Warum Tätowierungen nicht aus dem Straßenbild verschwinden, ist nicht zuletzt eine Frage an das Strafrecht. Dass Elefanten nicht dezimiert würden, war auch ein Problem deutscher Verwaltungskunst. Und dass "Ubuntu" nicht bloß am Computer Kopfschmerzen bereitet, ist eine Sorge von Martin Rath in seiner etwas anderen Literaturübersicht.
Erfreulich war schon manche verregnete Sommerwoche, ein kühler Herbst verspricht nunmehr vollends vergessen zu machen, was strahlend schöne Sommertage so gruselig zu entblättern wussten: Tätowierungen, je nach sozialem Status und persönlichem Geschmack gern kombiniert mit einer adipösen Anmutung, werden bis zum nächsten Frühling aus dem Straßenbild verschwinden. Dem Wetter sei Dank.
Eher unwahrscheinlich ist, dass jener bekannte TV-Wetterwahrsager, der zur Freude der Boulevardmedien die Sommermonate in Untersuchungshaft verbringen musste, mit dem "Tätowieren im Gefängnis" konfrontiert wurde – so der Titel eines kleinen Aufsatzes von Karl Peter Rotthaus in der Neuen Zeitschrift für Strafrecht (NStZ 2010, 199-200).
Rotthaus kritisiert einen Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim, das Ende 2008 die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen einen mutmaßlichen Gefängnistätowierer abgelehnt hatte. Man erfährt von einer "überwiegenden Meinung" in der Strafrechtsliteratur, die im Tätowieren keine Störung der Anstaltsordnung sehen mag.
Diese Meinung stellt er mit Blick nicht nur auf die erhöhte Gefahr einer Infektion, nicht zuletzt mit HIV oder Hepatitiserregern, in Frage. Die informellen Machtverhältnisse unter den Inhaftierten ließen darüber hinaus daran zweifeln, ob die Einwilligung des Verletzten wirklich freiwillig sei. Als Teil einer "negativen Subkultur der Anstalt" liege das Verdikt der Sittenwidrigkeit zwar nahe, mangels hinreichender Bestimmtheit der Strafbarkeit schlägt Rotthaus aber präventive Maßnahmen vor. Strafgefangene bloß über die stigmatisierende Wirkung von "Knast-Tattoos" zu informieren, genügt ihm dazu nicht, sei diese doch allgemein bekannt. Die "Subkultur des Gefängnisses" sei es, die "weniger negativ und feindlich" werden müsse, durch Maßnahmen, die schwache Gefangene unterstützten. Eine Prävention, die nicht nur die stigmatisierenden Tätowierungen verhindere, sondern auch schwere Gewalttaten unter Gefangenen.
Westliche Alltagsqualen – afrikanische Innovationen?
Mit Tätowierungen und Piercings hätten sich einst junge Menschen in Afrika hässlich gemacht, um für Sklavenjäger unattraktiv zu werden, behauptete der "Welt"-Humorist Hannes Stein einmal, der diese etwas schräge Hypothese in seiner "Enzyklopädie der Alltagsqualen" notierte. Moderne Großstadtbewohner, so spottete er, würden sich aus Furcht vor außerirdischen Invasoren stechen lassen.
Wie außerirdische Invasoren wurden, zeitgenössischen Zeugnissen zufolge, tatsächlich die Deutschen wahrgenommen, als sie unter anderem in Afrika – wie man so schön sagt – "Kolonien erwarben". Dieses Kapitel deutscher Geschichte wird ja insgesamt wenig wahrgenommen, Rechtshistoriker etwa finden schon deshalb wenig Hinterlassenschaften, weil die Kolonialzeit bekanntlich spätestens mit dem Versailler Friedensvertrag von 1919 auch wieder vorbei war. Für Verwaltungsrechtler und -wissenschaftler von nachwirkendem Interesse könnte daher Ulrike Kirchbergers Aufsatz "Wie entsteht eine imperiale Infrastruktur?" sein, der in der "Historischen Zeitschrift" (HZ 2010, 41-69) den "Aufbau der Naturschutzbürokratie in Deutsch-Ostafrika" behandelt.
Nachdem das Deutsche Reich 1890/91 das so genannte Schutzgebiet in Ostafrika übernommen hatte, das sich im Wesentlichen mit dem heutigen Tansania deckt, entwickelte sich innerhalb der langsam entstehenden staatlichen Verwaltung auch ein bürokratischer Apparat für Forst- und Wildschutz: "Die Jagd auf Jungwild wurde verboten, die Jagd auf Elefanten, Nashörner, Giraffen, Zebras, Strauße und Kranichgeier durfte nur nach Genehmigung durch die Kolonialverwaltung erfolgen.", berichtet Kirchberger : "Es wurden gebührenpflichtige Jagdscheine für Europäer und Einheimische eingeführt, wobei die Jagdscheine für die Afrikaner mit einer geringeren Gebühr belegt waren."
Elefanten zu töten, das wurde zum Sport für europäische Touristen. Nahrhaftes Schadwild, wie Wildschweine, auch kleinere Affen oder Reptilien durften von der einheimischen Bevölkerung weiterhin genehmigungsfrei erlegt werden. Weil sich eine deutsche Behörde ihrer annahm, wurden die Regeln für die Jagd binnen kürzester Zeit immer komplizierter: "Es wurden kleine und große Jagdscheine, Tagesjagdscheine, Bezirksjagdscheine sowie kleine und große Eingeborenenjagdscheine eingeführt." Zudem entstanden zwölf Wildreservate, umfangreiche Verbote von Abholzungen wurden erlassen, zwischen 1898 und 1911/12 errichtete man eine geordnete Forstverwaltung. Verantwortlich für die vergleichsweise schnelle Entwicklung war dabei wohl die starke Stellung des Gouverneurs, beginnend mit Hermann von Wissmann (1853-1905).
Demgegenüber hinkten Forderungen deutscher Naturschützer, ganze Gebiete nach dem Vorbild des US-amerikanischen Yellowstone-Nationalparks unter Kuratel zu stellen, 1911 hinter der Entwicklung her: Das Reichskolonialamt konnte dieses Anliegen mit Blick auf schon eingerichtete Reservate ablehnend bescheiden.
"Ubuntu" – mehr als neuer Computerkopfschmerz?
Schon rein publikationstechnisch hinken heute juristische Veröffentlichungen aus Afrika der Zeit hinterher. Aber selbst, wenn das anders wäre, würden westliche Rechtsgelehrte vermutlich gar nicht dazu kommen, eine fixe Idee ihrer afrikanischen Kollegen ablehnend zu bescheiden.
Hinter "Ubuntu" dürfte man daher beispielsweise nur ein auf Linux fußendes Betriebssystem für den Computer vermuten, das gegenüber konventionellen Systemen andere Kopfschmerzformen bereitet. Das ist so nicht ganz richtig.
In der jüngsten zu greifenden Ausgabe des "African Journal of Legal Studies" erschien mit Clarence T. Tshooses "The Emerging Role of the Constitutional Value of Ubuntu for Informal Social Security in South Africa" ein instruktiver Aufsatz, der vom Versuch zeugt, "Ubuntu" zum ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz der Republik Südafrika zu erheben, Afr JLS 2009, 12-19.
Ohne dass dies von Tshoose ausdrücklich thematisiert würde, zeigt "Ubuntu", ein Bantu-Begriff, den man etwas grobschlächtig als "soziale Wärme" übersetzen könnte, bei der Übertragung in einen juristischen Kontext ein doppeltes Gesicht: Einerseits mag er dem Begriff der Menschenwürde, dem auch in der südafrikanischen Verfassung von 1994 ein zentraler Ort zugewiesen wurde, konturieren. Das mag, angesichts der Probleme, die eine Definition von "Menschenwürde" ohnehin provoziert, nützlich sein oder heikel.
Andererseits scheint er, soweit eine liberale Tradition der Verfassungsinterpretation zum Maßstab gesetzt wird, vor allem Potenzial zu haben, mit ebendieser Tradition zu brechen: "Ubuntu", so heißt es, wurzle in einer spezifisch (süd-) afrikanischen Lebensphilosophie, in der die Entfaltung der Persönlichkeit nur in enger Beziehung zur "Gemeinschaft" erfolgen könne. Oder vielleicht "müsse"? Sollte "Ubuntu" zum ungeschriebenen Verfassungsprinzip aufgewertet werden, könnte es zum Instrument kollektivistischer Wertungen werden, "ethnische" Interessen über individuelle zu stellen, "sozialistische" über solche, die sich am Markt betätigen sollten.
Ob es dazu kommt, wird vermutlich nicht nur an der rechtswissenschaftlichen Diskussion liegen, zu der Clarence T. Tshoose bereits einige Belege anführen kann. Dank der wirtschaftlichen Verflechtungen scheinen afrikanische Machthaber für ihre teils fragwürdige Politik bereits einen "Jagdschein" zu haben – im boshaften Sinn des Wortes. Dass afrikanische Juristen nicht in diese Fußstapfen treten, wird nicht zuletzt an der Diskursbreitschaft ihrer "westlichen" Kollegen liegen.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Journalist und Lektor in Köln.
Martin Rath, Recht frech / Die etwas andere Literaturübersicht: . In: Legal Tribune Online, 04.09.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1368 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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