Ein saftiger Rehrücken, eine duftende Pilzsoße und ein wuchtiger Rotwein aus der Karaffe: Deftige Herbstgerichte laben in kalter Zeit die Seele. Steckt im Wild ein Projektil oder endet das Pilzessen im Krankenhaus, ist der Spaß schnell zu Ende. Gast und Gastwirt machen die Rechnung dann häufig vor Gericht.
Ein Ehepaar aus Baden zog es im Herbst in ein Wild-Restaurant im Schwarzwald. Die Speisen wurden auf weißem Damast serviert, in der Ecke tickte betulich eine Standuhr: Einem rundum gelungenen Sonntagsausflug schien nichts im Wege zu stehen.
Beim Hauptgang, einem Hasenfilet in Rotweintunke, ließ der Badener einen Schrei fahren: Sein Backenzahn tat plötzlich höllisch weh. Nach einer näheren Inspektion auf der Herrentoilette stand die Diagnose fest: Das Beißerchen war geborsten.
Der Übeltäter war schnell ausgemacht: Eine Schrotkugel respektablen Ausmaßes, auf die der Wild-Fan mit Schmackes gebissen hatte.
Fleisch muss auf "Fremdkörper" abgetastet werden
Einen Tag nach dem kulinarischen Malheur saß das Schrotopfer auf dem Zahnarztstuhl. Diesmal kam der Schmerz mit der Rechnung: 600 Euro sollte die Überkronung des Unglückszahns kosten. Der Patient reichte die Kosten an den Inhaber der Gastwirtschaft weiter – ergänzt durch die Forderung nach 500 Euro Schmerzensgeld.
Als der Restaurateur abwinkte, gelangte das Wild-Fiasko vor den Kadi. Der Richter nahm die Schrotkugel in Augenschein. Danach war für den Juristen klar: Der Wirt oder sein Koch hätten die Hasenfilets genauer untersuchen müssen, bevor sie sie in die Pfanne gehauen haben. Begründung: Bei der Verarbeitung "wildlebender Tiere, die erfahrungsgemäß durch Schüsse mit Schrot erlegt werden", müsse mit "Fremdkörpern" im Fleisch gerechnet werden. Angesichts der "respektablen Größe" der Kugel habe der Gastronom diese Sicherheitsmaßnahme offensichtlich unterlassen.
Ganz ungeschoren kam freilich auch der unbesorgte Schlemmer nicht davon: Ein Viertel des Schadens musste er im Wege des Mitverschuldens selbst zahlen. Auch hier bezog sich der Richter auf die Lebenserfahrung. Da die Gefahr von Schrotkugeln in Wildgerichten allgemein bekannt sei, müsse der Gourmet eben vorsichtig zu Werke gehen (Amtsgericht Waldkirch, Az. 1 C 397/99).
Schweizer Hirschpfeffer nicht unfallträchtig
Dentale Katastrophen ereignen sich offensichtlich nicht nur bei deutschem Wildbret. Im November 2002 ereilte einen Schweizer aus dem Waadtland ein Zahnbruch. Die Schrotkugel hatte sich in diesem Fall hinterhältiger Weise in einem höchst schmackhaften Hirschpfeffer versteckt.
Der malträtierte Eidgenosse schickte die Zahnarztrechnung über 434 Franken an seine Unfallversicherung. Die Assekuranz schaltete auf stur. Der anschließende Rechtstreit zog sich bis zum Eidgenössischen Versicherungsgericht (EVG) in Luzern.
Die EVG-Richter schlugen sich auf die Seite der Versicherung. Von einem "Unfall" im Sinne des Versicherungsrechts könne nur nach der Einwirkung eines "ungewöhnlichen äußeren Faktors" gesprochen werden. Wild-Esser müssten freilich erwarten, dass sich im Fleisch Rückstände des Projektils befinden könnten. Insofern dürften sie nicht besser gestellt werden als Kirschkern-Opfer oder Geschädigte von Bissen auf Hühnchenknorpel – alles bereits früher abschlägig beurteilte Versicherungsfälle (Eidgenössisches Versicherungsgericht, Az. U 367/04).
Üble Champignons an Ochsenzunge in Weißweinsoße
Wenig Glück mit der Justiz hatte auch die Besucherin eines Edelrestaurants in einem renommierten Kurort in Nordbaden. Zur mittäglichen Ochsenzunge in Weißweinsoße wurden anscheinend harmlose Champignons gereicht. Die Dosenpilze hatten es in sich: Zwei Tage musste die Ochsenzungen-Liebhaberin ins Spital. Diagnose: Pilzvergiftung.
Schmerzensgeld bekam sie dennoch nicht. Das Küchenpersonal gab übereinstimmend zu Protokoll, die Dosen seien intakt gewesen; sowohl die Geruchsprobe wie auch die Augenscheinnahme seien positiv verlaufen. Die Richter zeigten Verständnis: Die Dosen zu kosten, sei nicht zumutbar. Schließlich könnten sich die Gammelpilze auch am Boden befinden (Oberlandesgericht Karlsruhe, Az. 9 U 19/67).
Der Autor Dr. Uwe Wolf ist Jurist und freier Autor in Düsseldorf.
Uwe Wolf, Küche im Herbst: . In: Legal Tribune Online, 06.11.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1876 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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