Am 3. Oktober 1988 starb Franz Josef Strauß. Der umstrittene CSU-Politiker wurde auch durch eine Vielzahl von Prozessen bekannt - und dabei bieten gar nicht einmal die großen Affären einen guten Anlass zur Reflexion.
Die politische Atmosphäre im Deutschland des Jahres 2018 soll vergiftet sein? Ein Blick zurück, und man wird beruhigt durchatmen.
Im Jahr 1980 legte der Journalist Ulrich Zimmermann (1936–2017) ein Buch über den bayerischen Ministerpräsidenten und CDU/CSU-Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß (1915–1988) vor, wie es wohl noch keinem deutschen Politiker gewidmet wurde: Unter dem Titel "geliebt, verkannt und doch geachtet" schmähte Zimmermann die Feinde seines Helden in alphabetisch geordneten Beiträgen – und rühmte Taten und Charakter des umstrittenen Politikers, zum Beispiel unter dem Schlagwort "gelehrt" mit einer merkwürdigen Verzehr-Metapher:
"Marianne Strauß über ihren Mann: 'Er ist ja fast von der Gründlichkeit eines Gelehrten. Er würde nie über ein Thema reden, bevor er sich nicht wirklich alle erreichbare Literatur einverleibt hat.'"
Die Grenze zur Komik streifte Zimmermann mit seinem Helden-Alphabet nicht selten. Unter dem Schlagwort "Jayne Mansfield" klärte er etwa darüber auf, dass Strauß – anders als vom Nachrichtenmagazin Spiegel kolportiert worden war – keine Affäre mit der amerikanischen Schauspielerin gehabt hatte, die noch nicht einmal den Namen des Größten aller Bayern kannte.
Streit um Strauß und ein Anwalt im Wahn
Zimmermanns Bedürfnis, den heute vor 30 Jahren verstorbenen bayerischen Politiker in seiner üppigen Form zu verteidigen, hatte jedoch gute Gründe.
Denn nicht nur sein Buch wurde mit erstaunlichen 200.000 Exemplaren unters Volk gebracht. 1972 hatten beispielsweise die FDP-Politikerin Ingrid Matthäus-Maier (1945–) und ihr SPD-Kollege Wolfgang Roth (1941–) ein sogenanntes "Schwarzbuch" herausgegeben, das sich um eine Dokumentation Strauß'scher Affären bemühte – und dabei sogar die etwas alberne Behauptung aufgriff, Strauß habe sich den zweiten Vornamen "Josef" nur zugelegt, um mit dem 1916 verstorbenen Kaiser von Österreich gleichzuziehen.
Strauß sorgte auch in diesem Fall für Auflage.
Die über Jahrzehnte währenden, äußerst scharfen Kontroversen um Strauß spiegelten sich oft als Nachspiel zu den publizistischen in juristischen Vorgängen wider.
Manchmal trieb dies echte Blüten. Mit Beschluss vom 23. März 1987 befasste sich der Bundesgerichtshof (BGH) beispielsweise mit der Sache eines Rechtsanwalts aus Berlin (West), dem die Anwaltskammer die Wiederzulassung verweigerte, weil sie Gründe zur Überzeugung hatte, dass er nach § 7 Nr. 7 a.F. Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) "wegen Schwäche seiner geistigen Kräfte dauernd unfähig" sein würde.
Dem Anwalt war klinisch eine chronische Psychose attestiert worden – eines Wahns, der ausweislich der im BGH-Beschluss zitierten Schriftsätze stark um Franz Josef Strauß kreiste. Nach Ansicht des sich selbst verteidigenden Anwalts hatte der anwaltliche Ehrengerichtshof zu berücksichtigen vernachlässigt, dass das psychiatrische Gutachten 17 Tage nach Strauß' 70. Geburtstag erstellt worden sei. Mittels Auslegung der biblischen Offenbarung (13, 18) erkannte der Anwalt zudem in Strauß den leibhaftigen Antichristen. Und so weiter.
Wenn es auch sehr hässlich ist, dass die Stadt Berlin (West) im Jahr 1986/87 über keine menschenwürdige sozialpsychiatrische Betreuung verfügte und die Wahnideen dieses Anwalts statt im therapeutischen Rahmen vor Gericht zur Sprache kamen, so selten werden derartige Einlassungen doch im Allgemeinen dokumentiert. Man sollte den Beschluss unter dem Aktenzeichen AnwZ (B) 66/86 daher vielleicht als wertvolle humanistische Konterbande in einer zumeist sehr viel opakeren öffentlichen Darstellung von Problemen des Wahns lesen. Wofür immer Strauß oder der publizistische Kampf um diesen Bayern sondergleichen gut war: Hier liegt immerhin eine kleine List der Vernunft verborgen.
Strauß legt ein Hakenkreuz-Ei
Weder in künstlerischer noch in juristischer Hinsicht sonderlich listig war eine Strauß-Angelegenheit, mit der sich das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 30. April 1976 (Az. VII C 58.74) befassen musste.
Der Maler Hans-Jürgen Diehl (1940–) hatte im Jahr 1972 nach einem Aufruf des Kunstamts Berlin-Schöneberg – Behörden gibt es! – eine Radierung im Format 85 mal 64 Zentimeter angefertigt, die von dem Amt im Rahmen einer Ausstellung samt Katalogs in Salzburg einem auswärtigen Publikum zugänglich gemacht werden sollte – als Beispiel für die Fertigkeiten realistischer Künstler aus Berlin (West).
Das Bild mit dem Titel "Das goldene Ei" zeigt einen entspannt hockenden, etwas schief lächelnden Franz Josef Strauß, der seinen Kopf lässig mit der rechten Hand abstützt, währen die linke überm Knie baumelt. Vor dem rechten Fuß Straußens steht ein etwas gerupft wirkendes Huhn im Bild. Huhn und Strauß' Füße bilden ein Rund, in dessen Mitte ein schräg aufgebrochenes gelbliches – "goldenes" – Ei steht, dessen obere Hälfte willkürlich in der Luft schwebt. Im Ei-Bruch, der in der verlängerten Linie der im Hosenbund festgesteckten Krawatte Strauß' liegt, sind Teile eines Hakenkreuzes zu sehen, das ganz überwiegend vom gelblichen Ei verdeckt bleibt.
Über diesem als Karikatur nicht sonderlich gut funktionierenden Bild geriet die Kulturpolitik von Berlin (West) in eifriges Flügelschlagen: Bezirksamt, Senatskanzlei und Senatspresseamt kamen zum Beschluss, den bereits in Salzburg weilenden Schöneberger Kulturamtsleiter anzuweisen, das Bild daselbst nicht auszustellen und es im Katalog überkleben zu lassen.
Der Künstler begehrte vor dem Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht Berlin (West), die Rechtswidrigkeit dieser Zensurmaßnahme feststellen zu lassen – nur um endlich nach vierjähriger Prozessdauer vom Bundesverwaltungsgericht die Verweisung ans Landgericht Berlin (West) zu erfahren: Erst vor den Bundesrichtern drangen die Prozessvertreter des Berliner Senats mit ihrer Rechtsauffassung durch, dass es sich um einen bürgerlich-rechtlichen Streit handelte.
Dieser vom humorkritischen Standpunkt reichlich dürftige Vorgang schadete dem Künstler indes nicht. Diehl wurde 1977 zum Professor an der Hochschule der Künste Berlin berufen. Immerhin beglückt die als Karikatur missglückte Radierung seither Jurastudenten mit einem Fall, an dem sie die Trennung verwaltungs- und zivilrechtlicher Streitigkeiten memorieren können.
Strauß im mutmaßlichen Spiegel-Zerrspiegel
Die vermeintlichen oder tatsächlichen Affären des Franz Josef Strauß hinterließen nicht nur periphere Merkposten, sondern auch eine breite Spur an Rechtsprechung, über die bekannte "Spiegel-Affäre" von 1962 hinaus .
In seinem Strauß-Huldigungslexikon notierte Zimmermann zwar zum Stichwort "Affären" unerfreulich apodiktisch: "Von Strauß-Gegnern immer wieder nahezu perfekt aufbereitete Verleumdungen, die zur Diffamierung von Strauß mit dem Zusatz 'Affäre' versehen häufig von 'Anti-Strauß-Medien' ('Spiegel', 'Stern') publizistisch breitgewalzt werden (s. Augstein, 'Fibag', Lockheed, 'Onkel Aloys', 'Saustall', 'Spiegel-Affäre'."
Doch der Blick beispielsweise in das Urteil des BGH vom 29. Oktober 1968 (Az. VI ZR 180/66) weckt tatsächlich Zweifel an der Fairness im Umgang der linken und linksliberalen Presse mit dem erratischen Bayern.
In dieser Sache hatte Der Spiegel – Rudolf Augstein unter Pseudonym – ein etwas kolportagehaftes Stück gedruckt, in dem Strauß der Vorwurf der offenen Korruption im Zusammenhang mit einem schließlich gescheiterten Wohnungsbauvorhaben der US-Streitkräfte in Deutschland gemacht wurde.
Der BGH bestätigte das Urteil der Vorinstanz, die Strauß eine Entschädigung über 25.000 Mark zugesprochen hatte, weil eine konkrete und eine allgemeine Behauptung Augsteins den Kläger in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt hätten: Strauß habe "einen Koffer oder ein große Aktentasche voll nagelneuer 50-DM-Scheine" bekommen und er "sei ein der Korruption schuldiger Minister". Diese Beschuldigungen habe Augstein leichtfertig und unter Verletzung seiner Pflicht, ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen, veröffentlicht.
Hängen blieb an Strauß trotzdem einiges, und es ist nur schwer zu beurteilen, wie viel davon zu Recht.
Zwei Bilder des Franz Josef Strauß
30 Jahre nach seinem Tod fällt auf, dass sich die öffentliche Wahrnehmung an keinem Politiker der Gegenwart derart scheidet: Während seine Verehrer – um einen theologischen Begriff zu benutzen – eine Art kerygmatischen Franz Josef Strauß kannten – also eine wesenhafte Heilsgestalt, an der selbst erwiesene Rechtsbrüche als nebensächlich abperlten –, erkannten seine Gegner in ihm nur eine wesenhafte Unheilsgestalt, die zu echten Wahnideen, schlechter künstlerischer Humoristik oder kolportagehaftem Journalismus einladen musste.
Die Zurückhaltung heutiger Politiker, die Wiederherstellung ihrer Ehre gerichtlich zu betreiben – oder sich dabei in Albernheiten wie der Haarfarbe Gerhard Schröders zu verlieren – führt zu einem Mangel straf- oder zivilrechtlich evidenter Rechenschaft.
Politische Verantwortung hat offenbar in den vergangenen 30 Jahren an Sichtbarkeit verloren – trotz der sonst so beliebten Forderung nach mehr Transparenz. Politiker, auf die die Wahnsinnigen von heute ihre Ängste projizieren könnten, sind rar geworden. Und wenn tatsächlich einmal einer mit Bargeldkoffern erwischt wird, bleibt dies merkwürdig gleichgültig.
Die Stanze jedenfalls, nach der die heutige Atmosphäre aus Mittelmaß und Achselzucken besonders vergiftet sein soll, lässt daher etwas ratlos zurück: Was in der Gegenwart als Feuer, Gift und Galle gilt, scheint mit Blick auf einstige Feuerköpfe und ihre Gegner doch eher harmlos.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Journalist und Lektor in Ohligs.
30. Todestag von Franz Josef Strauß: . In: Legal Tribune Online, 03.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31289 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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