KZ-Häftling, Remigrant, Auschwitz-Ankläger, linker Bohemien – dem jüdischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der maßgeblich an der Aufarbeitung der NS-Verbrechen beteiligt war, wurden viele Rollen zugeschrieben. Eine neue Biografie des SZ-Journalisten Ronen Steinke erzählt von dem Drama eines Juristen, der in den Gerichtssälen zu beweisen versuchte, was die Menschen in der jungen Bundesrepublik nicht sehen wollten.
Am 23. März 1933 klopft es an die Bürotür von Fritz Bauer. Der Amtsrichter ist 29 Jahre alt, seit kurzem promoviert und hat als Sozialdemokrat an der Seite von Kurt Schumacher in Stuttgart gegen die Aufmärsche der Nationalsozialisten gekämpft, nun erwarten ihn Verhaftung und Konzentrationslager. Über das, was er dort erleiden musste, schwieg er sein Leben lang.
"Der Jurist, der dafür streitet, die Verbrechen des Nationalsozialismus in Deutschland vor Gericht zu bringen, beharrt darauf, dass nicht Rache, sondern Recht sein Antrieb sei", so zeichnet der SZ-Journalist Ronen Steinke in seiner neuen Biographie die Lebenshaltung des Nazi-Jägers nach. Eine Haltung, welche die junge Bundesrepublik zwang sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen, aber den Menschen Bauer schließlich einsam und resigniert sterben ließ.
"Zu jüdisch"
"Bauer war immer ein deutscher Patriot gewesen. Als Student war er Mitglied in einer jüdischen Studentenverbindung und wandte sich gegen den Zionismus", betont Steinke. Der 2. Weltkrieg war erst ein paar Tage vorbei, da plante Fritz Bauer bereits seine Rückkehr nach Deutschland aus dem ehemals rettenden Exil in Skandinavien.
Aber er ist zum Warten verdammt auf eine Aufgabe beim Wiederaufbau. Während seine alten Weggefährten schon wieder Karriere als Politiker, Oberärzte und Richter machen, steckt Bauer vier Jahre lang in einem quälenden Schwebezustand fest.
Und er, Fritz Bauer? "Zu jüdisch." Steinke zeigt, wie viele jüdische Menschen in Deutschland nach 1945 von verantwortungsvollen Positionen in der Gesellschaft ausgeschlossen wurden – aus Angst vor den Ressentiments der Bevölkerung. Jüdischen Juristen warf man Befangenheit vor, erzählt der Journalist. Die Spaltung des jüdischen und nicht-jüdischen Lebens sei tiefer nicht vorstellbar gewesen.
Der Gerichtssaal als Bühne
So gelingt Fritz Bauer nach seiner Rückkehr 1950 auch nicht der Karrieresprung nach Bonn oder Frankfurt, sondern er landet als Staatsanwalt in Braunschweig. Das Gericht in der niedersächsischen Provinz findet sich aber schon 1952 im Scheinwerferlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit wieder.
Bauer führt persönlich die Anklage gegen den ehemaligen Generalmajor Otto Ernst Remer, der nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 an der Niederschlagung des Umsturzversuchs beteiligt gewesen war und später Mitglied der Sozialistischen Reichspartei wurde.
Formal geht es in dem Verfahren um die Frage, ob Remer sich wegen übler Nachrede strafbar gemacht hat, weil er die Beteiligten des Attentats auf Hitler als "Landesverräter" bezeichnet hatte. Tatsächlich geht es im Gerichtssaal um weit mehr, nämlich die posthume Rehabilitierung der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944.
Das junge Nachkriegsdeutschland sieht sich am Küchentisch und hinter den aufgeschlagenen Zeitungen zum ersten Mal damit konfrontiert, ob es in den Protagonisten des Hitler-Attentats Verräter oder Widerstandskämpfer erkennen will.
Für Fritz Bauer ist es nur ein Auftakt, er wird den Gerichtssaal auch künftig als Bühne nutzen. "Er wollte Lektionen formulieren, deshalb appellierte er an die Zivilcourage und erinnerte an das naturrechtliche Widerstandsrecht", so Steinke. Der Präsident des BVerfG Andreas Voßkuhle bekräftigt das im Vorwort zur Biografie: "Indessen veranschaulicht das Leben Fritz Bauers die Entfaltungsmöglichkeiten moralischer Freiheit gerade im Rahmenwerk des Rechts."
22 Millionen saßen auf der Anklagebank
1963 beginnt ein Verfahren, das die Grenzen des Formats "Gerichtsprozess" zu sprengen droht. In Frankfurt ist die millionenfache systematische Ermordung angeklagt. "Die Leute [...] wissen, dass mit den 22 Angeklagten im Auschwitzprozess 22 Millionen auf der Anklagebank sitzen", zitiert Steinke aus einem späteren Essay Bauers. Der Initiator des Prozesses greift zu einem besonderen juristischen Mittel. Bauer klagt nicht die Führungsebene des Konzentrationslagers an, sondern er wählt einen Querschnitt durch die gesamte Lagerorganisation, von der Kleiderausgabe bis zum Mann vor dem Verbrennungsofen.
"Erst mit diesem Prozess wird Auschwitz zur Chiffre für den gesamten Holocaust", schreibt Steinke. Er erzählt wie der überfüllte Plenarsaal sich zur Sitzungspause leert und die Menschen sich im Foyer vermischen, die Angeklagten, Anwälte und Zuschauer. Bis nicht mehr klar ist, ob der eigene Vordermann in der Schlange, der am Tresen gerade eine Cola bestellt, nicht selbst ein Mörder ist.
Dem Biograf gelingt, mit Bildern wie diesen nicht nur die großen Spannungen unter der Oberfläche einer boomenden Nachkriegsgesellschaft einzufangen. Subtil und eindrucksvoll erzählt er vor allem das Drama eines Menschen. Seine Biografie schreibt keine Atmosphäre herbei oder trägt künstlich Pathos auf. Die Mischung aus journalistischer Hartnäckigkeit, dem genauen Blick des Historikers und beinahe literarischer Erzählkraft entfaltet beim Lesen eine ungeheure Sogwirkung.
Beschreibung einer verunsicherten und feindseligen Gesellschaft
"Die Figur Fritz Bauer ist mir schon während des Studiums begegnet", erinnert sich der promovierte Jurist. Der 1983 geborene Steinke arbeitet mittlerweile als Redakteur für die Süddeutsche Zeitung. "Für das Biografie-Schreiben habe ich keinen neuen Stil erfunden."
Die knapp 300-seitige Biografie ist nicht die erste zu Fritz Bauer. "Ich habe aber noch Lücken gesehen", meint Steinke, "für mich sind da noch Fragen offen geblieben."
Zum Beispiel das Rätsel, um das Verhältnis Bauers zum Judentum oder die Gerüchte um seine Homosexualität. Auf der Suche nach Antworten hat Steinke die Originalstimmen von Fritz Bauer, seinen Freunden und Feinden aus den Quellen so unmittelbar und natürlich einbezogen als säßen sie dem Biografen zum Gespräch gegenüber.
Steinke führt die großen Konflikte und Entwicklungen der frühen Bonner Republik immer wieder auf seine Figur Fritz Bauer zurück und beschreibt zugleich ausgehend von dessen persönlichen Gedanken und intimen Empfindungen eine zutiefst verunsicherte und feindselige Gesellschaft. Ein Ansatz der Ursula Krechels Roman "Landgericht" 2012 den Deutschen Buchpreis bescherte.
Überwachung durch den BND?
Der deutsche Staatsanwalt trug auch entscheidend dazu bei, dass der Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann 1961 in Jerusalem vor Gericht gestellt wurde. Bauer, der vom Aufenthaltsort Eichmanns in Argentinien erfuhr, wandte sich nicht an die deutschen Behörden, sondern an den israelischen Geheimdienst Mossad. Er war misstrauisch geworden. Zu oft waren NS-Vorbelastete über Kanäle in Justiz und Geheimdienst vor Ermittlungen gewarnt worden.
Das Misstrauen Bauers erhält im Rückblick einen unheimlichen Beigeschmack. 2011 will der ARD-Autor Ulrich Chaussy aufgedeckt haben, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) im Wege illegaler Inlandsspionage auch Fritz Bauer überwacht haben soll.
Seit 1968 zeichnet die Humanistische Union Frauen und Männer für ihren unerschrockenen Verdienst um Humanisierung und Demokratisierung des Rechtswesens mit dem Fritz-Bauer-Preis aus. Der Preisträger für 2014 steht bereits fest. Es ist Edward Snowden.
Markus Sehl, Neue Biografie über den Nazi-Jäger Fritz Bauer: . In: Legal Tribune Online, 23.11.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10126 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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