macht sich heute jedoch vermehrt Ernüchterung breit. Von André Niedostadek.
Auch wenn es den Politikern dieser Tage nicht danach zumute sein mag, es gibt doch einen Grund zum Feiern: Heute vor genau 20 Jahren wurde mit dem Vertrag von Maastricht europäische Geschichte geschrieben. Wenige Wochen vor seiner Unterzeichnung am 7. Februar 1992 hatten die Staats- und Regierungschefs der damaligen Mitgliedstaaten die Eckpunkte für ein neues Vertragswerk ausgehandelt.
Nach den Römischen Verträgen von 1957 war damit ein zentraler Meilenstein auf dem Weg hin zu einer europapolitischen Union gesetzt. In Zeiten der andauernden Krise der Gemeinschaftswährung "Euro" allerdings steht für viele hinter der gesamten Entwicklung mittlerweile ein großes Fragezeichen. So vergeht kaum ein Tag, an dem nicht Kritik am "Projekt Europa" geübt wird. Auch ohne offizielle Feierlichkeiten zum Jubiläum hat sich Katerstimmung breit gemacht. Aber warum eigentlich? Fast scheint es so, als wolle man das Geburtstagskind dafür verantwortlich machen, wenn die Gäste aus der Reihe tanzen.
Die Geister, die ich rief …
Fest steht, dass der Maastricht-Vertrag eine wichtige Zäsur und einen Durchbruch darstellt, indem er nämlich eine neue Architektur des Gebildes "Europa" festlegte. Dominierte bis dahin die wirtschaftliche Integration, kam nun die politische Dimension hinzu und zwar in Form der Europäischen Union, die einen umfassenden Rahmen bildet.
Einige der wichtigsten Eckpunkte dieses Rahmens nun fallen uns dieser Tage vor die Füße. Rückblickend mag sich so mancher ein wenig an Goethes Ballade vom "Zauberlehrling" erinnert fühlen. Dieser ist zunächst ganz angetan von seinem Wirken, bald aber wächst ihm die Situation über den Kopf und er spricht die inzwischen schon geflügelten Worte: "Die ich rief, die Geister, / Werd' ich nun nicht los".
Dabei geht es zunächst um die erste Säule unter dem Dach der Europäischen Union. Sie umfasst begrifflich etwas verwirrend die so genannten Europäischen Gemeinschaften. Ein wesentlicher Baustein dessen und quasi das Herz des Vertrags von Maastricht bildet dabei die Wirtschafts- und Währungsunion. Hier sah der Vertrag vor, die Landeswährungen schrittweise bis 2002 abzuschaffen und eine einheitliche Währung einzuführen (tatsächlich feiert der Euro als Bargeld im Dezember 2012 ebenfalls einen runden Geburtstag). Zumindest zwölf der damaligen 15 Mitgliedsstaaten beteiligten sich daran. Heute besteht die Eurozone aus 17 Ländern der Europäischen Union sowie sechs weiteren europäischen Staaten, die den Euro seit 1999 eingeführt haben.
Darüber hinaus verpflichteten sich die Mitgliedsstaaten dazu, die so genannten EU-Konvergenzkriterien – manchmal auch Maastricht-Kriterien genannt – einzuhalten. Hier geht es darum, bestimmte Vorgabewerte einzuhalten, um die wirtschaftliche Stabilität innerhalb des Euroraums zu sichern. Doch Papier ist bekanntlich geduldig, und die Praxis hat zugegebenermaßen über die Jahre hinweg vielfach ein anderes Bild gezeichnet – siehe das traurige Beispiel Griechenland.
Finanzpolitische Säulen dominieren die EU-Tagespolitik
Neben alledem etablierte der Vertrag von Maastricht eine neue Institution, die aktuell immer wieder selbst in das Fadenkreuz gerät: Die Europäische Zentralbank (EZB) mit Sitz in Frankfurt am Main. Als unabhängige Notenbank für die gemeinsame Währung obliegt es ihr, die Kaufkraft des Euro und somit die Preisstabilität im Währungsraum zu gewährleisten. Im Zuge der Krise musste sich nun auch die EZB wegen ihrer Geldpolitik von unterschiedlicher Seite Kritik gefallen lassen, etwa in Bezug auf den Ankauf von Staatsanleihen.
Im Zuge der Eurokrise dominieren die genannten Eckpunkte nach wie vor das europaweite Politikgeschehen. Dagegen treten zwei weitere wichtige Säulen des Vertrags von Maastricht schon fast in den Hintergrund, die ebenfalls das politische Zusammenwachsen dokumentieren: Zu nennen sind neben der engeren Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik (zweite Säule) die Innen- und Justizpolitik (dritte Säule). Beide haben sich in den vergangenen Jahren als äußerst dynamische Politikfelder entwickelt.
Zu ergänzen ist, dass sich der Vertrag von Maastricht schon früher diverser Bewährungsproben unterziehen musste. So bestätigte das Bundesverfassungsgericht mit seinem Maastricht-Urteil vom 12. Oktober die Vereinbarkeit des Vertrags mit dem deutschen Grundgesetz (Az. 2 BvR 2134, 2159/92).
Das Projekt bleibt dynamisch
Unterm Strich ist und bleibt das Zusammenwachsen Europas ein ehrgeiziges und einmaliges Projekt ohne Vorbild. Für das Gelingen gibt es kein Patentrezept. Und es lohnt, sich zu vergegenwärtigen, dass auch in den Jahren vor Maastricht europaweit im politischen Geflecht nicht nur eitel Sonnenschein herrschte. Das Ende des Ost-West-Konflikts hatte völlig neue Realitäten geschaffen. So manche Nachbarn beargwöhnten insbesondere die Entwicklungen hierzulande in den Jahren 1989/1990. Sie trieb die Sorge, es könnte ein zu einflussreiches Deutschland entstehen, das andere europäische Staaten auf das Hintertreppchen verweist. Sich in einer entsprechenden Gemengelage darauf zu verständigen, dem europäischen Einigungsprozess mit dem Vertrag von Maastricht neuen Schwung zu verleihen, ist auch heute noch ein großer Erfolg.
Anders als Niederlagen haben Erfolge bekanntlich viele Väter und Mütter. Vor allem von deutscher und französischer Seite machte man sich damals für ein gemeinsames Europa stark. Frappierend erscheinen insofern die Parallelen zu heute: Die Vertreter der beiden größten Volkswirtschaften, das Tandem "Merkozy", hat gerade im zurückliegenden Krisenjahr immer wieder eine Richtung vorgezeichnet.
Dabei bleibt das gesamte Projekt dynamisch. Der Vertrag von Maastricht hat seinerzeit wichtige Impulse gesetzt, die über viele Jahre hinweg bestimmend waren. Inzwischen ist die Entwicklung nicht zuletzt durch neue Verträge (1997 Amsterdam, 2001 Nizza, 2007 Lissabon) vorangeschritten – zugegebenermaßen haben sie den Integrationsprozess teils eher verschlimmbessert als gefördert. Bei aller Kritik im Detail besteht indes kein Grund, hinsichtlich einer europäischen Idee selbst die Flinte ins Korn zu werfen. Man braucht aber neue Impulse, um ihr wieder Auftrieb zu geben: Haushaltsdisziplin, Überwinden des nach wie vor bestehenden Demokratiedefizits und vor allem mehr Bürgernähe markieren dabei nur einige Stichworte. Mit dem in der vergangenen Woche geschnürten Fiskalpakt sind erste Weichen gestellt. Die Gelegenheit insgesamt zu nutzen, die ist heute, 20 Jahre nach Maastricht, besser denn nie.
Der Autor Prof. Dr. André Niedostadek lehrt Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Hochschule Harz.
André Niedostadek, 20 Jahre Maastricht-Vertrag: . In: Legal Tribune Online, 09.02.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5513 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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