Der Dokumentarfilm "Spielen Sie Gott, Mr. Feinberg?" porträtiert den amerikanischen Rechtsanwalt Kenneth Feinberg. Er handelt Entschädigungen für die Opfer von Katastrophen aus. Unumstritten ist auch der "Special Master" aber nicht.
In seiner Freizeit schaut Kenneth Feinberg am liebsten fern. Den Ton dreht er dann ab, im Ohr bevorzugt er klassische Klänge. Zu den Bildern eines Footballspiels oder eines Spielfilms ertönen Sinfonien von Mahler und Opernarien von Wagner. Als junger Mann wollte Feinberg Schauspieler werden. Bis sein Vater ihm erfolgreich vermittelte, dass man auch den Beruf des Rechtsanwalts als darstellende Kunst betreiben kann.
Über seine Rollenwahl entscheidet Kenneth Roy Feinberg allerdings nicht nach künstlerischen Vorlieben. Die Interessen seiner Mandanten vertritt er für 500 Dollar Stundensatz, was bei seinem Status als Staranwalt geradezu bescheiden wirkt.
Doch als Sonderbeauftragter für Massenentschädigungen nimmt der inzwischen über Siebzigjährige mit dem dunklen Haarkranz und der lauten, auf Pausen bedachten Stimme seit vielen Jahren auch öffentliche Aufgaben wahr. Ein ums andere Mal haben ihn amerikanische Administrationen unter George W. Bush und Barack Obama, hat ihn der Kongress zum "Special Master" berufen - ein amerikanischer Begriff, der deutlich mehr hermacht als die technokratische Übersetzung "Sonderbeauftragter".
Was ist ein Menschenleben wert?
Zu Feinbergs schwierigsten Aufgaben gehört es, herauszufinden, was das Leben eines Menschen wert ist: "Spielen Sie Gott, Mr. Feinberg?", fragt Karin Jurschick daher in ihrem schon 2016 entstandenen Filmporträt, das am Mittwoch um 22:45 Uhr in der ARD ausgestrahlt wird. Doch der Anwalt fällt, das erscheint ihm wichtig, kein Urteil über die großen metaphysischen Fragen. Denn der Wert des Menschen, wie ihn Feinberg bemisst, lässt sich eben doch in Geld ausdrücken – und ergibt sich aus einer Mischung aus Schadensrecht und mathematischen Formeln.
Was hätte der junge Feuerwehrmann im Laufe seiner Karriere verdient, wäre er nicht am 11. September am Ground Zero verbrannt? Einiges. Aber ein Vielfaches davon wäre einem der Börsenmakler beschieden gewesen, zu deren Rettung aus einem der Twin Towers die Einsatzwagen damals ausgerückt waren.
Als ihn der damalige Justizminister John Ashcroft mit der Verteilung der aus Steuermitteln aufgebrachten Entschädigungen für die Opfer des 11. September beauftragte, war Kenneth Feinberg schon eine Berühmtheit. Regisseurin Jurschick, die auf einen erklärenden Kommentar verzichtet, spielt Archivaufnahmen aus den achtziger Jahren ein. Sie zeigen einen jüngeren und deutlich lockigeren Feinberg, der über das Prozedere doziert, dem sich vom Entlaubungsmittel Agent Orange geschädigte Vietnamkriegsveteranen unterwerfen müssen. Entschädigungen nach großen Katastrophen sind in den USA meist Verhandlungssache: Die Opfer geben ihr Recht zu klagen und die Aussicht auf womöglich hohe Entschädigungen nach langwierigen Prozessen auf - gegen weniger Geld, das aber schnell zur Verfügung steht. Die andere Seite erhält dafür Rechtssicherheit.
Feinberg stürzt sich im Film immer wieder ins Getümmel, spricht vor älteren Truckern über den Antrag eines Pensionsfonds, der ihre Rente um bis die Hälfte kürzen könnte. Der Jurist macht dabei eine ebenso gute Figur wie in der Finanzkrise 2008, als er im Austausch für die Rettungsgelder der Regierung für bedrohte Banken deren Vorstandsgehälter deckelte.
"Es ist trotzdem eine kalte Rechnung"
Doch unumstritten ist er nicht. Das geht auch auf seine Rolle nach dem Untergang der Bohrplattform Deepwater Horizon zurück.
Nach dem Tod zahlreicher Menschen und einer beispiellosen Naturkatastrophe im Golf von Mexiko im Jahr 2010 zahlte British Petroleum insgesamt 20 Milliarden Dollar an Entschädigungen. Ein gigantischer Betrag. Die 25.000 aber, die Feinberg davon einem einzelnen Shrimpsfischer in Louisiana zugestanden hat, nehmen sich dagegen kümmerlich aus. Er sei durch die Ölpest schließlich ruiniert, beteuert der Fischer, die Shrimpsgründe in seinem Fangrevier vernichtet. Er könne nicht beweisen, dass die Ölpest dafür kausal war, hält ihm Kenneth Feinberg bei einer persönlichen Begegnung entgegen.
Einer der Vorwürfe lautete, Feinberg habe sich den Opfern gegenüber als ihr Anwalt ausgegeben, obwohl BP ihn bezahlte. Er bestreitet diese Darstellung, außerdem habe er dabei unparteiisch agiert. Ein wenig seltsam klingt das schon.
"Spielen Sie Gott, Mr. Feinberg?" ist gewiss kein Film, der sich detailliert in Fragen des Schadensrechts versenkt. Karin Jurschick nähert sich ihrer Figur fasziniert, aber nicht distanzlos. Sie interessiert sich für den Menschen im Juristen, der sich eher als eine Art freischaffender Richter denn als Anwalt inszeniert. Kenneth Feinberg scheint in dieser Rolle seines Lebens aufzugehen, seine Fassade bröckelt nie. Doch auch wenn er seine Schadensberechungen immer verteidigt, räumt er ein: "Es ist trotzdem eine kalte Rechnung."
Heute im TV - Spielen Sie Gott, Mr. Feinberg?: . In: Legal Tribune Online, 24.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36669 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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