Früher sind wir monatelang mit dem Rucksack durch die Welt gereist. Heute haben wir nur noch ein paar Wochen Jahresurlaub und auf Budget-Touren keine Lust mehr. Also Pauschalurlaub am Meer? Niemals! Lieber werden wir zu Flashpackern, sagt Nina Anika Klotz.
Zwischen Pakbeng und Luang Prabang sitzen wir alle im gleichen Boot. Wortwörtlich: Wir treiben in einem schmalen Boot langsam den Mekong hinunter. Acht Stunden Holzbänke, Kartenspiele, Beer Lao. Mit dabei: Ian, 23, aus Irland, der allein reist, acht Monate, "maybe more". Daddy hat bei der Finanzierung geholfen, damit der Sohn zwischen Ingenieursstudium und erstem Job durch Südostasien reisen kann. Außerdem: Dan, 19, Australier, seit Stunden so breit, dass er nicht genau sagen kann, wie lange er unterwegs ist. Seine Freundin, etwas weniger bekifft, erzählt von ungefähr sechs Monaten, bis die Uni anfängt. Was sie studieren will, wisse sie noch nicht.
Und dann wären da wir, urbane Thirtysomethings, die sich nahtlos in die Bootsgesellschaft einfügen: Rucksack, Leinenhose, dreckige T-Shirts und Bierbüchse. Allerdings: In unserem Gepäck befinden sich ein Blackberry, das fortwährend blinkt, eine Canon EOS 500D und ein Rückflugticket für nächste Woche. Wir reisen netto nur 12 Tage.
Als das Schiff anlegt, trennen sich unsere Wege. Ian, Dan und dessen Freundin lassen sich am Kai von ein paar Tuk-Tuk-Fahrern einfangen: "Very cheap guesthouse, Sir, very cheap!" Wir haben uns dagegen im Vorfeld für ein Boutique-Hotel entschieden, Altstadtkern, französischer Kolonial-Stil. Es ist teuer, für laotische Verhältnisse allemal. Achtzig Euro die Nacht – Ian und die Anderen zahlen zehn. Aber nach den harten Holzbänken auf dem Boot haben wir uns weiche Betten ohne Ungeziefer verdient, finden wir.
Ärmer an Zeit, reicher an Geld
Im Angelsächsischen gibt es einen Begriff für Menschen wie uns: Flashpacker. Im Grunde sind Flashpacker erwachsen gewordene Backpacker. Anders als die typischen Backpacker, haben Flashpacker bereits feste Jobs und stehen nicht irgendwo zwischen Abschlussarbeit und Auslandssemester. Das macht uns reicher an Geld, dafür ärmer an Zeit. Statt drei Monate Semesterferien und ein ganzes Leben voller Möglichkeiten, bleiben uns im Jahr allenfalls 30 Tage zum Reisen.
"Nur weil ich jetzt mit beiden Beinen im Berufsleben stehe, werde ich doch nicht zum Pauschaltourist", findet Nico Lange, Gründer der Webseite Backpacking.de, einem der größten deutschsprachigen Reiseportale für Rucksackreisende, und selbst erfahrener Backpacker. "Ich möchte weiterhin individuell reisen, anders als die Masse. Die Zeit, die ich dafür nicht mehr habe, versuche ich mir mit Geld zu erkaufen." Wo er früher den öffentlichen Bus genommen hätte, mit dreimal umsteigen, unabsehbaren Wartezeiten und lebendigen Hühnern an Bord, nimmt er heute den Schnellzug. Oder den Inlandsflug.
Seit den 1970ern gibt es Drifter, Aussteiger und Abenteurer. Der große Backpacking-Boom aber geschah in den Neunzigern, als wir aus der Generation Golf unser Abi machten. Alex Garlands Roman "The Beach" (1997) war unser Manifest, der "Lonely Planet" unsere Bibel. Als Backpacker haben wir das Medienwissenschafts-, Betriebswirtschafts- oder Jurastudium ein paar Monate warten lassen, reisten nach Indien, Lateinamerika oder Südostasien. Hauptsache man kommt dort billig unter und es ist irgendwie wild.
Telefonkonferenz in Luang Prabang
Doch wir, die Generation Golf, sind inzwischen erwachsen geworden. Wir haben den Job bekommen, den wir uns erträumt haben. Einen Job, in dem sie uns einen Bonus, jede Menge Verantwortung und ein Firmenhandy geben. Mit dem am Ohr (Wichtige Telko! Großes Projekt!) sitzen wir nun in einem Restaurant in Luang Prabang, wo ein Hauptgericht so viel kostet wie zuhause in München, Frankfurt oder Berlin. Wir beobachten Ian und zwei Mädchen vom Boot, die draußen einen Blick auf die Speisekarte werfen. Sie gehen weiter. Zu teuer. Drüben auf dem Night Market gibt es Currys für 3000 Kip, umgerechnet 50 Cent.
"Früher waren wir genauso", denken wir und schauen den Dreien mit gemischten Gefühlen nach. Einerseits sind wir froh, dass wir uns das Flugticket nicht mehr von Daddy sponsorn lassen. Wir essen gern in schönen Restaurants und schlafen lieber ohne vier fremde, betrunkene Neuseeländerinnen im Zimmer. Andererseits war das "echte" Backpacking damals doch noch eine Spur mehr Abenteuer. Und mehr Freiheit.
Natürlich entgeht uns der Hauch von Verachtung nicht, mit dem die jungen Backpacker uns Flashpacker betrachten, wenn wir erzählen, dass wir für zwei Wochen hier rüber gejettet kamen und am Schluss noch drei Tage in einem schicken Öko-Tauch-Resort dranhängen. "Ach, wartet nur, bis ihr so weit seid", denken wir uns dann im Stillen – und fühlen uns ein bisschen alt.
Unser Trost: Wir Flasher werden immer mehr. Die meisten Backpacker wechseln – notgedrungen – irgendwann die Seite. "Wir beobachten das Phänomen der Flashpacker schon seit geraumer Zeit", bestätigt Moltip Thongsriket, Marketing Managerin des thailändischen Fremdenverkehrsamts in Frankfurt gegenüber LTO. "Die Backpacker werden älter, bleiben Thailand aber treu."
Heute auf dem Boden schlafen, morgen im Boutique Hotel
Zwar gibt es keine genauen Zahlen, die das bestätigen, wohl aber kann man gewissen Veränderungen an den Lieblingszielen der Rucksacktouristen ausmachen. War Ko Phi Phi etwa lange Zeit der Zufluchtsort für die Drei-Euro-die-Nacht-und-Gemeinschaftsklo-Klientel, gibt es dort heute auch ein paar delikate Boutique Hotels. Auch in Hostels und Jugendherbergen außerhalb Asiens gäbe es Sechs- bis Achtbettzimmer kaum noch, dafür aber überall Free W-LAN, berichtet Nico Lange von Backpacking.de.
Die Schweizerin Yuan Yao und ihr Geschäftspartner Jan A. Gerber sehen eine blühende Zukunft für die Flashpacker. Mit "A la Carte Maps" haben sie eine Art Reiseführer speziell für diese Zielgruppe entwickelt, irgendwo zwischen high-end travelling und low budget backpacking. "Ich mag den Mix mag zwischen Glamour und ‚off the beaten track’. Auf meinen eigenen Reisen hatte ich oft Wallpaper oder Louis Vuitton Cityguides und zusätzlich den Lonely Planet dabei", erzählt Yao gegenüber LTO. Entscheidend sei der Backpacking-Spirit, den jeder Flaspacker in sich trägt.
Yuan Yao definiert Flashpacker als "anspruchsvolle, intelligente, weltgewandte Reisende, die Dinge nicht nur sehen, sondern erleben wollen." "Abenteuerlust, Neugier und Fernweh kennen kein Alter", so die Schweizerin. "Ich war sechs Wochen in Südostasien ganz klassisch unterwegs, habe in Hütten auf dem Boden in Chiang Mai geschlafen, bin durch Dreck und Schlamm gewatet, habe mich nur von Streetfood ernährt... bis ich nach Singapur kam. Da gab's dann eine Suite in einem Boutique Hotel, neue High Heels, schicke Kleider und Drinks in Edelbars. It's all about the mix!"
Wichtig ist nur, dass wir nicht irgendwann bei Wiener Schnitzel mit Pommes am Pool eines Fünf-Sterne-Resorts landen. Denn das ist und bleibt den Back- wie auch den Flashpackern ein absoluter Graus.
Nina Anika Klotz, Flashpacking: . In: Legal Tribune Online, 26.05.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/582 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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