Die feuilletonistische Fährte durch das Jahr 1913 führt im Monat Oktober zum Beamtenrecht des Kaiserreichs, das recht orientalisch orientiert war. Und ein verschnupfter, aber verliebter Staatsrechtslehrer führt vielleicht auf eine Spur übertriebener Entscheidungslust.
Florian Illies unterrichtet uns in seinem "1913. Der Sommer des Jahrhunderts", dass Kaiser Wilhelm II. im Oktober 1913 den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand besuchte. Die adeligen Herren vergnügten sich bei der Jagd, die sehr erschöpfend ausfiel: Dem Kaiser fielen binnen zweier Tage 1.100 Fasanen zum Opfer – wenn das die selbsternannten Tierrechtler von "Peta" wüssten.
Man darf die Masse toter Tiere als Ausdrucksform des Staatstheaters würdigen. In solchen Jagderfolgen konnten sich Staatsoberhäupter 1913 noch kritikfrei in Szene setzen. Der Kaiser aß abends nur einen Fasan – da fiel auch fürs Fußvolk einiges Geflügel ab.
Das Renommee der staatlichen Jagd konnte auch der verbrecherische Hermann Göring, Promotor des deutschen Tierschutz- und Jagdrechts der 1930er-Jahre nicht ruinieren: So reiste etwa der um das Parlamentsrecht und -procedere der Bundesrepublik verdiente, vormals im NS-Widerstand tätige Eugen Gerstenmaier (1906-1986) als langgedienter Bundestagspräsident (CDU, 1954-1969) noch gerne in die jungen Staaten Afrikas, "weil es dort etwas zu jagen gab". Daheim machte Gerstenmaier allerdings die Inszenierung des Staates in der Jagd ein bisschen unmöglich, weil er sein Vergnügen in einer Grauzone der evangelischen Kirchenfinanzen absolvierte (dazu boshaft "Der Spiegel" 20/1966).
Beamter zu sein, ist eine Ehre
Dass sich der Ruhm deutscher Staatsmänner aber schon damals nicht nach der Zahl erlegter Tiere bemaß, sondern in der Qualität der um sie rankenden juristischen Fiktionen und Funktionen zeigt, auf diese Spur setzt uns das Reichsgericht mit seinem Urteil vom 3. Oktober 1913, das über die verwickelte Rechtslage eines gewesenen Beamten im "Kaiserlichen Statistischen Amt" zu befinden hatte (Az. III 218/13).
"Der Beklagte war Assistent im Kaiserlichen Statistischen Amte", informiert das Reichsgericht, gibt aber leider keine Auskunft über die Beweggründe, die den "Staatssekretär des Inneren" 1910 veranlassten, durch zwei Beschlüsse "das Disziplinarverfahren gegen ihn" zu eröffnen und ihn vorläufig aus dem Dienst zu entfernen.
Strittig war zwischen dem Statistik-Assistenten und dem Reichsfiskus, ob die während der Suspendierung einbehaltenen Dienstbezüge des Beamten dazu verwendet werden durften, die Kosten seines Stellvertreters zu decken. Obwohl sich die Justiz damals gerne kürzer fasste als heute, man schrieb ja noch von Hand, benötigte das Reichsgericht nicht weniger als neun Seiten seiner halbamtlichen Sammlung (RGZ 83, 149-159) zur Klärung der Rechtsfrage.
Das Recht des preußisch-deutschen Kaiserreichs zeigt unsere ganz eigenen orientalischen Vorstellungen: § 100 des Reichsbeamtengesetzes gibt zu erkennen, dass das Disziplinarverfahren nicht zuletzt eine Ehrenfrage betraf: "Die Einstellung des Verfahrens muß erfolgen, sobald der Angeschuldigte seine Entlassung aus dem Reichsdienste mit Verzicht auf Titel, Gehalt und Pensionsanspruch nachsucht, vorausgesetzt, daß der seine amtlichen Geschäfte bereits erledigt und über eine ihm etwa anvertraute Verwaltung von Reichsvermögen vollständige Rechnung gelegt hat."
Eine disziplinarische Ordnungsstrafe war also ausdrücklich untersagt, sobald der Mann aus freien Stücken ging. Ob der entlassene Beamte über die Kosten des Verfahrens hinaus auch die Kosten der Vertretung aus den einbehaltenen Dienstbezügen zu leisten hatte, darin verhedderte sich die Verweisungstechnik des Reichsbeamtengesetzes ein wenig – und mit ihm das Landgericht Berlin III und das Kammergericht.
2/2: Wahres Staatsoberhaupt wird man durch Recht
Der praktische Handkommentar von Alfred Schulze (Leipzig 1908) geht unter § 100 der Frage nach, ob bei geisteskranken Beamten analog zu verfahren ist, was vor Erfindung der Psychopharmaka und der Syphilisbehandlung mittels Antibiotika zwar relevant war, hier aber nicht weiterhilft. Das Gesetz rechnet zu den Kosten des Disziplinarverfahrens, die aus den einbehaltenen Dienstbezügen zu decken sind, beispielsweise die anfallenden Portokosten. Mit einiger entwirrender Auslegungsarbeit in den Verweisen des Reichsbeamtengesetzes kommen die Reichsgerichtsräte zu dem plausiblen Ergebnis, dass die Kosten für die dienstliche Vertretung dem disziplinarrechtlich belangten Beamten nicht auferlegt werden.
Das Anliegen, einem ausgeschiedenen Beamten, der sein Amt mehr oder weniger freiwillig und geordnet niederlegt, den ehrenvollen Rückzug zu sichern, bleibt erkennbar. Eine Frage der Ehre ist auch die Einkommensordnung des Reichsbeamtengesetzes: § 5 bestimmt, dass die Bezüge monatlich im Voraus zu leisten sind. Die Vorauszahlung drückt aus, wie Kommentator Schulze anmerkt, dass das Einkommen des Beamten keine profane Gegenleistung zu seiner Arbeitsleistung sei, sondern eine für die Dauer des Dienstverhältnisses gewährte "Rente".
Warum seine Majestät zur Mehrung ihres Ruhms nicht unbedingt auf Hasen und Fasanen schießen brauchte, beantwortet § 1 des Reichsbeamtengesetzes, in dem die bis heute im Beamtenrecht gebräuchliche Phrase vom Dienstherren bemerkenswert klar wird: "Reichsbeamter im Sinne dieses Gesetzes ist jeder Beamte, der vom Kaiser angestellt oder nach Vorschrift der Reichsverfassung den Anordnungen des Kaisers Folge zu leisten verpflichtet ist."
Nähe zur Macht – vorrepublikanisches Beamtenrecht
Ein Beamter wird also entsprechend seiner Position in der Hierarchie des Staates, hier sogar seiner persönlichen Nähe zum kaiserlichen Dienstherren, mit einer "Rente" ausgestattet – nicht nach seiner Leistungsfähigkeit bezahlt, wie Schulze festhält. Scheidet der Beamte ehrenvoll, also ohne abgeschlossenes Disziplinarverfahren aus, wäre es ehrenrührig, seine Einkünfte um die Kosten für den Ersatzmann zu beschneiden.
"Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet", heißt die berühmte Phrase eines Juristen, der sich ausführlich über seine persönliche Nähe zur Macht den Kopf zerbrach. Zu Carl Schmitt (1888-1985), der diese Phrase 1922 in seiner "Politischen Theologie" publizierte, notiert Florian Illies für den Oktober 1913, der spätere Staatsrechtslehrer, damals noch kärglich besoldeter preußischer Referendar, habe einen Schnupfen gehabt und zudem Sorgen in Liebesdingen.
Den Schnupfen zu erwähnen, wirkt vielleicht etwas lächerlich – selbst wenn sich um Schmitt eine eigenartige Philologie entwickelt hat, die darauf warten lässt, dass bald noch wiederentdeckte Einkaufsschmierzettel aus Schmitts Haushalt editorisch betreut werden.
Das Liebesleid eines Staatsrechtslehrers könnte relevanter als sein Schnupfen sein. Illies kolportiert, Schmitt sei besorgt gewesen, seine Geliebte, die angebliche Gräfin von Dorotic, der engen Obhut seines sauerländischen Elternhauses auszuliefern. Die Gräfin erwies sich als Hochstaplerin, die Ehe Schmitt-Dorotic wurde vom Landgericht Bonn annulliert. Wegen seiner zweiten, nur standesamtlichen Ehe wurde Carl Schmitt von der katholischen Kirche exkommuniziert.
Vom Liebesglück über das Eheleid hin zum staatsrechtlichen Lebensthema
In seinem Buch "Die deutschen Männer und ihre Feinde", der vermutlich bizarrsten Schrift, die je über einen deutschen Juristen geschrieben wurde, hat der in jungen Jahren mit Schmitt peripatetisch befreundete Nicolaus Sombart (1923-2008), den Schmitt’schen Dezisionismus, das staatstheoretische Pathos von der (männlichen) Entscheidungsgewalt im Ausnahmezustand, auf diverse sexuelle Verwirrungen Carl Schmitts zurückzuführen versucht.
Die Verwirrung hat die Schmitt-Philologie schnell bei Sombart gesucht. Vermutlich zu Recht, denn die Lebensgeschichte des Europarats-Beamten und umtriebigen Wissenschaftlers Sombart ist nichts für keusche Leser. Völlig abwegig ist der Gedankengang, vom Liebesglück über das Eheleid hin zum staatsrechtlichen Lebensthema zu philosophieren, aber vielleicht nicht. In der Heidelberger Dissertation (1912) von Hans Breitgoff, geboren 1885 in Köln, als Assessor am Kriegsgericht 1917 von einem Granatsplitter getötet, findet sich verhaltene Kritik am katholischen Eherecht: In Fragen der kirchenrechtlichen Ehenichtigkeit sei päpstliche Willkür festzustellen.
Breitgoff scheint sonst ein entschiedener Katholik gewesen zu sein. Kritik an der dogmatischen Führung in Rom war frommen Menschen verpönt. Nun wurde Schmitt aus dem Gehäuse seiner Kirche exkommuniziert, weil seine Ehe kirchenrechtlich nicht annulliert worden war – in einem Rechtsgebiet, auf dem auch strikte Katholiken päpstliche Willkür wahrnahmen. Vielleicht ist also die These Sombarts nicht völlig abwegig, dass private Verwirrungen zum Bedürfnis führten, autoritäre Dezision von höchster Stelle hinnehmen zu können.
Statt allerhöchster Dezisionen scheint heute eher ein intelligentes Durchwursteln im gegebenen Verfassungsrahmen gefragt zu sein. Dem k.u.k. Thronfolger Franz Ferdinand, der im Oktober 1913 mit seinem Fürsten-Freund Wilhelm so manisch auf Tiere schoss, ging die Idee der "Vereinigten Staaten von Groß-Österreich" im Kopf herum, einer Art Europäischer Union im Balkanformat. Ob sein serbischer Attentäter auch nur geahnt hätte, dass wir heute in einer ähnlichen Einrichtung leben?
Martin Rath, Rechtsgeschichten 1913: 1.100 tote Fasane . In: Legal Tribune Online, 06.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9740/ (abgerufen am: 01.07.2024 )
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