Schrebergarten 2.0: Grüne Oasen für gestresste Großstädter

Nina Anika Klotz

14.07.2010

Kleingärten sind kleinkariert? Schrebergärtner verschrobene Gärtner? Grünparzelle und Gartenlaube ist gleich rüstige Rentner und Bratwurst mit Korn? Alles falsch. Gerade in Berlin blüht und gedeiht diesen Sommer eine neue Generation von Laubenpiepern: Sie sind jung und modern, haben nicht alle einen grünen Daumen, aber Spaß an Natur und kleingärtnerlicher Gemeinschaft.

Gartenzwerge? Fehlanzeige. Garten-Zwerge dagegen schon: Nackig und happy sausen Merit, 4, und ihr Bruder Arved, 1, durch den Garten. Merit hat ein eigenes Gemüsebeet, in dem sie Erbsen angepflanzt hat. Einmal konnte sie sogar schon ernten, das hat für ein ganzes Mittagessen gereicht. Arved hingegen übt fleißig Laufen. Das klappt schon sehr gut und macht barfuß auf der Wiese natürlich ganz besonders großen Spaß.

Seit drei Jahren ist Familie Hönerloh Pächter der 200 m² großen Parzelle in der Berliner Kleingartenkolonie "Am Stadtpark e.V." in Wilmersdorf. Im Sommer sind sie jeden Nachmittag hier in ihrem grün-bunten Idyll mitten in Westberlin. Die Stadtautobahn hört man nur wenn der Wind ungünstig steht, von den mehrstöckigen Gebäuden ringsum sieht man in Hönerlohs Garten fast nichts. Die Kirschen werden gerade rot und die Himbeeren sind schon reif. Am Zaun blühen die Lupinen lila-pink. Es riecht nach Sommerwiese und großen Ferien.

"Es war schon immer mein Traum, einen Garten zu haben", erzählt Heidrun Hönerloh, die Mutter von Merit und Arved. "Wir hatten großes Glück und standen nur zehn Monate auf der Warteliste". Andere warten Jahre bis ein Garten frei wird, erzählt die Kinderärztin.

Die neuen Kleingärtner: junge Familien

Die Nachfrage nach Schrebergärten, dem eigenen, kleinen Stück grünen Glücks, ist in der Vergangenheit nicht nur in Berlin, sondern bundesweit stark gestiegen. "In den letzten fünf Jahren konnten wir beobachtet, dass bei der Neuverpachtung von Gärten 45 Prozent der Bewerber junge Familien mit Kindern sind", berichtet Theresia Theobald, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Deutscher Gartenfreunde.

Die Gründe für das Revival des Kleingartens, einem urdeutschen und lange Zeit belächeltem Phänomen, sind vielfältig: Auch wenn es pathetisch klingt, wächst in einer immer schnelllebigeren Zeit die Sehnsucht des Menschen nach Ruhe und Entspannung vom Berufsalltag. "Zugleich wünschen sie viele eine sinnvolle und erfüllende Freizeitbeschäftigung", erklärt Theresia Theobald. Ein eigener Garten, in dem man etwas anpflanzt, etwas schafft, kann da für Befriedigung sorgen.

Viel wurde in den vergangenen Jahren über die "neue deutsche Spießigkeit" geredet, über junge Menschen, die sich für alte Werten und Lebensmodelle entscheiden, die genug haben von Progression und "anti alles, total unkonventionell!". Der Schrebergarten hat, das muss man gestehen, auf den ersten Blick etwas sehr Spießiges an sich, etwas Spießiges aber, auf das junge Menschen nun wieder Lust haben. Der Begriff des Cocooning fällt in diesem Zusammenhang oft, die Rückbesinnung auf das Leben in der Familie – gerade in Zeiten der Krise – die Sehnsucht nach einem privaten, geschützten Rückzugsraum. Genau das ist so ein Garten: Er liegt in Mitten einer sicheren, friedlichen sozialen Umgebung, der Siedlung.

Eigenes Bio-Gemüse ernten

Nicht zuletzt ist der eigene Garten die Krönung des allgemeinen "Going Green"-Trends. "Natur ist einfach wieder in" erklärt Theresia Theobald in einem Gespräch mit LTO. "Der Wert eines Gartens ist gestiegen." Hier säht und erntet die Berliner Bionade Bohème nun also im eigenen Grün, baut Bio-Gemüse an, atmet frische Luft. Näher an der Natur kann der Stadtmensch gar nicht sein. "Die Landflucht der vergangenen Jahre hat aufgehört, die Menschen ziehen wieder zurück in die Städte", so Theobald. Das liegt an berufstätigen Müttern, freizeittechnisch vielbeschäftigten Kindern und ein bisschen liegt es auch an der Wirtschafts- und Finanzkrise. Das Häuschen auf dem Land können sich nicht mehr viele leisten. Den Pacht-Garten dagegen schon.

Familie Hönerloh zahlt ca. 300 Euro Pacht pro Jahr. Dazu kommen die Kosten für Wasser und Strom. Viel ist das nicht, wenngleich die Übernahme eines Gartens mit recht hohen Kosten verbunden sein kann. Der große Vorteil am Prinzip Miet-Grün im Gegensatz zum Eigenheim mit Garten ist, dass es mehr Flexibilität erlaubt. Wer weiß schon, ob er oder sie nicht in ein paar Jahren für den Job in eine andere Stadt ziehen muss? Den Kleingarten ist man, wenn es sein muss, schnell wieder los und mit etwas Geduld findet man anderswo auch einen neuen.

Bei allem Zeitgeist, der die Neo-Gärtner treibt und im Graben und Buddeln vereint, ein kleines bisschen alter Vereins-Mief haftet dem Kleingarten schon noch an. "Aber das ist alles gar nicht schlimm", lacht Heidrun Hönerloh und erzählt von der alljährlichen Garten-Abnahme durch die Vereinsoberen. "Die schauen dann, ob mindestens 15 Prozent der Gesamtfläche mit Gemüse bebaut werden, dass die Hecke zum Weg schön geschnitten und nicht höher als 1,25 Meter ist und so."

Lauben werden bunter

Trotz solcher Auflagen haben die neuen, jungen Gartenfreunde das Gesicht der Kolonie am Stadtpark bereits verändert: Die Lauben werden bunter, offener und moderner, es gibt ein bisschen mehr Blumen und ein bisschen weniger Kohl in den Beeten und viele Gärten zieren Schaukeln und Planschbecken anstelle von Wirsing und Kartoffeln. "Auch die Kultur hier im Garten hat sich gewandelt, es gibt Sommerpartys und Kinderfeste", berichtet Heidrun Hönerloh.

Natürlich kann es bei solcherlei Festivitäten schon mal zu Konflikten zwischen neuen und eingesessenen Kleingärtnern kommen, berichtet Theresia Theobald. "Unsere Gesellschaft hat sich von Kindern entwöhnt und so kommt es vor, dass der eine oder andere denkt, er hätte Anspruch auf eine kinderbefreite Zone im Garten. Aber diese Konflikte können gelöst werden. Kleingartenvereine sind es gewohnt, mit Leuten unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft umzugehen. Vom Arbeitslosen bis zum Akademiker gärtnern ja alle."

Heidrun Hönerloh findet auch, dass sich mit etwas Rücksichtnahme Gartenärger ganz leicht umgehen lässt. Und überhaupt erlebt sie in ihrem Garten eine ganz besonders herzliche, gesunde Art des menschlichen Miteinanders. "Ich hatte, als wir hier anfingen, nicht viel Ahnung vom Gärtnern. Da hilft es, dass ein paar ältere Nachbarn immer Tipps für mich haben, wie ich mit bestimmten Pflanzen umgehen muss oder Schädlinge bekämpfen kann." Man hilft sich. Und man teilt: "Eine Nachbarin hängt im Frühling immer einen Korb mit Setzlingen an ihr Gartentor. Da kann sich jeder welche nehmen. Und im Herbst haben wir so viel Obst, dass wir tauschen, teilen und verschenken." Wo macht man so etwas in der Großstadt sonst schon?

Zitiervorschlag

Nina Anika Klotz, Schrebergarten 2.0: . In: Legal Tribune Online, 14.07.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/973 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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