ARD-Thriller-Serie "Testo": Rausch­hafte Natur­ge­walt

Gastbeitrag von Anis Ben-Rhouma

17.02.2024

"Jaja Habibo, Knast oder reich": Die Thriller-Serie "Testo" von und mit Kida Khodr Ramadan knallt mitten in den gesellschaftlichen Diskurs über Migration, Kriminalität und Chancen in Deutschland. Anis Ben-Rhouma hat sie genossen.

In der zweiten Folge der siebenteiligen ARD-Thriller-Serie "Testo" wird es zu Beginn berührend und emotional. In einem Rückblick werden die fünf Hauptdarsteller, die bereits in der ersten Folge im späteren Erwachsenenalter begonnen haben, eine Bank zu überfallen, als fußballspielende Kinder gezeigt. Sie erzählen, was sie später werden wollen: Pilot, Architekt, Bürgermeister und Tierarzt – alles angesehene Jobs mit einem hohem Qualifikationsprofil, die allesamt eine lange Ausbildung, Geduld, Fleiß und Ausdauer verlangen. Wohl auch ein gewisses Maß an Talent.  

Nur "Keko" fällt aus der Reihe. Der will später mal eine Bank überfallen. "Keko“ ist der spätere Kopf der Bande, die den Banküberfall zu Beginn der Serie durchführt. Er wird gespielt von Kida Khodr Ramadan, der auch gleichzeitig die Idee für die Serie an die ARD-Produktionsfirma Degeto vermarktete, das Drehbuch mitgeschrieben hat und gemeinsam mit Olivia Retzer für die Regie verantwortlich zeichnet. 

Die Kritiken zu "Testo" fallen bislang größtenteils positiv aus. Die Folgen sind kurzweilig, der Schnitt der Szenen ist schnell und kreativ. Anleihen an Film Mastermind Quentin Tarantino im Style und auch mit direktem Bezug zu einem seiner ersten Filme sind deutlich erkennbar. "Reservoir Dogs", ein Gangster-Heist-Movie aus dem Jahr 1992, ist hier ganz deutlich eine wichtige Filmschablone und wer den Film gesehen hat, weiß schon vorweg: Alles läuft hier nicht Plan. Alles endet im Chaos. Und es wird Blut und Tote geben.  

Toni Hamady in Berlin-Neukölln  

Was aber in den bisherigen Kritiken weniger erwähnt wird, ist die Tatsache, dass es bei Kida Khodr Ramadan auch im echten Leben Probleme mit der Justiz gibt. So findet sich beispielhaft im Berliner Tagesspiegel eine durchaus wohlwollende Kritik zum Serienstart im Kulturteil, in der die Autorin jedoch vollkommen auf eine Kontextualisierung des realen Schauspielerlebens verzichtet. Eine beachtliche und konsequente Trennung von Werk und Künstler. 

Ramadan ist vor allem durch seine Rolle als Toni Hamady in der Serie "4 Blocks", die in vier Staffeln die Geschichte einer arabisch-stämmigen Gangster-Familie in Neukölln ausbreitet, bekannt geworden. Die brutalen Verbrechen, die Toni Hamady in "4 Blocks" begeht, sind zwar nicht zu vergleichen mit dem, was dem Schauspieler Ramadan jetzt im echten Leben vorgeworfen wird, aber die realen Vorkommnisse haben zum Serienstart von "Testo" wohl echte Konsequenzen für Ramadan.  

Das zigfache Fahren ohne Fahrerlaubnis, die Bedrohung einer Person in einem Supermarkt und vor allem die Nichtzahlung einer Geldstrafe im Rahmen einer zur Bewährung ausgesetzten zehnmonatigen Freiheitsstrafe können jetzt in Kombination dazu führen, dass sich Ramadan das Feedback zu seinem neuen Werk tatsächlich im Gefängnis anschauen kann. Zudem wurde ein Insolvenzverfahren gegen Ramadan eröffnet, der neben seiner Schauspielkarriere auch einen Friseursalon im Kreuzberger Wrangelkiez betreibt. Name des Salons: "Toni Hamady", seine ikonische Gangsterrolle. 

Geldschulden bei Böhmermann, Therapiegespräche bei Kurt Krömer 

Im beliebten Podcast "Fest und Flauschig" betonen die beiden Hosts Jan Böhmermann und Olli Schulz regelmäßig, wie sehr sie es verachten, dass Boulevard-Medien ständig Wortfetzen aus ihren Gesprächen ziehen und daraus versuchen, Geschichten zu drehen. Die Kritik ist durchaus berechtigt, aber für die Kontextualisierung an dieser Stelle ist es notwendig, eben auch hieraus zu berichten. Am Ende der Jahre zelebrieren Böhmermann seit einiger Zeit den sogenannten "Weihnachtszirkus".  

So auch geschehen im Jahr 2021. Hier war Kida Khodr Ramadan zu Gast und berichtete, dass er den ehemaligen Regierungssprecher Steffen Seibert getroffen habe. Dieser habe Ramadan angeblich gesagt, dass Angela Merkel ein großer Fan von ihm sei und alle seine Filme gesehen haben soll. Und Ramadan sagt über Merkel wiederum, dass er sie bewundere und sie "mehr Eier als jeder Clanboss habe". Die Messlatte liegt also einigermaßen hoch.  

Im "Weihnachtszirkus" sammeln Böhmermann und Schulz regelmäßig Geldspenden für wohltätige und gesellschaftspolitisch relevante Zwecke. Ramadan hatte hier seinerseits mehrere tausend Euro als Spende zugesagt. Und diese im Nachhinein anscheinend nicht geleistet. Böhmermann und Schulz haben sich kontinuierlich darüber mehrere Folgen lang lustig gemacht und die Zahlung eingefordert. Das Ganze bekam noch einmal einen ordentlichen Dreh, als im Weihnachtszirkus 2023 der "Tatortreiniger" Bjarne Mädel eingeladen war und in einer fulminanten Rede seinen Kumpel Kida aufforderte, endlich seine Schulden zu bezahlen und ihn an seine Ehre erinnerte.  

In der realen Welt: Haftaufschub beantragt  

Kurz darauf kam dann heraus, dass Ramadan auch einer gerichtlichen Auflage nicht nachgekommen war. So hätte er innerhalb einer bestimmten Frist 20.000 Euro an eine wohltätige Einrichtung zahlen sollen, was ihm wohl nicht vollständig gelang. Daraufhin wurde die Bewährung seiner Freiheitsstrafe widerrufen, im Januar flatterte ihm die Ladung zum Haftantritt ins Haus. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Berlin gegenüber LTO liegt dem Amtsgericht Tiergarten aktuell ein Antrag Ramadans auf Strafaufschub sowie nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs vor. Eine Entscheidung darüber sei noch nicht getroffen und könne wohl "noch etwas" dauern, heißt es seitens der Behörde. 

Vor wenigen Wochen hatte sich Ramadan im ebenso hoch frequentierten Podcast "Feelings" von Kurt Krömer ausführlich zu seinen psychischen Problemen und seiner Therapie geäußert. Krömer selbst hat in einem viel gelesen Buch seine Depression und ihre Auswirkungen auf sein Leben öffentlich gemacht und es entwickelte sich ein sehr offenes Gespräch der beiden über ihre Krankheiten und die Wege daraus. Nur über die mögliche anstehende Haft wurde nicht gesprochen. Die Folge wurde bereits im Dezember 2023 aufgezeichnet.  

Übliche Klischees 

Die Serie "Testo“ hat Ramadan in Krömers Podcast jedenfalls angepriesen und als etwas ganz Neues im deutschen Fernsehen bzw. Streaming-Bereich beworben. Ist es das auch? Die Antwort lautet "Jein".  

Mit "Testo" erscheint Deutsches Fernsehen – die Serie wurde von der ARD-Firma Degeto beauftragt und erschien sowohl im ARD-Hauptprogramm und ist in der Mediathek verfügbar – in einem durchaus neuen Licht. Kurze, 15-minütige Episoden, improvisierte Dialoge, eine enorme Anspannung, die die Zuschauenden körperlich spüren. Außerdem gefällt der Trick, dass immer wieder Szenen aus Perspektive einer Überwachungskamera gezeigt werden. In Kombination mit einem interpretationsfähigen und diskussionswürdigen Ende ist die Serie durchaus eine angenehme Überraschung in einem Fernsehalltag, der im Kriminalbereich ansonsten mit der soundsovielten SOKO-Staffel aufwartet.   

Auf der anderen Seite bedient "Testo" allerdings auch übliche Klischees. Eine Bande von Migranten hat ihr Testosteron (hierauf basiert der Name "Testo") nicht im Griff und überfällt beim Freigang aus der JVA natürlich eine Bank. Selbst das gängige Gangsterfilm-Setting, wonach der Fluchtwagenfahrer regelmäßig ein Schwarzer ist, wird bedient. Dieser, politisch ganz unkorrekt "Kongo" (gespielt von: Mortel Jovetel) genannt, ist einer der eingangs erwähnten Jugendfreunde. Die anderen sind neben "Keko" (Ramadan) noch "Barro" (Veysel Gelin), "Pepsi" (Stipe Erceg) sowie der einzige "Bio-Deutsche" namens "Stulle“ – mit wunderbarem Vokuhila und Karl-Heinz Riedle-Trikot gespielt von Frederick Lau.  

Auch Polizei hochkarätig besetzt 

Auf Seiten der Polizei bietet die Produktion ein kleines "Who is Who" der deutschen Schauspielenden-Zunft: Roland Zehrfeld spielt den kaputten und eigentlich suspendierten Polizisten "Schweinebacke", Katharina Thalbach die Polizeipräsidentin und Nicolette Krebitz, die mit "Bandits" in den 90ern in Deutschland richtig bekannt wurde und damals – Ironie der Geschichte – mit einer Frauengang aus dem Knast ausgebrochen ist, die Polizisten Sybille "Billy" Fischer.    

Natürlich machen die testosterongesteuerten Migranten-Gangster das, was man in einer Bankraub-Serie von ihnen erwartet: Sie sind zu gierig, sie haben ihre Emotionen nicht im Griff, sie sind brutal zu ihren Geiseln, irrational, drogenabhängig und streiten sich dann auch noch untereinander. Aber die Schauspieler, die allesamt auch im privaten miteinander befreundet sind (Ramadan und Lau haben sogar ein Buch über ihre Freundschaft geschrieben), machen das auf einem höchst professionellen und spannend anzuschauenden Niveau. Vollkommen unerwartete und irrationale Dinge passieren. So kommt die Tochter einer der Geiseln an die Bank-Tür und möchte ihren Papa abholen, "Kekos" Sohn wird mit dem Taxi vorgefahren, damit vor dem Tatort eine Runde Fußball gespielt werden kann und die Mutter von "Barro" gibt ihrem kriminellen Sohnemann vor den Augen der Polizei eine Backpfeife. "Barro"-Schauspieler Veysel ist – natürlich – im wahren Leben auch noch Gangster-Rapper, saß bereits im Gefängnis und hat den Soundtrack zur Serie beigesteuert.  

Der Star ist eine Frau 

Ohne hierbei zu viel verraten zu wollen oder zu spoilern, so ist aber der Song "Habibo" mit der bezeichnenden Zeile "Knast oder reich" eine überzeugende Zusammenfassung zum überraschenden Ende und vielleicht auch zu Kida Khodr Ramadans weiterer Karriere.  

Wenn man ein wenig über die erwähnten Klischees hinwegsieht, ist "Testo" insgesamt wirklich ein Rausch, eine Wucht und das Schauspieler-Ensemble eine echte Naturgewalt. Der heimliche Star der Serie ist übrigens eine Frau. Nicolette Krebitz in ihrer Rolle als Polizistin "Billy" Fischer mit stoischem Blick und einer – besonders am Ende deutlichen – Kaltblütigkeit ist eine wahre Wohltat bei der ansonsten recht archaisch anmutenden Männerriege. Das wussten die Gymnasiasten-Rapper von Fettes Brot zusammen mit der Indie-Band Tocotronic schon in den 90ern, als sie ihr mit dem Song "Nicolette Krebitz wartet" (eine Anlehnung an "Robert de Niro´s Waiting" von “Bananarama) ein Denkmal setzen.   

Und was bedeutet "Testo" jetzt für das "wahre" Leben von Ramadans persönlichen Lebensweg und seinem Schauspieler-"Clan"? Am Ende jeder Folge fällt Matlock, Columbo oder Monk immer etwas ein, was den bisherigen Verlauf auf den Kopf stellt und das Verhältnis von Verdächtigen und wahren Tätern in Einklang bringt. Der Fall wird also jedes Mal gelöst. Die Wiener Band Wanda hat das mit ihrem Song Columbo seinerzeit exzellent vertont: "Am Ende fällt Columbo etwas ein. Lass es unsere Rettung sein.“  

Man möchte Ramadan eben diese Rettung nun auch im wahren Leben wünschen. In der Serie spielt er jedenfalls den Gangsterboss brillant. Und da wären wir wieder bei den Klischees: Vielleicht wäre es auch mal sinnvoll, wenn der "Araber" mal nicht den Clan- oder Gangsterboss spielt.  

Autor Anis Ben-Rhouma ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Gewerkschaftssekretär bei der Industriegewerkschaft IGBCE im Bezirk Berlin-Mark Brandenburg. Er betreibt außerdem den Kulturblog: www.ZuArchitekturTanzen.de   

Staffel 1 der Thriller-Serie "Testo" ist in der ARD-Mediathek abrufbar.

Zitiervorschlag

ARD-Thriller-Serie "Testo": . In: Legal Tribune Online, 17.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53894 (abgerufen am: 19.11.2024 )

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