In der neuen Legislaturperiode könnten Forderungen nach Volksabstimmungen im Bund an Kraft gewinnen. Anlass gibt die Idee, die Wahlperiode zu verlängern. Alternativen wie legislative Schöffendienste sollten jedenfalls diskutiert werden.
Niemand hat die Absicht, den Freunden der klassischen repräsentativen Demokratie den Teufel des Volksentscheids an die Wand zu malen. Doch sind in den vergangenen Jahren – im Guten wie im Bösen – legislative Hürden reichlich unerwartet genommen worden. Beispiele gelegentlicher Unberechenbarkeit gaben der Atomausstieg, das verschärfte Sexualstrafrecht – samt beleidigender Ignoranz gegenüber der Rechtswissenschaft – oder die "Ehe für alle". Zügig war abgehandelt, was auf Jahre unmöglich erschien.
Ausgerechnet die kaltherzig funktionalistische Idee, die Leistungsfähigkeit des Deutschen Bundestages zu erhöhen, könnte der Türöffner für das plebiszitäre Element auf Bundesebene werden.
Auch hier scheint – beziehungsweise schien – vieles auf Ewigkeiten unmöglich: Bekanntlich hält die Verfassung, abgesehen von der Flurbereinigung im Bestand der Bundesländer nach Artikel 28 Grundgesetz (GG), keine allzu hohen Stücke auf die Volksabstimmung.
Den Verfassungsvätern des Jahres 1948/49 saß neben der bösen Erfahrung mit dem republikfeindlichen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg (1847–1934) bekanntlich auch die Erinnerung daran im Nacken, wie das Mittel der Volksinitiative zur Zeit der Weimarer Republik die verfassungstreuen Parteien unter Druck gesetzt hatte.
Populistische Initiativen, z.B. zum Verbot des Panzerschiffbaus (1928) oder zum Youngplan (1929), dem "Eurorettungsplan" der 1930er Jahre, zwangen den republiktreuen Parteien eine Abwehrhaltung auf, über der das realpolitische Tagesgeschäft verlorenging – bis das ohnehin schwache (Selbst-) Vertrauen in ihre Kompetenz soweit geschwunden war, dass einer bizarren Figur wie Adolf Hitler (1889–1945) die Macht regelrecht übergeben wurde.
Heute kommen die ungeheure Komplexität vieler Gesetzgebungsvorhaben sowie die Kompetenzzuweisung an die Europäische Union hinzu. Forderungen nach Plebisziten wirken hier fast nur wie der Wunsch, eine Entwicklung ganz aufzuhalten, scheinen ihre Gegenstände der Steuerung oder "Nachbesserung" durch die Willensbildung eines plebiszitären "Volksganzen" doch kaum zugänglich.
Ausgangslage und ein neues Junktim?
Doch nun könnte das Plebiszit auf Bundesebene doch noch auf uns zukommen.
In den vergangenen Jahren hat Norbert Lammert (CDU, 1948–) als Präsident des Deutschen Bundestages nachhaltig darum geworben, nicht nur die Zahl der Abgeordneten neu zu beschränken, sondern auch die Wahlperiode, Artikel 39 Abs. 1 GG, von vier auf fünf Jahre zu verlängern.
Dass ein größerer Abstand zwischen den Bundestagswahlen für die gewählten Abgeordneten einen gewissen Reiz hat, ist beinahe selbsterklärend. Statt des etwas unfeinen, aber auch nachvollziehbaren persönlichen Interesses, sich den Kosten und dem Stress der Wahlkämpfe weniger oft auszusetzen, wird zur Begründung die Funktionstüchtigkeit des Parlaments angeführt – bis man sich nach der Wahl mit konstituierenden Übungen, zum allfälligen Koalitionsvertrag und zur Regierungsbildung aufgerafft habe, vergehe so viel Zeit, dass fürs eigentliche Parlamentsgeschäft nur noch rund drei Jahre verblieben.
An diesem Vorschlag verstört, abgesehen von der Frage, ob sich "die Politik" in Sachen Arbeitsfreude, Transparenz und Konsensfähigkeit nicht einfach etwas zusammenreißen könnte, der Umstand, dass das Volk seltener seine Stimme abgeben würde. Diesem Einwand wiederum könnte der verfassungsändernde Gesetzgeber in der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages dadurch begegnen, dass er dem Volk verspricht, seine Stimme statt durch Wahlen nun auch durch Volksabstimmungen auf Bundesebene kundtun zu können.
Ein Junktim aus der Verlängerung der Wahlperiode und der Einführung von Volksgesetzgebung im Bund zu bilden, entspräche einer langjährigen Forderung: Gingen seit 1979 zunächst die Grünen mit dem Anspruch hausieren, allenthalben plebiszitäre Elemente einführen zu wollen, folgten nach Zählung des Vereins "Mehr Demokratie" in den vergangenen 25 Jahren nicht weniger als elf Initiativen von Grünen, PDS/Linke, FDP und SPD in diese Richtung (1992, 1998, 1999, 2002, 2003, 3×2006, 2010, 2012, 2013). Die AfD fordert (2017) gar eine umfassende Rückdelegation nachgerade jedweder politischen Entscheidung an das plebiszitär zu ermächtigende Volk – ähnlich wie die Grünen in den frühen 1980er Jahren wohl in der Erwartung, damit würden ihre Lieblingsthemen inhaltlich wie erhofft entschieden.
Plebiszite: . In: Legal Tribune Online, 24.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24675 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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