Libretto Fatale: Juristisches Kabarett aus dem Hohen Norden

Gil Eilin Jung

24.10.2010

Bremen ist nicht nur bekannt für seine tierischen Stadtmusikanten, sondern auch für seine juristischen Kabarettisten. Als "Libretto Fatale" haben sich acht Hobby-Mimen aus dem Bereich der Rechtswissenschaften in der norddeutschen Schauspiel-Szene etabliert. Gil Eilin Jung hat sich das bunte Repertoire aus gesellschaftlichem, politischem und juristischem Irrsinn angeschaut.

Vor dem alten Gerichtssaal 218 des erwürdigen Bremer Landgerichts herrscht ein unangenehmes Gedränge. An die 400 Personen versuchen, sich gleichzeitig durch die Türen des holzgetäfelten Verhandlungsraumes zu quetschen. Doch Ordnungshüter machen dem Tumult ein rasches Ende, weisen über die Hälfte der Schaubegierigen ab, kaum, dass drinnen der letzte Platz besetzt ist. Die Pforten schließen sich nur keinesfalls zu einem spektakulären Verfahren, sondern zu einer Darbietung der anderen Art.

Der "Gesungene Strafprozess" steht heute auf dem Plan, eine kabarettistische Revue mit Gesangseinlagen von Elvis über die Prinzen bis zu Abba. Dargeboten wird eine rasante "Life-Reality-Court-Show", die verspricht, "alles in den Schatten zu stellen, was Sie von Barbara Salesch bislang gekannt haben". Dass die Gruppe "Libretto Fatale" trotz laienschauspielerischer Do-it-yourself-Ausbildung überzeugend selbstsicher agiert, ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass sich die Akteure bestens in den Räumen der Justiz auskennen.

Desirée Kamm, die die sexy-schräge Strafverteidigerin gibt und Marianne Rosenbergs "Er gehört zu mir" herrlich schrill intoniert, ist im wirklichen Leben Professorin an der Hochschule Bremen. Fachbereich Arbeitsrecht, Europarecht und Gesellschaftsrecht. Ihre mit Ironie, Witz und Rock'n'Roll-Equipment agierenden Kollegen sind Richter, Justiziare, Rechtsberater von Rundfunk und Gewerkschaften und Rechtsanwälte. Drei Frauen und fünf Männer.

Die ersten humoristischen Gehversuche: Ein voller Erfolg

Zusammengefunden hat sich die Runde eher zufällig Anfang der 80er Jahre, wie die Volljuristin erzählt. "Wir waren damals noch Referendare und haben ein kabarettistisches Stück entwickelt. Auf einem Referendariatsfest sind wir aufgetreten - und schlugen ein wie eine Bombe." Es folgten weitere Engagements an der Hochschule, Einladungen zu lokalen Veranstaltungen, schließlich sogar bundesweite Gastauftritte im Saarland und Berlin zu einschlägigen Kleinkunst-Festivals, inklusive TV-Auftritten.

Dass es die Gruppe in ihrer seit 1983 bestehenden Original-Besetzung überhaupt gibt, ist zu einem Achtel den gestrengen Richtlinien Bayerns zu verdanken. Das Land hatte der jungen Nürnberger Jurastudentin Kamm im Rahmen ihres Referendariats nämlich verwehrt, bei den United Nations in New York anzutreten. Die bayerische Regierung befand die UN als "kommunistisch unterwanderte Organisation" und riet Kamm, doch lieber zur bayerischen Milchversorgung zu gehen. Das lehnte die junge Frau ab und wechselte trotzig ins liberale Bremen. Für New York und die UN gab es dort grünes Licht "und nach Bayern hab ich dann auch nicht mehr zurückgewollt", wie Kamm berichtet.

Die Gruppe der junggebliebenen Fifty-Somethings stemmt heute regelmäßige Engagements bei der renommierten Bremer "Shakespeare Company". Rund 20 im Jahr. Für alle Beteiligten sei das "eine so feste Sache, dass wir überhaupt nicht wüssten, was wir an Donnerstagen anfangen sollten, wenn mal keine Proben mehr stattfänden", sagt die Professorin und lacht. Man sei im Laufe der Jahre regelrecht verschmolzen, verstehe sich blind, habe "kein bisschen vom Enthusiasmus" der Anfangsjahre eingebüßt und bündele die Talente.

Kabarett schult auch fürs Berufsleben

"Der eine hat die zündende Idee, der andere die perfekte Sprache, der nächste den Wortwitz, das Organisationstalent oder die Musikalität. Wir waren eigentlich immer am besten, wenn wir alle zusammen an den Stücken gearbeitet haben, ganz strikt basisdemokratisch – und politisch sind wir eh, das ist die Grundvoraussetzung, um Kabarett zu machen". Eine einzelne treibende Kraft, gäbe es dabei nicht, "es ist unterschiedlich wer treibt, aber irgendeiner treibt immer", sagt Kamm.

In der Bremer Szenerie hat sich "Libretto Fatale" inzwischen implementiert. Die Aufführen sind fast immer ausverkauft. "Viele wissen aber nicht, dass wir Juristen sind", sagt Kamm. Anderen Kollegen könne sie nur "wärmstens empfehlen, so etwas zu machen. Kabarett hat mir bei Bewerbungen geholfen oder in vielen kniffeligen Situationen – ich kann da auf Knopfdruck sagen: 'So, Du spielst jetzt Professorin und die Rolle so!'" Selbstdarstellung und sich auf den Punkt zu präsentieren seien die optimalen Voraussetzungen für den Beruf.

Bis die Stücke richtig sitzen dauert es oft Monate. Man "bügelt" an Szenen, so lange bis sie richtig stehen. Das sei "ein Prozess", sagt Kamm. Das neue Stück, mit dem "Libretto Fatale" ab Frühjahr 2011 aufwartet, wird sich der großen Politik widmen, dem Lifestyle und – immer beliebt – dem nervtötenden Zusammensein von Eltern und Teenagern. "Ein bisschen Sarrazin, Rössler und Kachelmann mit einer Mischung Dreisatz und Liebeskummer." Lustig sein ist dabei das Entscheidende, wie Kamm betont: "Bloß kein moralisches oder Aufklärungskabarett. Wir wollen unser Publikum ja nicht deprimieren".

Das sei auch nur einmal passiert. Kurz nach der Wende im alten Osten. "Wir dachten, wir hätten ein wunderbares Programm über die Ossie-Wessie-Problematik. Das Schlimme war, dass wir denen im Osten vorgeführt haben, was später Realität wurde - nur dass wir viel zu weit vorausgedacht hatten und man uns überhaupt nicht folgte." Im Publikum herrschte eisiges Schweigen, sagt Kamm. "Das wollten die gar nicht sehen, das war furchtbar." Doch eine gute Sache hatte das Fettnäpfchen, findet die Juristin: "Wir konnten das wunderbar recyceln für neue Geschichten." Life is a Cabaret...

Zitiervorschlag

Gil Eilin Jung, Libretto Fatale: . In: Legal Tribune Online, 24.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1771 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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