Es mag einerseits an die Grenzen des guten Geschmacks gehen, über Sklaven und ihre Rechte einen juristischen Spaß zu machen. Andererseits mögen es auch nicht alle Anwälte, wenn über das Ausufern von Fachanwaltschaften gescherzt wird. Der Denkanstoß zu einem Fachanwalt für Sklavenrecht ist kein ganz harmloser Witz von Martin Rath.
Seit im Jahr 1929 erstmals Fachanwaltschaften etabliert wurden, die NS-Juristen sollten sie allerdings 1935 gleich wieder abschaffen, hat das berufsständische Bekenntnis zu besonderen Kenntnissen in gewissen Rechts- oder Lebenswelten ein ständiges Hin und Her erlebt. Für einige Zeit sollte eine Faustformel die Anzahl an Fachanwaltschaften begrenzen: eine je eigener Prozessordnung. Heute zählt die Statistik ein viel breiteres Spektrum – von der mit über 8.300 Köpfen schier omnipräsenten Gruppe der Fachanwälte für Familienrecht bis zur fast familiär anmutenden Größe der 83 Anwälte für Agrarrecht, die von der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) 2011 erfasst wurden.
Solange Bauerregeln nicht justiziabel sind, sprießt aus der Ausdifferenzierung leider noch keine Komik. Hier sind die Mediziner mit ihrem "Facharzt für Allgemeinmedizin" den Juristen weit voraus. Doch keimt schon bei lediglich 20 Fachanwaltschaften milder Spott. Der Hamburger Rechtsanwalt Christoph Nebgen ließ sich etwa vom "Fachanwalt für Verkehrsrecht" zu Gedanken über "Pferderecht, Tierrecht, Blondinenrecht oder Milionärsrecht" anregen, konnte sich aber leider nicht durchringen, Fachanwaltschaften für diese doch sehr reizvollen Materien vorzuschlagen.
Bedarf für einen Fachanwalt für Sklavenrecht
Für die Zulassung einer neuen Fachanwaltschaft hat die BRAK Kriterien aufgestellt, die auch ein neuer "Fachanwalt für Sklavenrecht" erfüllen müsste. Selbst wenn im Folgenden nicht strikt unter diese Kriterien subsumiert werden kann, soll doch der Anscheinsbeweis erbracht werden, dass das Sklavenrecht ein hinreichend breites Fachgebiet, eine jedenfalls interessante Gruppe potenzieller Mandanten sowie einen komplexen rechtlichen und lebensweltlichen Schwierigkeitsgrad aufweist – um einige der BRAK-Maßstäbe zu nennen.
Nach einem allgemeinen, alle Kulturen und Zeiten umfassenden Leitbild "von Sklaverei ist ein versklavter Mensch eine entrechtete, unfreie Person, die zur Arbeit gezwungen wird und als Eigentum einer anderen Person gilt", führt die Frankfurter Sklaverei-Forscherin Carolin Retzlaff aus und ergänzt, dass dieses Besitzverhältnis einhergehe mit psychischer Drangsalierung und physischer Gewalt (DOI 10.1524/hzhz.2011.0059).
Unzählige völkerrechtliche Verträge verbieten heute Sklaverei. In Deutschland beseitigte die Revolution von 1918/19 die letzten Reste der Sklaverei entstammender Rechtsnormen – bis dahin entzogen manche Gesindeordnungen den städtischen Dienstleuten und der Knechtschaft auf dem Land das rechtliche Gehör, wenn sich ihre "Herrschaft" verbal oder körperlich an ihnen vergriffen hatte. In den USA fand das Sklavenrecht, ein sehr umfangreiches Case Law, 1867 sein Ende.
Doch bleibt es nicht bei unrühmlicher Vergangenheit. Die älteste britische Menschenrechtsorganisation, Anti Slavery International, nennt die erschreckende Zahl von 12,3 Millionen Menschen, die aktuell in Sklaverei gehalten werden ("The Cost of Living"). Anti Slavery International verweist auf ein weites Feld ‚weicher‘ Inlandsbezüge globaler Sklaverei: Darf etwa eine deutsche Verwaltung in einem Vergabeverfahren das günstigste Angebot ablehnen, weil Teilleistungen auf Zwangsarbeit in Pakistan oder in Korea beruhen?
Dem ersten Anschein nach lassen sich "harte" Inlandsbezüge zu diesem globalen Problem nur selten herstellen und könnten mit rein ausländer- und völkerrechtlicher Expertise zu bearbeiten sein. Immer wieder wird zum Beispiel davon berichtet, dass der diplomatische Dienst arabischer Staaten sein Hauspersonal in Sklaverei hält. In Berlin zog sich erst 2011 ein saudischer Diplomat auf seine Immunität zurück.
Es finden sich weitere Anknüpfungspunkte, die ein weites Feld anwaltlicher Tätigkeiten abstecken könnten – ohne die deutschen Grenzen zu verlassen. So haben Forscher der Universitäten Göttingen und Heidelberg sowie der London School of Economics einen Index entwickelt, der Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels erfasst. Es mag zwar Sklaverei ohne Menschenhandel geben, aber wohl kaum Menschenhandel ohne Versklavung. Jede der drei im "Anti-Trafficking Policy Index" erfassten Kategorien Strafverfolgung, Prävention und Opferschutz deutet auch eine "potenzielle Mandantschaft" hin und lässt auf eine ganze Anzahl rechtsberatungsbedürftiger Materien schließen .
Fachanwalt für Sklavenrecht – Bedarfsspekulation ex post
Im aktuellen Index zur Bekämpfung des Menschenhandels stellt sich Deutschland schlechter als im Vorjahr. Bei nüchterner Betrachtung könnte das einen vermehrten juristischen Betreuungsbedarf andeuten. Fraglich ist nur, ob der von Fachanwälten für Strafrecht oder Fachanwälten für Ausländerrecht bewältigt wird – oder Menschen in Not mit einem "Fachanwalt für Sklavenrecht" besser bedient wären. Es müssten ja nicht viele sein. Die deutsche Scholle wird schließlich auch von nicht mehr als rund 80 Fachanwälten für Agrarrecht beackert.
Was dem Gedankenspiel ein wenig den Beigeschmack des Absurden nimmt, ist folgende kleine Spekulation. Angenommen, nur jeder hundertste deutsche Rechtsanwalt hätte während seines Studiums ein Seminar in (antikem) Sklavenrecht belegt und nur jeder dritte hätte sich um die soziale Gegenwart von Sklavereiproblemen gekümmert. Dann hätten im Jahr 1950 rund 40 und im Jahr 2000 rund 340 Anwälte mit fachlichem Vorwissen im Bereich "Zwangsarbeit" zur Verfügung gestanden.
Zieht man die politischen Ränkespiele des Kalten Krieges ab, die eine effektive Entschädigung der Zwangsarbeiter während und nach dem Zweiten Weltkrieg verhindert haben, bleibt festzuhalten: Sklavenrechtlich unterrichtete Anwälte hätten den moralisch so elenden Umgang mit dem Thema Zwangsarbeit womöglich weit früher als in den späten 1990er-Jahren beenden können.
Sklavenrecht – antikes Rechtsgebiet mit Zukunft
Spekuliert man auf die Zukunft, eröffnen sich dem Sklavenrecht weitgehende Perspektiven. Nach dem Mooreschen Gesetz verdoppelt sich die Komplexität integrierter Schaltkreise mit minimalen Komponentenkosten regelmäßig binnen 18 bis 24 Monaten. Diese Faustformel besagt, holzschnittartig formuliert, dass Computer bei gleichem Platzverbrauch in kurzen Zeiträumen ihre Leistungsfähigkeit verdoppeln. Auch wenn Juristen, namentlich aus dem Bereich der Strafrechtspflege, der Kalauer auf der Zunge liegen dürfte, dass auf "Künstliche Intelligenz" (K.I.) nicht hoffen solle, wer schon Zweifel an der aktuellen menschlichen haben müsse: Ganz unbegründet ist die Vermutung nicht, dass die K.I.-Forschung intelligente Maschinen, also Roboter mit Tendenz zum Vernunftgebrauch, in nicht zu ferner Zukunft herstellen könnte. Wer hätte vor wenigen Jahren denn gedacht, dass im Jahr 2012 eine zahlenstarke Sekte von Menschen den Planeten bevölkern könnte, die sich auf ihre primitiven, als Telefone getarnten Hirnschrittmacher verlässt – ob mit "Apfel-Logo" oder ohne? Man sollte sich nicht überrascht zeigen, wenn bald ein Roboter in der Kanzlei steht und um Rechtsrat sucht.
Mit dem Auftritt des intelligenten Roboters schlägt die Stunde des Sklavenrechts. So enthielten bereits die Digesten, das römische Recht der Antike mit starkem Einfluss auf das heutige deutsche Zivilrecht, ausgeklügelte Rechtssätze zum Beispiel zur Frage, wann ein Sklaveneigentümer für Schäden haftet, die sein intelligentes, aber rechtloses Werkzeug verursacht hat. Die römischen Juristen stellten dem Geschädigten ein ausdifferenziertes System der sogenannten Noxalklagen zur Verfügung. Für Schäden, die der Sklave anrichtete, haftete grundsätzlich der Eigentümer. War der Sklave aber beispielsweise auf der Flucht, konnte sein Herr die Klage abwehren, es sei denn, sein bewegliches Eigentum war zwischenzeitlich zu ihm zurückgekehrt.
Kein Zweifel, sollte die "Künstliche Intelligenz" in den nächsten Jahrzehnten ähnliche Erfolge feiern, wie die Handy-Industrie der vergangenen Jahre, sollte ein Fachanwalt für Sklavenrecht mit seinen Kenntnissen aus dem antiken Proto-Roboterrecht eine reiche Klientel für sich gewinnen können.
Bleibt nur offen, ob die wertgeschätzte Klientel menschlich oder maschinell, wer Herr und wer Sklave sein wird.
Hinweis:
Für nicht-spekulative, also seriöse Hinweise zum Roboterproblem lesen Sie das Interview mit Professor Eric Hilgendorf. Ein spekulatives Gedankenspiel rund um das Mooresche Gesetz finden Sie beim Unsterblichkeitsproblem.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Kein zweifelsfreier Aprilscherz: . In: Legal Tribune Online, 01.04.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5908 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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