Der Deutsche Juristentag wird in der kommenden Woche unter anderem die Frage behandeln, ob das Erbrecht noch zeitgemäß sei. Vor allem pragmatische Fragen dürften diskutiert werden, etwa die Demenzfestigkeit von Testamenten oder die Rationalität der Erbschaftsteuer. Welche Rolle zwei juristische Probleme mit der "Unsterblichkeit" spielen werden, fragt vorab Martin Rath.
Die ältesten Stiftungen Deutschlands existieren seit dem Hochmittelalter. Erblasser finden auch heute Mittel und Wege, ihr materielles Vermögen lange über ihren Tod hinaus fortleben zu lassen. Angesichts von teils immensen Vermögensmassen, die so der freien Verfügung der überlebenden Generation entzogen werden, entwickelt sich daraus ein gesellschaftlich relevantes Problem – man könnte es das erste Problem "juristischer Unsterblichkeit" nennen.
Ein zweites Problem scheint vorerst ein reines Männerleiden zu sein, mit der üblichen Tendenz nicht ganz ernst genommen zu werden. Es beginnt mit der Frage: "Möchten Sie 400 Jahre alt werden?"
"Möchten Sie 400 Jahre alt werden?"
Diese Frage stellten Tobias Hülswitt und Roman Brinzanik einer Reihe hochkarätiger Wissenschaftler, wie sie selbst beklagen: ausschließlich männlichen Kapazitäten auf ihrem jeweiligen Gebiet. Die befragten Wissenschaftler widmen sich äußerst modernen Materien, der Biologie des Alterns, der Entwicklung künstlicher Intelligenz oder auch der Demografie. Anlass für die forsche Frage der beiden Autoren gab der US-Futurologe Ray Kurzweil, der hierzulande vor allem durch viele freundliche Artikel im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen" bekannt geworden ist.
Den Interviewband "Werden wir ewig leben?" leitet daher auch ein Gespräch mit Ray Kurzweil ein, in dem der seine vermutlich etwas unrealistische Vorstellung von seiner individuellen Chance auf Unsterblichkeit formuliert: Zunächst gilt es, die nächsten Jahrzehnte zu überleben, mit Hilfe jener rund 200 Medikamente, die er zurzeit prophylaktisch einnimmt. Sobald die Nanomedizin und -robotik dies erlaubten, würden dann Krebs- und Kreislaufprobleme zu bewältigen sein. Am Ende könnte sein Bewusstsein, losgelöst vom anfälligen Körper, in einer entsprechend leistungsfähigen Computertechnik aufgenommen werden – und damit tendenziell unsterblich fortleben.
Individuelle Unsterblichkeit: Wissenschaftsglaube statt Rechtsproblem
So viel Wissenschaftsgläubigkeit mag befremden, ist aber nicht ganz neu. Beispielsweise schrieb der zweifache Nobelpreisträger Linus Pauling zu seinen Lebzeiten hoch dosierten Vitamingaben einige Wundereigenschaften zu, was Krankheit und Alter betrifft. Nachdem Pauling 1994 starb, scheint dies nur noch von einigen esoterischen Liebhabern seiner These vertreten zu werden.
Obwohl es also nahe läge, die Ideen von Ray Kurzweil kurzerhand als schöne oder schreckliche Utopie abzutun, bekommen Hülswitt und Brinzanik von den befragten Wissenschaftlern erstaunlich aufgeschlossene Antworten – vielleicht nicht, was "Unsterblichkeit", wohl aber, was erheblich längere Lebenszeiten betrifft. Der Demograf James W. Vaupel weist beispielsweise darauf hin, dass die Mehrheit der Kinder, die zurzeit in Deutschland geboren werden, ihren 100. Geburtstag erleben dürfte – unter der Voraussetzung, dass dies nicht von ökologischen oder anderen Katastrophen durchkreuzt wird.
Doch auch seine persönliche Idee extremer Langlebigkeit hat für Vaupel, Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock, eher nette Seiten: Die Frage, ob er sich vorstellen könne, 400 Jahre alt zu werden, bejaht er. Wie die Mehrheit der Befragten des Interviewbandes unter der Voraussetzung, dass damit kein geistiger Verfall, Schmerz oder Langeweile einhergingen.
"Unsterblichkeit" in der DJT-Diskussion
Ob der Direktor des Kölner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung seinem entfernten Kollegen darin beipflichtet, diese Frage wird Jens Beckert vielleicht als Referent in der Berliner Erbrechtsdiskussion beantworten wollen.
Vordem hatte er zusammen mit Peter Rawert bereits im Juli einen Aufsatz zum Feuilleton der "FAZ" beigesteuert, der sich mit dem klassischen Problem "juristischer Unsterblichkeit" widmete, also dem beinah ewigen Nachleben von Vermögenswerten in Stiftungen, Fideikomissen und anderen juristischen Finessen, den Vermögenswerten der Verstorbenen Macht über die Welt der Lebenden zu geben.
Dieses klassische Problem juristischer "Unsterblichkeit" wird als gesellschaftliche Frage vermutlich teilweise in die Berliner Diskussion einfließen. Teilweise, denn in seiner vollen Breite wird es selten behandelt. Bernhard Großfeld, inzwischen emeretierter Zivilrechtslehrer in Münster, hatte sich der juristischen Unsterblichkeit schon in den 1990er-Jahren gewidmet und nicht nur in vermögens-, sondern auch in verfassungsrechtlichen Fragen Bedenken geäußert: In den Zusammenhang setzte er beispielsweise auch die "Ewigkeitsgarantie" des Artikels 79 Abs. 3 Grundgesetz.
Großfelds umfangreichere Analyse (in: "Zauber des Rechts", Tübingen 1999) verdiente es, heute wieder aufgegriffen zu werden, zitiert er doch die starken Vorbehalte, die in der Rechtspolitik früherer Zeiten gegenüber allzu unsterblichen Rechtskonstrukten noch offen diskutiert wurden: Als im 19. Jahrhundert die Aktiengesellschaft als moderne Rechtsform im europäischen Raum zu regeln war, wurde vielerorts über eine Befristung ihrer legalen Existenz auf 30 Jahre nachgedacht – um ihr nicht zu große Macht zu geben. Wie stark Vorbehalte gegen Stiftungen waren, daran erinnerte das Bürgerliche Gesetzbuch mit seiner lange Zeit restriktiven Regelung zu ihrer Gründung. Bernhard Großfeld erinnert in diesem Zusammenhang auch an Peter Thellusson, einen englischen Kaufmann, dessen ungewöhnliches Testament den britischen Gesetzgeber veranlasste, das "Nachleben“ des Nachlasses zu befristen oder an die Anordnung der Weimarer Reichsverfassung von 1919, Fideikomisse abzuschaffen.
Mit ihrem Aufsatz im Juli könnten Beckert und Rawert indes die Grenzen der Berliner Diskussion schon abgezirkelt haben, dürfte ihre Frage welche ordnungspolitischen Folgen "die zunehmende Zementierung von Vermögensverhältnissen über die Generationen hinweg für ein demokratisches Gemeinwesen haben kann" vielen Juristinnen und Juristen doch bereits als hoch heikel erscheinen.
Phantasie ist vorhanden
So sehr bereits die Frage, wie legitim die Herrschaft der vererbenden Generation über die Vermögenswerte in der nachlebenden Generation ist, persönliche Empfindlichkeiten reizt, haben schon die Reaktionen auf Beckerts und Rawerts Juli-Aufsatz gezeigt.
Doch wäre es traurig, sollte die Diskussion durch narzisstische Dünnhäutigkeiten behindert werden. Zunächst deshalb, weil eine Reihe von Wissenschaftlern – wie Hülswitt und Brinzanik gezeigt haben – eine erhebliche Verlängerung des individuellen Lebens in diesem Jahrhundert für realistisch halten. Die Frage nach der Macht der vererbenden Generation stellt sich also verschärft.
Desweiteren zeichnen sich deutsche Juristinnen und Juristen ja dadurch aus, dass sie selbst für noch so utopische Probleme bereits funktionierende Lösungen haben. Wenn der US-amerikanische Futurologe Ray Kurzweil etwa davon träumt, sein Bewusstsein einst in einem Computersystem unsterblich werden zu lassen, so spricht ein juristisches argumentum a fortiori dafür, dass das Gerät in Deutschland stehen sollte: Wenn hierzulande schon die postmortalen Persönlichkeitsrechte eines Gustav Gründgens unter höchstrichterlichen Schutz gestellt wurden, wird einem Computer erst recht nicht der Saft abgedreht werden, wenn in ihm ein Ray Kurzweil spuken sollte.
Unter allen juristischen Gespensterdebatten wäre das immerhin eine der unterhaltsamen Art.
Der Autor, Martin Rath, arbeitet als Lektor und Journalist in Köln.
Hinweise: Das Buch von Tobias Hülswitt und Roman Brinzanik: "Werden wir ewig leben?". Gespräche über die Zukunft von Mensch und Technologie, ist erschienen in der edition unseld, Berlin, Suhrkamp, 2010
Der essayistische Band "Zauber des Rechts" von Bernhard Großfeld, 1999 erschienen bei Mohr Siebeck in Tübingen, ist derzeit nur antiquarisch verfügbar.
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68. djt - Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?
Martin Rath, Fachdiskussion zum Erbrecht: . In: Legal Tribune Online, 19.09.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1498 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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