Den Deutschen ist er als der "Alte" in Erinnerung geblieben. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Konrad Adenauer als erster Bundeskanzler zum "Architekten der Bundesrepublik". Vor seiner politischen Laufbahn strebte er allerdings eine ganz andere Karriere an und studierte Jura in Freiburg, München und Bonn. Die juristische Expertise sollte ihm auf dem Weg ins Kanzleramt noch nützlich sein.
Als dem Gerichtsbeamten Johann Conrad Adenauer am 5. Januar 1876 der dritte Sohn geboren wird, kann er nicht ahnen, welche Rolle der kleine Konrad Hermann-Joseph einmal in der deutschen Geschichte spielen wird. Doch bevor der Filius in die Politik wechselt und als erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland in die Geschichtsbücher eingeht, versucht sich der gebürtige Kölner als Jurist.
Nach dem Abitur tritt Konrad am 1. April 1894 zunächst eine Lehre im Kölner Bankhaus Seligmann an, weil der Familie das notwendige Geld für ein Studium des Hochbegabten fehlt. "Wenn du dich einschränkst und wir uns einschränken, dann muß es gehen", erklärt der Vater jedoch. "Ich habe ein Gesuch an die Krämerstiftung gerichtet, vielleicht kannst du aus dem Stipendiatenfonds für begabte Kölner Bürgersöhne eine Unterstützung bekommen." Tatsächlich wird das Stipendium noch rechtzeitig zum anstehenden Sommersemester bewilligt.
Der Kölner Bürgersohn immatrikuliert sich Mitte April 1894 als Jurastudent an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg/Breisgau, denn Köln verfügt zu jener Zeit über keine Universität. Zugleich tritt Adenauer dem katholischen Studentenverein KStV Brisgovia bei, der ihm bei seiner "Biertaufe" den Biernamen "Toni" verleiht.
Süddeutsches Exil
Von besonderer Bedeutung in jener Zeit wird die enge Freundschaft mit seinem Kommilitonen Raimund Schlüter – Biername "Schlot" – einem westfälischen Bauernsohn. In ihm findet der Exilkölner den Freund, der seinem eigenen Wesen entspricht und der ebenso gerade, ehrlich und verschlossen, pflichtbewusst und religiös wie er selbst ist. Gemeinsam unternehmen sie lange Wanderungen, besuchen Museen und Büchereien, reisen mit wenig Geld – denn auch Schlüter ist arm – zusammen ins Ausland und erobern Stehplätze in der Oper und im Theater.
So unauffällig-durchschnittlich er schon als Schüler war, so zeigt sich auch der Student Konrad Adenauer. In seiner Studentenvita finden sich keine überragenden Leistungen, keine Eskapaden oder Abenteuer, weder der Liebe noch des Geistes, keine Konflikte, keine Verstrickungen und Verwirrungen. Er besucht stattdessen gewissenhaft seine Vorlesungen und legt seine Prüfungen ab.
Nach dem ersten Semester zieht es "Toni" und "Schlot" für zwei Semester an die Universität München, wo sie auch dem Katholischen Studentenverein Saxonia beitreten. Neben den juristischen Kursen nimmt Adenauer an Lehrveranstaltungen des Nationalökonomen Lujo Brentano teil, hört die Vorlesungen des Historikers Anton Julius Chroust, des Literaturhistorikers Karl Borinski und des Philosophen Moritz Lavrière.
Heimkehr ins Rheinland
Gemeinsam mit Schlüter unternimmt Adenauer in den Semesterferien ausgedehnte Wanderungen in der Schweiz, in Italien und in Böhmen. Übernachtet wird in Feldscheunen, in den Wartesälen der Bahnhöfe oder, wenn das Geld reicht, in ländlichen Gasthäusern. Bei einer Wanderung nach Oberitalien, die über sechs Wochen dauerte, haben beide zusammen vom Beginn bis zum Ende der ganzen Reise keine hundertfünfzig Mark verbraucht.
Zum vierten Semester im Herbst 1895 kehrt "Toni" begleitet von seinem Freund "Schlot" ins Rheinland zurück. Die Freunde setzen das Jurastudium an der Universität Bonn fort und schließen sich dem Katholischen Studentenverein Arminia an. In Bonn intensiviert Adenauer seine Studien.
Er ist immer fleißig gewesen, doch an dieser akademischen Stätte steigert er noch sein Arbeitstempo, so dass ihn die Mutter mit Angst um die Gesundheit des Sohnes sogar mäßigen muss. Die Adenauer-Biografin Daniela Klein berichtet über diese Phase: "Nächte hindurch saß er über seinen Büchern, und, um nicht einzuschlafen, stellte er seine Füße in eiskaltes Wasser." Im Eiltempo strebt er dem Referendarexamen entgegen, das er nach insgesamt sechs Semestern am 22. Mai 1897 mit der Note "gut" abschließt.
Vorbereitungsdienst in Köln
Am 28. Mai 1897 tritt Adenauer in den einjährigen Vorbereitungsdienst beim Landgericht Köln ein. Es folgen Stationen bei der Staatsanwaltschaft, in der Kanzlei von Justizrat Schniewind und des Notars Justizrat Schäfer. Am 3. Januar 1900 setzt er den Vorbereitungsdienst beim Amtsgericht Köln fort, arbeitet im Oktober/November des Jahres wieder bei Schniewind und wird ab 1. Dezember 1900 erneut beim Oberlandesgericht tätig. Nach vierjähriger Referendarausbildung legt Adenauer im Oktober 1901 in Berlin sein Assessorexamen mit dem Prädikat "ausreichend" ab.
Der frisch gebackene Volljurist wird dem Oberlandesgerichtspräsidenten in Köln zugewiesen, wo er Mitte Januar 1902 eine befristete Vertretung bei der Staatsanwaltschaft erhält. In diese Zeit fällt auch der in verhaltener Herzlichkeit ausfallende Abschied von Schlüter, der eine Stelle beim Amtsgericht Gmünd übernimmt.
"Acht’ auf deine Gesundheit, Schlot", sagt Adenauer.
"Und du, arbeite nicht zuviel, Toni", erwidert Schlüter.
"Schreib bald mal!" bittet Adenauer.
"Natürlich, wenn’s was Wichtiges gibt [...]" antwortet der Freund.
Die beiden sehen sich nie mehr wieder, weil Schlüter nur kure Zeit später an einem Blutsturz stirbt.
Ab 11. Oktober 1903 wird Adenauer beurlaubt, um die Vertretung des Justizrates Hermann Kausen zu übernehmen. Für den Adenauer-Biografen Peter Berglar ist das eine prägende Zeit – auch im Hinblick auf die spätere politische Karriere: "Hier eignete sich Adenauer die Kunst der freien Rede und die souveräne Beherrschung der jeweiligen rechtlichen Materie an, was ihm in unzähligen schwierigen Situationen seines langen politischen Lebens immer wieder Überlegenheit sicherte."
Bundeskanzler statt Notar auf dem Lande
Nach einer Bewerbung um eine Notarstelle in Kempen wird er am 1. Dezember 1905 zur Vertretung des Landgerichtsrats Dr. Johnen beim Landgericht Köln angewiesen und übt bis zum Ende März 1906 die Tätigkeit als Hilfsrichter in der Hoffnung aus, von dort eine Stelle als Notar auf dem Lande zu bekommen.
Als der junge Jurist Anfang 1906 dem Zentrum, der Partei des katholischen Bürgertums, beitritt, ändern sich seine Lebensperspektiven. Die Stelle eines Beigeordneten bei der Kölner Stadtverwaltung wird frei. Justizrat Kausen, als Führer der Kölner Zentrumspartei beinahe unumschränkter Herr des Kölner Stadtparlaments, will den Posten mit einem jungen Saarbrücker Richter besetzen.
"Warum nehmen Sie nicht mich, Herr Justizrat?" fragt Adenauer, als er davon hört. Er wird von Kausens Zentrum vorgeschlagen und am 7. März 1906 auch zum Beigeordneten gewählt. Die juristische Laufbahn ist damit zu Ende; es beginnt Adenauers politischer Weg bis zum Kanzleramt der jungen Bundesrepublik Deutschland.
Jürgen Seul, Zum 45. Todestag von Konrad Adenauer: . In: Legal Tribune Online, 19.04.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6034 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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