Obwohl sie zu den populärsten Herabsetzungen zählt, die sich in deutscher Sprache mitteilen lassen, gilt zu klären, was sich hinter ihr verbirgt: der menschlichen Dummheit. Eine hoffentlich nicht allzu dumme Übersicht von Martin Rath.
Im Rat der Stadt Dortmund ging es im Dezember 2005 garstig zu. Ein Ratsherr flocht in seine Rede zur kommunalen Integrationspolitik ein, dass jenes Gymnasium, das er selbst einst in einem schwierigen Stadtteil besucht hatte, schon bessere Tage gesehen habe.
Ein anderes Ratsmitglied rief dazwischen, gar nicht glauben zu können, dass der Redner überhaupt je eine Schule besucht habe, worauf dieser wieder barsch mit dem Ausdruck "Dummschwätzer" antwortete.
Das Amtsgericht (AG) Dortmund verurteilte den Ratsherrn wegen Beleidigung (§ 185 Strafgesetzbuch (StGB)) zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 60 Euro, wobei es "Dummschwätzer" als objektiv herabsetzendes Werturteil einstufte, das subjektiv auch so verwendet worden sei. Eine Rechtfertigung – ob nun aus Gründen der Notwehr, des § 193 StGB oder aus Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) – sah das AG Dortmund so wenig wie bald darauf das Oberlandesgericht (OLG) Hamm.
Erst das Bundesverfassungsgericht stellte durch Beschluss vom 5. Dezember 2008 (Az. 1 BvR 1318/07) fest, dass der Beschwerdeführer hier in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt worden sei. "Dummschwätzer" sei zwar unbestreitbar ein herabsetzendes Werturteil, anders als etwa Vokabeln der Fäkalsprache aber kein Wort, das den solcherart Bezeichneten stets und unabhängig vom Verwendungskontext in seiner ganzen Person kleinmache. Die Sache ging daher noch einmal zurück ans AG Dortmund.
Juristen schimpfen über "Dummköpfe" und "dummes Zeug" von Juristen
Die Entscheidung zum ruppigen Umgangston im Rat der Stadt Dortmund fand damals das beifällige Interesse auch der überregionalen Medien. Sie fiel in die letzten Jahre einer alten Medienkultur. Früher endete viel gesellschaftlicher Unmut, oft in Gestalt rustikaler, mit der Maschine oder – noch früher – in Sütterlin-Handschrift verfasster Leserbriefe, im Papierkorb von Leserbrief-Redaktionen. Seit der deutsche Rentner das Smartphone entdeckt hat, können aber die Karlsruher Richter nicht länger mit ungeteiltem Beifall rechnen.
Allerdings ist man in der Justiz schon seit geraumer Zeit darin geübt, sich differenziert mit dem Vorwurf auseinanderzusetzen, jemand sei dumm oder äußere jedenfalls dumme Dinge.
In seinem Urteil vom 8. Februar 1988 hatte sich der Bundesgerichtshof (BGH), Senat für Anwaltssachen, mit der Entscheidung des Ehrengerichtshofs für Rechtsanwälte des Landes Nordrhein-Westfalen zu befassen. Ein Anwalt war zur Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 10.000 Deutsche Mark sowie zum Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft verurteilt worden.
Ihm waren wiederholte Verstöße gegen das berufsrechtliche Sachlichkeitsgebot vorgeworfen worden. So habe der Anwalt etwa Justizbedienstete als "unaufrichtiges Gesindel" und als "Dummköpfe" bezeichnet, gelegentlich von einem "Musterfall der Klassenjustiz" gesprochen und – unklar bleibt, ob dies einen Staatsanwalt traf – erklärt, sein Gegenüber sei "zu dumm, um das Bundesumzugsgesetz zu lesen".
Der BGH hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und verwies sie an einen anderen Senat des Ehrengerichtshofs zurück. Zu berücksichtigen sei im Licht der damals noch jungen Rechtsprechung des BVerfG in diesem Kontext, dass die Äußerungen des Anwalts nicht an die allgemeine Öffentlichkeit adressiert gewesen, sondern im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten gefallen seien. Entsprechend musste noch näher geprüft werden, ob den verbalen Entgleisungen ein Rest an Sachlichkeit zu attestieren war.
Einem Strafverteidiger hatte der BGH schon mit Urteil vom 18. Dezember 1981 attestiert, dass gegen ihn gerichtete harsche Worte eines Strafkammervorsitzenden – Landgericht Köln – an seine Adresse nicht die Besorgnis der Befangenheit begründeten. Der Richter soll dem Anwalt gegenüber geäußert haben, er dürfe in der Hauptverhandlung nicht schlafen. Außerdem solle er öfter kommen, damit er auch über den Gang der Sache Bescheid wisse. Schließlich: "Reden Sie nicht so dummes Zeug!" (BGH, Urt. v. 18.12.1981, Az. 2 StR 395/81).
Die feine Linie, wenn Juristen ihren Kollegen vorhalten, diese redeten "dummes Zeug", dokumentierte der Bundesfinanzhof (BFH) in einem Beschluss vom 13. Januar 1987: Die Besorgnis der Befangenheit komme in Betracht, wenn etwa ein Richter wiederholt die "nicht abwegigen" Ausführungen einer Verfahrenspartei als "dummes Zeug" bezeichnet habe (BFH, Besch. v. 13.01.1987, Az. IX B 12/84). Damit war der Standard einer gewissen Druckempfindlichkeit bei Gericht formuliert – der Beschwerdeführer blieb daher vor dem BFH erfolglos. Er sah sich einem befangenen Finanzgericht ausgeliefert, weil es allzu viele Begriffe, auf die es ihm ankam, in distanzierende Anführungsstriche gesetzt hatte. Die gemutmaßte Wertung seiner Sache durch diese Satzzeichen musste er ertragen.
Hilfswissenschaftliche Erkenntnisse zur Dummheit
Dummheit wird, so klärt das "Historische Wörterbuch der Philosophie" in einem sehr knappen Artikel auf, gemeinhin negativ als "Gegenteil von Intelligenz und Urteilskraft" definiert.
Von jeher gängig sei die Klage über die Unerschöpflichkeit menschlicher Dummheit, ausgedrückt etwa durch Friedrich Schillers (1759–1805) früher geflügeltes Wort: "Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens". Dem Physiker Albert Einstein (1879–1955) wird – mit einiger Wahrscheinlichkeit unzutreffend – die Aussage zugeschrieben, es seien zwei Dinge unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, beim Universum sei er sich aber noch nicht sicher.
Die ironische Zuspitzung von der Unendlichkeit menschlicher Dummheit findet sich allerdings gut belegt bei Erasmus von Rotterdam (~1466–1536), der ihr jedoch gleich auch eine wichtige argumentative Wendung beigab. Erasmus erklärte, dass es sich bei der Dummheit um eine Macht handle, die ebenso weit reiche wie das Menschengeschlecht, daher nicht definiert werden könne.
Der unvermeidliche Immanuel Kant (1724–1804) nannte die Dummheit einen Mangel an Urteilskraft, dem nicht abzuhelfen sei bzw. einen "Mangel der Urteilskraft ohne Witz".
Ob das eine gerichtsverwertbare Formulierung ist, lässt sich aber bezweifeln. Richter könnten glauben, dass es am Ende nur sie seien, auf deren Urteilskraft es ankommt. Unter "Witz" verstand man zudem zu Zeiten Kants nicht die oft einfältige, pointierte Erzählform (z. B. Ostfriesenwitz), sondern eine Form unverbildeter Vernunft, wie im "Mutterwitz" oder im Lob, jemand sei "gewitzt". Darin ist man hierzulande eher ungeübt.
Der in den 1950er Jahren auch in Deutschland noch sehr breit rezipierte spanische Philosoph José Ortega y Gasset (1883–1955) hinterließ eine soziologische Beobachtung, die eine qualifizierte Form der Dummheit bezeichnete: Im öffentlichen Leben triumphierten neuerdings unqualifizierte "Pseudointellektuelle". Robert Musil (1880–1942) sah die Dummheit als Quelle eines unberechtigten Überlegenheitsgefühls, das dort auftrete, wo der Mensch "im Schutz der Partei, Nation, Sekte oder Kunstrichtung" auftrete und "Wir" statt "Ich" sagen dürfe.
Gerichtliche Erfahrungssätze zur Dummheit
Aus dem philosophischen Metier lässt sich also vielleicht nur die Erkenntnis des Erasmus von Rotterdam übernehmen, dass Dummheit so ins Unendliche reicht, dass der Mensch den Versuch unterlassen möge, sie definieren zu wollen.
Nicht nur der Gelehrte an der Epochengrenze von Mittelalter und Moderne kannte diese heitere Ehrfurcht davor, etwas Unendliches erfassen zu wollen, auch der BGH hält sich mit Erfahrungssätzen zur menschlichen Dummheit zurück.
In einem Urteil vom 4. Juni 1951 findet sich etwa der höchstrichterliche Beifall für die – ziemlich anstrengende – doppelte Negation, dass die Neigung eines Erblassers, sich in für ihn unangenehmen Situationen dumm zu stellen, "nicht den Schluss rechtfertige, er sei ein erfahrener und geistig nicht beschränkter Mensch gewesen" (Az. IV ZR 21/50).
Die an sich so schöne Kompetenz der Revisionsgerichte, die Tatsacheninstanzen wegen etwaiger Verstöße gegen die Logik – im Juristendeutsch: gegen Denkgesetze – zu rügen oder dies erklärtermaßen nicht zu tun, entfaltet sich im Zusammenhang mit der Dummheit auch in weiteren Fällen nur bedächtig.
Zur "Leichtsinnigkeit" – hier wohl verstanden als Oberbegriff für Unerfahrenheit, Mangel an Urteilsvermögen und erhebliche Willensschwäche (§ 138 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB) – sei objektiv "nicht nur der Dumme, sondern auch der Klügere" fähig. Dies erklärt der BGH im Urteil vom 22. April 1955 in der Bewertung eines sehr unvorteilhaften Grundstückstauschs (Az. V ZR 27/54).
Dass mit "dummen Streichen" immer und überall zu rechnen, aber in der Karnevalszeit besonders zu prüfen sei, ob mit der Entwendung eines Kraftfahrzeugs zu rechnen ist, gibt der BGH im Urteil vom 13. Januar 1961 zu bedenken: Der Fahrer eines Coca-Cola-Limonadenwagens hatte den Fahrzeugschlüssel nicht hinreichend gesichert, das – seinerzeit – auffällige Fahrzeug war von einem betrunkenen Faschingsfreund entwendet worden, darüber ein Unbeteiligter zu Tode gekommen. Lebenserfahrung, wann Dummheit wirksam wird, reicht hier nicht aus (Az. 4 StR 517/60).
Als auch beim kommunistischen Feind bekannte soziale Tatsache, also als anthropologische Universalie, erkennt der BGH in einem Urteil vom 6. Juli 1960 das Vorhalten von Dummheit: Spätestens auf die Frage seines Verbindungsoffiziers, ob er denn dumm sei, den Wert einer Sekretärin in der CDU-Bundeszentrale als Auskunftsquelle nicht zu erkennen, habe dem Angeklagten bewusst sein müssen, es mit dem DDR-Ministerium für Staatssicherheit zu tun zu haben (BGH, Urt. v. 06.07.1960, Az. 6 StE 1/60).
Selbstverfängliche Dummheitsdiagnose
In den öffentlichen Kontroversen der Gegenwart dürfte, nachdem richterliche Erfahrungssätze zur Würdigung konkret beobachteter Dummheit aus guten Gründen eher vage bleiben, vor allem das schon seit den 1930er Jahren von José Ortega y Gasset und Robert Musil aufgebrachte Problem als belastend empfunden werden: Auf Twitter, Facebook & Co. ist der Vorwurf schnell gemacht, es werde dummes Zeug geredet.
Dass der Jargon dabei "pseudointellektuell" ist, versteht sich fast von selbst. Denn Social Media sind voll von mutmaßlich dummem Zeug, das in eine (para-)akademische Sprache der Moral, Geschichtswissenschaft und vor allem der Psychologie gekleidet ist – im schlimmsten Fall der Juristerei.
Ein recht unangestrengtes Buch zur (Selbst-) Analyse, warum wir dumme Dinge denken und dann oft auch in kurzen Sätzen aufschreiben, hat die Psychologin Katrin Hille (1968–) unter dem Titel "Die Säulen der Dummheit" vorgelegt. Als Gründe für dummes Denken führt sie unter anderem die Neigung zu einer in die Irre führenden Mustererkennung an, das Zusammenreimen von Geschichten oder gar, dass Menschen "im Auftrag" ihrer Gefühle dächten.
Das sind zwar keine ganz neuen Erkenntnisse. Gegen das eigene Denken, Fühlen und Sprechen gerichtet kann ein solches Rezeptbuch der gehobenen Küchenpsychologie aber doch ganz nützlich sein – dummes Zeug ist es jedenfalls nicht.
Literaturhinweis: Katrin Hille: Die Säulen der Dummheit. Warum wir dumme Dinge denken. Bern (Hep) 2021. 160 Seiten, 23 Euro (Druck), 17,99 Euro (E-Book). Angehörige deutscher Universitäten werden regelmäßig im Digitalbestand ihrer Bibliothek fündig.
Rechtsgeschichte: . In: Legal Tribune Online, 23.04.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51543 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag