An verantwortlicher Stelle gestaltete er die Juristenausbildung des NS-Staates mit. Dann schenkte er dem bekanntesten Kommentar zum bürgerlichen Recht seinen Namen: Otto Palandt. So werbewirksam der Name des NS-Juristen auf dem bis heute führenden "Kurz-Kommentar" sein mag, auch als rechtshistorischer Stolperstein hat der "Palandt" seinen Wert. Ein biografischer Aufriss von Martin Rath.
Den "Palandt" kennt jeder Jurist, im zweiten Staatsexamen ist er als Nachschlagewerk zugelassen und auch im Arbeitsalltag kaum wegzudenken. Der inzwischen rund 3.000-seitige "Kurz-Kommentar" zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und Nebengesetzen wurde 1939 nach seinem ersten Herausgeber Otto Palandt benannt, nachdem der ursprünglich für diese Aufgabe vorgesehene Gustav Wilke bei einem Verkehrsunfall verstorben war. Dass Otto Palandt damals zu "seinem" Kommentar kaum eine Zeile beigesteuert hat, abgesehen von den zeittypisch hochnotpeinlichen Vorworten, ist interessierten Juristen womöglich bekannt.
Den kleinen "Palandt", einen deutlich kürzeren Kommentar zu einer rechtshistorisch kaum weniger interessanten Materie als dem BGB, dürfte hingegen kaum ein lebender Jurist in die Hände bekommen haben: eine Kommentierung der "Justizausbildungsverordnung des Reiches nebst Durchführungsbestimmungen", die mit einem Geleitwort des Staatssekretärs Dr. Roland Freisler 1934 im Berliner Verlag Franz Vahlen erschien, erstellt von Dr. Otto Palandt und Dr. Heinrich Richter.
Juristenausbildung im NS-Staat, von Palandt kommentiert
Anders als der nach Palandt nur benannte BGB-Kommentar behandelt der "Palandt-Richter" mit der Juristenausbildung eine Materie, in der Otto Palandt (1877-1951) zuhause war. Zum ersten Jahrestag ihrer "Machtergreifung" hatte sich die NS-Regierung am 30. Januar 1934 ein Gesetz geschenkt, mit dem verschiedene Institutionen der Reichsländer (heute etwa: "Bundesländer") beseitigt wurden. Neben den Landtagen traf es auch die Justiz, die im Februar 1934 "verreichlicht" wurde. Als erste einheitliche Regelung der Juristenausbildung in Deutschland folgte im Juli 1934 die "Justizausbildungsverordnung", zu deren Kommentierung Otto Palandt als Präsident zunächst des preußischen Landes-, dann des Reichsprüfungsamtes besonders geeignet erschien.
Aus der Justizausbildungsverordnung (JAO) und ihrem Kommentar tropft der NS-Gesinnungsschleim, wozu nicht allein das Vorwort Freislers beiträgt, der später als der schreiende Psychopath des Volksgerichtshofs zum bekanntesten Gesicht der NS-"Justiz" werden sollte. Bevor die JAO von 1934 ein Studium der Rechtswissenschaften erwähnt, geht sie NS-typisch zunächst auf die intellektfreien Voraussetzungen des juristischen Nachwuchses ein, so heißt es in Paragraf 2 Absatz 1 Satz 1:
"Bei der Meldung zur ersten juristischen Prüfung ist der Nachweis zu führen, daß der Bewerber mit Volksgenossen aller Stände und Berufe in enger Gemeinschaft gelebt, die körperliche Arbeit kennen und achten gelernt, Selbstzucht und Einordnung geübt und sich körperlich gestählt hat, wie es einem jungen deutschen Manne zukommt."
Juristenausbildung als Lebenswunsch Otto Palandts?
Palandt und Richter kommentierten, dass für diese Erziehungsarbeit, wenn noch nicht "das deutsche Heer", so doch der Dienst "in der SA und in der SS" in Frage komme. Referendare wurden in Prüfungspausen zu Lagerdienst verpflichtet. Adressiert war die JAO übrigens vor allem an den "deutschen Mann" – die Frau hielt man für ein justizuntaugliches Geschlecht.
Ob es zur Berufsplanung Otto Palandts zählte, Chef der Juristenausbildung zu werden, darf bezweifelt werden. Palandt wurde, wie Klaus Slapnicar in der NJW (2000, S. 1.692-1.699) berichtet, 1877 als Sohn eines Taubstummenlehrers in Stade geboren. Nach Promotion und zweitem Staatsexamen wurde er Landrichter in Kassel und diente dann im Ersten Weltkrieg als Mitglied des "kaiserlichen Obergerichts Warschau" im besetzten Polen. Slapnicar führt Palandts starke Distanz gegenüber der Weimarer Republik auf Beförderungsquerelen zurück, die in dieser Zeit wurzelten. Statt Beförderung winkte die Juristenausbildung.
Als das preußische Justizministerium 1933 in die Hände eines Justizbeamten namens Hanns Kerrl fiel, verloren republiktreue und jüdische Beamte ihre Posten. Freisler wurde als "alter Kämpfer" zum Staatssekretär ernannt. Zum neuen Präsidenten zunächst des preußischen, dann des Reichsjustizprüfungsamtes rückte Dr. Otto Palandt nach. In einem Aufsatz von 1982 schreibt Hans Wrobel: "Das Geheimnis für Palandts schnellen Aufstieg liegt nicht darin, daß er ein alter Nationalsozialist gewesen wäre. Der NSDAP trat er erst unmittelbar vor seinem Wechsel von Kassel nach Berlin bei. Palandt ordnete demnach sein Verhältnis zur NSDAP erst sehr spät und zu einem Zeitpunkt, als die deutschen Juristen in Massen in die Partei und ihre Formationen strebten."
Wrobel erklärt den Aufstieg Palandts damit, dass die "Säuberungsaktionen" radikaler Nazi-Politiker Lücken in den Justizapparat gerissen hatten – und die "alten Kämpfer" regelmäßig den anspruchsvollen Aufgaben der Verwaltung nicht gewachsen waren.
Wie der "Palandt" zu seinem Namen kam
Erfolgreiche Kurzkommentare zu wichtigen Gesetzen waren bis 1933 im Berliner Verlagshaus von Otto Liebmann erschienen. Zum Wechsel des erfolgreichen Geschäftsfeldes in "arische" Hände schreibt Slapnicar in der NJW: "Otto Liebmann war jüdischer Herkunft und 'entschloss sich' 1933, 68-jährig, nachdem er 'erste herbe Diskriminierung zu spüren bekommen' hatte, zum Verkauf seines Verlages an Heinrich Beck; so erläutert dessen Sohn Hans Dieter Beck ... die damalige Motivation für die Transaktion."
Als der ursprünglich vorgesehene Herausgeber für den seit 1934 geplanten "arischen" BGB-Kommentar, Gustav Wilke, 1938 bei einem Verkehrsunfall starb, lagen die Druckfahnen fast vollständig vor, laut Slapnicar war damit "ein verlegerischer GAU Realität geworden".
Die Autoren des Werks, etwa der Kammergerichtsrat Wolfgang Lauterbach (1893-1973) oder der Oberverwaltungsgerichtsrat Bernhard Danckelmann (1895-1981) kamen als neue Herausgeber nicht in Frage, laut Slapnicar im Jahr 2000 in der NJW: "So niveauvoll sie kommentierten, so unbekannt waren ihre Namen in der juristischen communitas." Auf das "niveauvolle" Kommentieren in den ersten Auflagen des "Palandt" wird noch einzugehen sein.
Um die Vermarktung der ersten Auflage des "Kurz-Kommentars" im Frühjahr 1939 sicherzustellen, wurde mit Otto Palandt ein zugkräftiger Name gefunden. Noch 60 Jahre später freut sich Slapnicar: "Die mit der Funktion des neuen Herausgebers angepeilte Erschließung von Prüfungskandidaten als neue Käuferschicht für den Kurz-Kommentar war dabei ein nicht unpfiffiger Marketing-Gesichtspunkt. Die erste Auflage von 5.000 Exemplaren war denn auch in wenigen Tagen ausverkauft [.]"
Ein Blick in den Kommentar erhöht die Geschichtskenntnis
Ein Blick in die 1940 herausgebrachte dritte Auflage des "Palandt" lässt Slapnicars Wort vom "niveauvollen" Kommentieren etwas unglücklich erscheinen.
Die Kommentierung des Erbrechtes hatte der Kammergerichtsrat Dr. Claus Seibert übernommen. Er sollte nach dem Krieg als Richter am Bundesgerichtshof recht prominent werden. Paragraph 1923 BGB, dessen Absatz 1 ein altes Rechtsprinzip formuliert – "Erbe kann nur werden, wer zur Zeit des Erbfalls lebt." –, wurde von Claus Seibert wie folgt kommentiert:
"Fähig, Erbe zu sein, ist jeder Mensch, auch der Ausländer, der Rassefremde, der Erb- oder Geisteskranke wie der Verbrecher. Unbilligkeit bei Übergehung des Volksgenossen und Sippeangehörigen kann – vom Pflichtteil abgesehen – einstweilen nur durch erhöhte Erbschaftsteuer ausgeglichen werden [...], falls nicht – zum Beispiel bei Erbeinsetzung eines sippefremden Juden [...] – Nichtigkeit wegen Sittenverstoßes vorliegt [...]. Für die Zukunft wäre eine Ausdehnung der Erbunwürdigkeitsfälle (§ 2329) wünschenswert. – Ausgebürgerte sind nicht erbfähig, [...]."
Die schon damals "Palandt"-typischen Abkürzungen wurden hier wegen der leichteren Lesbarkeit im Zitat aufgelöst. Für die "Praktiker" verweist Seibert auf jene Ausbürgerungslisten, die seit 1933 unregelmäßig die Entrechtung ehemaliger Staatsangehöriger offiziell machten – das traf bis 1945 rund 39.000 Menschen.
Erschreckendes findet sich auch in der Mietrechtskommentierung von Rechtsanwalt Dr. Eberhard Pinzger. Der "Palandt" dokumentiert detailliert hier die sogenannte "Judengesetzgebung". Paragraf 1 der einschlägigen Verordnung lautet: "Ein Jude kann sich auf den gesetzlichen Mieterschutz nicht berufen, wenn der Vermieter bei der Kündigung durch eine Bescheinigung der Gemeindebehörde nachweist, daß für die Zeit nach der Beendigung des Mietverhältnisses die anderweitige Unterbringung des Mieters sichergestellt ist. Dies gilt nicht, wenn auch der Vermieter Jude ist."
Dreisprung zum faktischen Präjudiz
Rechtshistorisch wertvoll wird der frühe "Palandt" dort, wo er nicht nur diese positivrechtlichen Perversionen des NS-Staats dokumentiert, sondern den bis heute praktizierten Dreisprung einer juristischen Kommentarliteratur, die sich ethischer oder politischer Bewertungen ihrer Gegenstände weitgehend enthält. Die Akte dieses – etwas holzschnittartigen – Dreisprungs sind: Erstens, ein Gericht entscheidet im Einzelfall. Zweitens, der Kommentator hält den Fall für beispielgebend und wird, insbesondere in einem "Praktikerkommentar" kaum ernsthaft begründen, wie er zu dieser Bewertung kommt. Drittens, die forensischen Praktiker schließen sich der unbegründeten Bewertung an, weil die leichte Greifbarkeit des Kommentars als faktisches Präjudiz wirkt.
Solche Beispiele, aus böser Zeit, finden sich in der Kommentierung zum Dienstvertrags-, insbesondere zum Arbeitsrecht. Zur fristlosen Kündigung eines Arbeitsvertrages konnte etwa "fortgesetzter Einkauf eines städt Angestellten in jüd Geschäft" führen.
"Palandt" als rechtshistorischer Stolperstein
Dem "Palandt" ist die fast manische Lust an den Abkürzungen, die wie eine Juristenmarotte wirkt, erhalten geblieben. Die erbarmungslosen Regelungsgegenstände haben sich glücklicherweise erledigt.
Otto Palandt, dessen Position als Präsident des Reichsjustizprüfungsamtes zum Verkaufserfolg "seines" Kommentars nicht unwesentlich beigetragen haben mag, starb am 3. Dezember 1951 in Hamburg. Auch nach dem Krieg hatte sich seine Arbeit am "Palandt" darauf beschränkt, ein Vorwort beizusteuern – sein Glaubensbekenntnis auf den NS-Staat hatte er allerdings ebenso gründlich wie kritikfrei entnazifiziert.
Man mag sich fragen, warum ein führender Kommentar bis heute den Namen eines NS-Juristen trägt, für den Frauen, Juden und Demokraten in der deutschen Richterschaft nichts zu suchen hatten.
Ist aber damit der "Palandt" nicht auch ein Stolperstein der jüngeren deutschen Rechtsgeschichte, an dem man sich alljährlich stoßen könnte, griffe man auch zu seinen älteren Ausgaben? Dem Verlag C.H. Beck kommt jedenfalls das Verdienst zu, ein Denkmal wider Willen errichtet zu haben.
Martin Rath arbeitet als freier Journalist und Lektor in Köln.
Die Verlagsgruppen C.H. Beck und Wolters Kluwer Deutschland, die auch LTO veröffentlicht, stehen im Wettbewerb. Für den vorliegenden Text wurden Quellen herangezogen, die heute sämtlich zur Beck-Gruppe zählen:
"Bürgerliches Gesetzbuch", Beck’sche Kurz-Kommentare Band 7, herausgegeben von Dr. Otto Palandt, 3., neubearbeitete Auflage 1940, C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung München und Berlin.
"Die Justizausbildungsordnung des Reiches" von Dr. Otto Palandt und Dr. Heinrich Richter, Verlag Franz Vahlen, Berlin 1934
"Der Wilke, der später Palandt hieß – 60. und 50. Jubiläum des Beck’schen Kurz-Kommentars im Jahre 1999" von Professor Dr. Klaus W. Slapnicar, Schmalkalden, in: "Neue Juristische Wochenschrift" 2000, S. 1.692 ff.
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Martin Rath, Vor 60 Jahren starb Otto Palandt: . In: Legal Tribune Online, 03.12.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4961 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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