1935 entschied das Reichsgericht zur Frage, ob und in welchem Umfang ein Zeitungsunternehmen haftet, das falsch über eine angebliche Insolvenz berichtet hatte.
Architekturhistorisch aufgeweckte Ein- und Anwohner der Stadt Köln sowie am Presserecht interessierte Zeitgenossen bekamen im Oktober 2006 Gelegenheit, sich über eine Ironie der Geschichte zu amüsieren.
Nachdem das Nachrichtenmagazin Der Spiegel im Februar 2006 einen Artikel veröffentlicht hatte, in dem es den Verlag M. DuMont Schauberg und die Familie Neven DuMont bezichtigte, sich im Rahmen der sogenannten Arisierung nach 1933 auf Kosten jüdischer Voreigentümer an sehr wertvollen Grundstücken in der Innenstadt Kölns bereichert zu haben, verpflichtete das Landgericht Köln den Hamburger Verlag und seinen Autor umfassend zum Widerruf.
Wesentliche historische Dokumente zum staatlich orchestrierten Raub an den jüdischen Kölnerinnen und Kölnern waren unzulänglich ausgewertet worden, das Nachrichtenmagazin hatte die Befunde zudem nach Art des Hauses ein wenig zu sehr zugespitzt.
Das Selbstbild der Kölner Verlegerfamilie, die glaubte, mehr liberales Rückgrat besessen zu haben, war immerhin angekratzt. Eine historische Studie unter anderem zum Verhalten der Kölnischen Zeitung – einst neben der Vossischen und der Frankfurter Zeitung ein meinungsführendes Blatt deutscher Sprache – im NS-Staat ging in Auftrag.
Zu den Ironien des Vorgangs zählt weniger, dass mit der geschichtswissenschaftlichen Untersuchung das Thema als erledigt behandelt werden konnte. Eine hübsche Pointe liegt vielmehr darin, dass das heute gut ausgebaute Presserecht hier ein schnelles Vorgehen der Kölner gegen die Hamburger erlaubt hatte – bevor sich das durchaus durchwachsene Verhalten des DuMont-Verlags in der NS-Zeit zum echten Reputationsschaden entwickeln konnte.
DuMont macht berühmten Baumeister unmöglich
Diese historische Pointe enthüllt sich mit Blick in die Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen, Band 148, Seiten 154 bis 166. Mit Urteil vom 20. Juni 1935 hatten die Leipziger Richter eine Antwort auf eine presserechtliche Frage formuliert, die sie ihrer Tradition entsprechend ganz didaktisch an den Anfang setzten:
"Nach welchen Rechtsgrundsätzen und in welchem Umfang haftet der Verleger einer Tageszeitung für die Schäden, die durch die Veröffentlichung einer Falschmeldung über die ungünstige Vermögenslage eines Beziehers erwachsen?"
Anlass dazu gab ein Vorgang, der sich fünf Jahre zuvor zugetragen hatte.
In einem Teil ihrer Morgenausgabe, die Blätter erschienen seinerzeit noch mehrmals täglich, hatte die Kölnische Zeitung vom 12. November 1930 die kurze Meldung gebracht: "Der Architekt Koerfer ist in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Eine Gläubigerversammlung findet heute statt."
Am gleichen Tag veröffentlichte der ebenfalls von M. DuMont Schauberg verlegte Kölner Stadt-Anzeiger einen ausführlicheren Artikel unter der Überschrift: "Professor Koerfer in Zahlungsschwierigkeiten". Das Blatt gab bekannt, dass der Architekt Koerfer, "Erbauer und Eigentümer des bekannten Hochhauses am Hansaring", in wirtschaftliche Not geraten sei und erklärte: "Der Professorentitel wurde ihm aus Anlaß der Fertigstellung des Aachener Hochhauses verliehen. Die Stadt hat ihm aus Anlaß der Erbauung des Kölner Hochhauses größere Hypothekenbeträge gegeben; es wird sich demnächst zeigen, wie weit die Stadt Köln bei dieser Zahlungseinstellung in Mitleidenschaft gezogen wird."
Anlass dieser Meldungen war jedoch eine Namensverwechslung gewesen. In wirtschaftliche Not war anderenorts eine Firma Louis Koerfer geraten. Der Redakteur der Kölnischen Zeitung hatte zwar am 11. November 1930 mit dem Kölner Architekten Jacob Koerfer (1875–1930) telefonisch Kontakt aufgenommen. Trotz der energischen Widerrede des fälschlich der Insolvenz bezichtigten Bauunternehmers, der mit seinen Leuten über Nacht eine Krisensitzung wegen des zu erwartenden Reputationsschadens abhielt, waren die Meldungen in Teilauflagen der beiden reichweitenstarken DuMont-Zeitungen veröffentlicht worden.
Jacob Koerfer, dessen Unternehmen angesichts der Weltwirtschaftskrise in zwar angespannter Lage war, aber eben nicht zahlungsunfähig, erlitt bald nach der journalistischen Fehlleistung eine gesundheitliche Krise – eine wohl verschleppte Gallenblasenentzündung zog eine Sepsis im Bauchraum nach sich, an der er mit 55 Jahren schon am 26. November 1930 verstarb. Seine Witwe sollte in der Folge gegen die Verlegerin der beiden Kölner Zeitungen klagen – die Vorgängerin der heutigen DuMont Mediengruppe.
Tod eines äußerst leistungsfähigen Unternehmers
Die Falschmeldung traf einen nicht nur in der Region berühmten Unternehmer – den Erbauer nicht "eines", sondern schlichtweg "des bekannten Hochhauses".
Als noch junger Mann hatte sich Jacob Koerfer im beginnenden 20. Jahrhundert einen Namen als Architekt unter anderem von Feuerwehrgebäuden und Villen gemacht, nachdem er eine Weile in der Kölner Stadtverwaltung gelernt hatte, wie mit den ortsüblichen bürokratischen Verstrickungen umzugehen war.
Zu seinen bekanntesten Leistungen zählte schließlich das 1924/25 binnen weniger Monate errichtete Hansahochhaus – seinerzeit mit 65 Metern und 17 Etagen eines der höchsten Geschäftsgebäude Europas.
Ein Enkel Jacob Koerfers, der Historiker und Geschäftsmann Daniel Koerfer (1955–), sollte im Jahr 2010 in einer Abrechnung mit der seiner Auffassung nach äußerst unfreundlichen deutschen Mittelstandspolitik auch die Geschichte dieses Hansahochhauses rekapitulieren: Als die Eigentümerfamilie in jüngerer Vergangenheit einen wichtigen Gewerbemieter verloren hatte, suchte sie bei der Stadt um Erlaubnis, am Turm ein großes Werbebanner zur Neuvermietung anbringen zu dürfen. Bis zur Mitteilung, dass zunächst Planungsamt und Stadtkonservator eingeschaltet werden müssten, benötigte die heutige Kölner Verwaltung drei Wochen, weitere zwei Wochen für die Feststellung, dass das Banner zwischenzeitlich bereits unerlaubt angebracht worden war.
Nicht zuletzt dank seiner Beziehungen zur Kommunalpolitik hatte es hingegen Jacob Koerfer 1923 geschafft, binnen nur einer (!) Woche die Baugenehmigung für das Hochhaus zu erhalten – wobei sich die Stadtverwaltung unter Oberbürgermeister Konrad Adenauer (1876–1967) im Wesentlichen darauf beschränkte, zusätzliche Höhenmeter zu wünschen, um das seit 1922 im benachbarten Düsseldorf entstehende Wilhelm-Marx-Haus zu überragen.
Kein Wunder, dass die von jeher in einem in Licht- wie Schattenseiten oft etwas infantilen Lokalpatriotismus gefangene Presse der Stadt Köln allzu eilfertig von der vermeintlichen Zahlungsunfähigkeit der Firma Koerfer berichtete.
Urteil des Reichsgerichts im Jahr 1935
Berta Koerfer (1877–1976), die Witwe, klagte gegen die Firma DuMont mit der Behauptung, "die Gallenblasenentzündung, die Operation und der Tod ihres Ehemannes seien auf die falsche Meldung in den Zeitungen der Beklagten zurückzuführen".
Die beiden Artikel zur angeblichen Insolvenz hätten Jacob Koerfer so erregt, dass "dadurch erst das Gallenleiden entstanden sei; weder er noch sein Hausarzt hätten vorher jemals Anzeichen einer Gallenerkrankung bei ihm bemerkt". Selbst für den Fall, dass das Leiden bereits bestand, sei nach den Regeln des Anscheinsbeweises anzunehmen, dass die Redakteure der beiden DuMont-Blätter den Gallenanfall ausgelöst hätten.
Mit Leistungs- und Feststellungsklage begehrte Berta Koerfer umfangreich Schadensersatz wegen Arzt- und Pflegekosten, Kosten zur Beseitigung der eingetretenen Kreditschädigung und zur Verhinderung weiterer Kreditschädigung, Schmerzensgeld, verminderte Erwerbsaussichten, Beerdigungskosten, Wegfall des Unterhaltsanspruchs der Witwe gegenüber dem verstorbenen Gatten. Das Landgericht Köln gab der Klage nur hinsichtlich eines Schmerzensgeldanspruchs über 5.000 Reichsmark sowie wegen der Kosten statt, die durch die Krisensitzung in der Nacht vom 11. auf den 12. November 1930 entstanden waren: Auto-, Telefon- und Anwaltskosten von weiteren 967 Reichsmark. Vom Oberlandesgericht wurden nur noch die Auto- und Telefonkosten um ein Drittel niedriger angesetzt.
Nach Darstellung von Daniel Koerfer, dem Enkel, blieb es, was den Schadensersatz anging, im Wesentlichen bei diesem Ansatz. In presserechtlicher Hinsicht holte das Reichsgericht jedoch weiter aus und verwies die Sache zurück.
Erstaunlich, weil heute selbstverständlich mag hier der Befund der Leipziger Richter sein, dass zwischen den Abonnenten einer Tageszeitung und ihrem Verleger – Koerfer bezog die beiden Blätter – kein Dienst-, sondern ein Kaufvertrag bestehe, sodass den Verleger insoweit keine Pflicht zur "gerade über seine Bezieher zugehenden Meldungen ganz besondere Nachprüfung auf ihre Richtigkeit" treffe.
Wichtiger war, dass das Reichsgericht die Möglichkeit eines Verlages limitierte, nach § 831 Abs. 1 S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) der Ersatzpflicht zu entgehen – durch den Grundsatz, dass es dem Verleger obliege, "seine Schriftleiter sorgfältig auszuwählen und sie mit Weisungen zu versehen, welche die Verbreitung unrichtiger Meldungen in seiner Zeitung im Rahmen des Möglichen hintanzustellen geeignet sind, überhaupt alle Einrichtungen zu treffen, welche zur Erreichung dieses Zieles erforderlich sind". Die beklagte Verlegerin "durfte sich keineswegs darauf verlassen, ihre Schriftleiter würden schon von selber wissen, was sie zu tun und zu unterlassen hätten, damit nicht unwahre Mitteilungen in die K[ölnische Zeitung] und den St[adt] A[nzeiger] gelangten".
Der Grundsatz, Verleger hätten dafür zu sorgen, dass die Richtigkeit einer Meldung umso gründlicher geprüft wird, je schädlicher ihre Verbreitung für fremde Reputation sein könnte, blieb nach dem Untergang von Reich und Reichsgericht im Jahr 1945 erhalten – feine Ironien in seiner heutigen Anwendung nicht ausgeschlossen.
Tipp: Daniel Koerfer: "Ohnmächtige Wut. Nachrichten aus dem Mittelstand". In: "Merkur" Heft 736/737 (2010), S. 965–976.
Als das Reichsgericht den DuMont-Verlag an die Kandare nahm: . In: Legal Tribune Online, 09.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42438 (abgerufen am: 16.11.2024 )
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