Zum Weihnachtsfest 1938 spielte der NS-Staat "Bescherung" auf dem Gebiet der Mutterschaft: Neu waren das Hebammengesetz und eine limitierte Kinderprämie. Und das "Mutterkreuz" wirkte propagandistisch lange nach.
Eine Rundfunk-Übertragung hatte er nicht zugelassen, um keinen Einfluss auf seine für den September anberaumte Neuwahl zu nehmen: So erlaubte sich der Deutsche Bundestag in seiner 216./217. Sitzung am 27. und 28. Juni 1957 eine Debatte, die scharf wie selten den schmalen Grat zwischen Pathos und Peinlichkeit beschritt.
Der SPD-Abgeordnete Kurt Pohle (1899–1961) erinnerte sich daran, dass ein Parteifreund als Soldat im Ersten Weltkrieg einen gemeinsamen Kameraden aus dem Stacheldraht der Westfront befreit hatte, in dem dieser zwei Tage lang schreiend hing. Für diese Tapferkeit erhielt er das Eiserne Kreuz 1. Klasse. Pohle begegnete seinem Parteifreund später im Konzentrationslager wieder, wo er schwer misshandelt wurde. Nie wieder wollte der Sozialdemokrat daher von Orden wissen, wenn die Ehre ihres Trägers mit Füßen getreten werden könnte.
Den Widerpart zu Pohle gab der für die FDP in den Bundestag eingezogene Hasso von Manteuffel (1897–1978), der darauf Wert legte, dass das neue Ordensgesetz nicht nur im Zweiten Weltkrieg erworbene Orden im engeren Sinn zu tragen erlauben sollte, sondern ausdrücklich auch Abzeichen für die "besonders auszeichnungswürdige Tat" – etwa das "Bewährungsabzeichen der Kleinkampfmittel" im Kampf gegen das Partisanenwesen.
In der Debatte tat gar zutage, dass in der von Bundespräsident Theodor Heuss (1884–1963) eingesetzten Kommission, die Regelungen zu Ordensfragen in der zweiten deutschen Republik vorbereiten sollte, nicht wenige Offiziere den Wunsch geäußert hatten, wieder ihre mit Hakenkreuzen versehenen Auszeichnungen tragen zu dürfen.
Nackte deutsche Ordensbrüste
Letztlich kreiste der Streit zwischen den sogenannten bürgerlichen Fraktionen und der Sozialdemokratie um die Frage, wie lange die nicht ganz frischgebackenen Offiziere der soeben gegründeten Bundeswehr noch im Zustand der nackten Brust würden leben müssen. Während die neuen NATO-Kameraden ihre Auszeichnungen aus dem Zweiten Weltkrieg selbstverständlich trugen, zeigten sich die deutschen Ordensbrüste noch nackt.
Im Streben, dem zügig abzuhelfen, wollte der Bundestag sogar den misslichen Umstand auf eine nachträgliche Aberkennungspraxis vertagen, dass auch "‚Verdienste‘ bei der KZ-Bewachung“ mit Orden ausgezeichnet worden waren.
In seiner Debatte über die Frage, ob und wie Orden aus der Zeit des Nationalsozialismus künftig wieder getragen werden durften, konzentrierte sich der Bundestag auf die militärischen Leiden und Leistungen von Männern. Die beiden weiblichen Abgeordneten, die sich an ihr beteiligten, nahmen vor allem zur Farbe der textilen Bänder Stellung, mit denen die Orden an der Kleidung zu befestigen seien – ein Diskussionsabgrund ganz eigener Qualität, dem hier kein Raum geschenkt werden kann.
Mutterkreuz, ein Marketing-Erfolg unter den NS-Orden
Einem millionenfach verliehenen, Frauen vorbehaltenen Orden widmete der Bundestag derweil keine Aufmerksamkeit: dem "Ehrenkreuz der Deutschen Mutter", das Hitler mit Verordnung vom 16. Dezember 1938 gestiftet hatte – pünktlich, um der weihnachtszeitlichen Propaganda zu dienen.
Frauen, die den nationalsozialistischen Vorstellungen entsprachen, sollten, sofern ihr Nachwuchs "deutschblütig und erbtüchtig" sowie "lebend geboren" war, nach der Geburt von mindestens vier Kindern die volkstümlich bald als "Mutterkreuz" bekannte Ordensauszeichnung in dritter Stufe erhalten. Mütter von sechs oder sieben Kindern bekamen ihn in der qualifizierten zweiten, ab dem achten Kind in der ersten Ordensstufe.
Durch die Beteiligung der vor Ort zuständigen Kommunal- und NS-Parteibehörden war zwar grundsätzlich dafür gesorgt, dass Frauen, deren Mutterschaft dem Regime nicht genehm war, außen vor blieben. In den Jahren bis 1945 entfaltete die "Mutterkreuz"-Verleihung gleichwohl eine breite Wirkung – sogar unter Müttern, die dem NS-Staat ablehnend gegenüberstanden: Es ging augenscheinlich einiger Reiz davon aus, im bisher weitgehend auf Männer gemünzten Ordensschmuckbetrieb geehrt zu werden.
Noch Jahre nach dem Krieg, nachdem die alliierten Besatzungsmächte das "Mutterkreuz" 1945 vorläufig, auch nachdem der Deutsche Bundestag es 1957 endgültig verboten hatte, begegneten mehrfache Mütter der Frage, ob sie sich damals für das "Mutterkreuz" qualifiziert hätten – gewiss meist eher spöttisch oder distanziert gefragt, aber doch in dem Bewusstsein, dass es diesen dreistufigen Ordenskult um weibliche Gebärleistungen gegeben hatte.
Hebammengesetz und Kinderprämien
Nahtlos anschlussfähig für die NS-Propaganda erließ die gesetzgebende Reichsregierung fünf Tage nach der "Mutterkreuz"-Verordnung das Hebammengesetz (HebG) vom 21. Dezember 1938.
Das Gesetz verpflichtete jede schwangere Frau darauf, eine Hebamme "zu ihrer Entbindung zuzuziehen" oder jedenfalls unmittelbar im Anschluss "zu ihrer und des Kindes weiteren Versorgung eine Hebamme zu rufen".
Ärzte hatten nunmehr bei Geburten eine Hebamme heranzuziehen. Die Geburtshilfe, gesetzlich definiert als Überwachung zwischen Beginn der Wehen und Hilfe bei der Geburt, war neben Ärzten nur den als Hebammen zugelassenen Frauen erlaubt. Hergebrachte Solidarität wurde gleichsam verstaatlicht.
Dem neu geregelten Berufsstand wurde mit der Bindung an eine Niederlassungserlaubnis ein jährliches Mindesteinkommen versprochen.
Die Anerkennung als Hebamme blieb weiterhin – entsprechende landesrechtliche Regelungen bestanden bereits – von einer Hebammenprüfung abhängig. Zu versagen war sie straffälligen oder "unzuverlässigen Frauen oder "wenn die Bewerberin Jüdin ist".
"Der Hebammenberuf ist kein Gewerbe"
Bis zu der 1938 ins Gesetzblatt gebrachten Neuregelung ihres Berufsstands war die Tätigkeit der Hebammen gemäß § 30 Gewerbeordnung einer landesrechtlichen Prüfung unterworfen gewesen, und zwar seit 1869.
Dieser Regelungsort – die Gewerbeordnung – hatte seither den Unwillen der Geburtshelferinnenbranche geweckt, sah man die eigene Arbeit doch eher idealistisch denn kommerziell. Der NS-Gesetzgeber stellte nun fest: "Der Hebammenberuf ist kein Gewerbe" (§ 2 Abs. 1 HebG 1938), und bediente damit ausdrücklich die antimodernistische Tendenz vieler Hebammen.
Die weltanschauliche Feindschaft gegen das gewerblich-freiheitliche Element ihres Gesundheitsberufs sollte lange Jahre nachwirken. Nicht pädagogisch liberale, urbane oder auch sexualwissenschaftlich fundierte Schriften, sondern die Säuglings- und Kleinkinderpflege-Ratgeber von Johanna Haarer (1900–1988), einer Ärztin, Nationalsozialistin und "Gausachbearbeiterin für rassenpolitische Fragen" blieben bis in die 1970er-Jahre – oberflächlich entnazifiziert – Standardwerke in der westdeutschen Mütter- und Kleinkinderversorgung.
Gebärfreude-Propaganda, aber keine Zuneigung
Passend zum propagandistisch besetzten Themenfeld "Mutterschaft" und "Kinderreichtum" erließ der NS-Gesetzgeber zudem am 20. Dezember 1938 eine Neuregelung von Kinderbeihilfen, die sogenannten kinderreichen Familien (ab vier Kindern) gewährt werden konnten.
Aufgrund des kreditfinanzierten, mit geheimer Geldschöpfung betriebenen Wirtschaftsaufschwungs und einer – unter der Hand – zum Arbeitnehmermarkt gewordenen Beschäftigungslage sah sich der NS-Staat allerdings vor der Situation, dass eher zu viel als zu wenig Geld in Umlauf war. Entsprechend blieben derartige finanzielle Vergünstigungen verklausuliert und gesetzlich stark limitiert.
Kaum zufällig wurden gesetzliche Wohltaten zurückgenommen, die einen – wenn auch bescheidenen – Beitrag zur versteckten Inflation leisten konnten: Der Gesetzgeber vernichtete, wenige Gesetzblattseiten nach Mutterkreuz- und Hebammenrecht, z.B. die Lohnansprüche jugendlicher Arbeiter in wesentlichen Teilen der Montanindustrie wieder, nachdem die Anspruchsgrundlagen erst einige Monate zuvor Gesetz geworden waren.
Das Anliegen, Mutterschaft und Geburt propagandistisch zu feiern, sich aber einen Teufel um Bedürfnisse, Würde und Wert von Kindern und Jugendlichen zu scheren, war damit auch im normativen Detail zu erkennen – diesseits der offen mörderischen Positionen des Regimes.
Versuch, Mutterschaft und Kinderzahl in die Moderne zu retten
Vor allem die beiden Rechtskomplexe "Mutterkreuz" und "Hebammenwesen", die im Dezember 1938 ins Gesetzblatt gerieten, wirkten lange nach.
Die Geburtshilfe und Säuglingsfürsorge durch Hebammen verblieb bis heute gutteils in der antimodernen Position, kein Gewerbe, sondern ein Ideal mit esoterischer Praxis zu sein – entsprechend schlecht vorbereitet, sobald sich die ökonomisch-rechtlichen Rahmenbedingungen denn einmal ändern.
Und die Frage danach, ob sie sich fürs "Mutterkreuz" qualifizieren wolle, konnte einer Frau noch lange nach dem Krieg begegnen, sollte sie mit dem dritten oder gar vierten Kind schwanger gehen. Ganz unabhängig davon, ob die Frage changierend zwischen liebevollem Spott, Gebärneid oder Verachtung gestellt, ob sie peinlich berührt oder selbstbewusst abweisend beantwortet wurde – dass Mutterschaft ein Anliegen mit vor-, wenn nicht antimodernem Hautgout sei, diese "Marke" hatte der NS-Staat auch mit seiner millionenfachen Ordenspraxis erfolgreich geprägt.
Als etwa im Jahr 1989 (!) eine zur Neubewertung der politischen Interessen von Müttern und kleinen Kindern angelegte Initiative auf den Plan trat (Dorothee Pass-Weingartz, Gisela Erler: "Mütter an die Macht"), ließ sich dieser sogenannte "Mütterfeminismus" eher linker und libertärer Provenienz in der westdeutschen Öffentlichkeit mit dem Verweis aufs vermeintliche historische Modell schnell unmöglich machen. Im Medienrummel ums Ende der DDR geriet er ganz in Vergessenheit. Am "Ehrenkreuz der Deutschen Mutter" trug die deutsche Gesellschaft jedenfalls länger, als am 16. Dezember 1938 abzusehen war.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Journalist und Lektor in Ohligs.
Rechtsgeschichte: . In: Legal Tribune Online, 16.12.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32757 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag