Burn-out-Syndrom: Wann aus viel Arbeit "zu viel" wird

von Gil Eilin Jung

11.05.2010

Juristen in Toppositionen gehören zu den klassischen Anwärtern für stressbedingte Erkrankungen. Der Hamburger Internist und Anti-Aging-Experte Christian M. Bamberger nennt im LTO-Interview Warnhinweise und Wege aus der Burn-out-Falle.

LTO: Professor Bamberger, wie viele Juristen gehören zu Ihren Klienten?

Prof. Bamberger: In meinem Institut sehe ich regelmäßig Juristen. Ich subsumiere das unter Führungskräfte mit extremer Belastung. Was Juristen in leitenden Posten auszeichnet, ist die Tatsache, permanent mit dem Beruf beschäftigt zu sein. Menschen, die Verantwortung tragen, arbeiten mental rund um die Uhr. Ihr Problem ist, nicht abschalten zu können.

LTO: Woran liegt es, wenn die Kanzlei abends nur physisch verlassen wird?

Prof. Bamberger: Die Arbeit eines erfolgreichen Juristen mag nicht schwerer sein, als die eines Menschen, der körperlich arbeitet - aber sie lässt ihn nicht los. Salopp gesagt: Du kannst einen Anwalt aus seiner Kanzlei nehmen, aber kaum die Kanzlei aus einem Anwalt. Konkret heißt das, auch zu Hause müssen noch E-Mails gecheckt und um 22 Uhr Telefonate geführt werden. Da ist das Gefühl für ein Normalmaß bereits verloren gegangen.

LTO: Gibt es so etwas wie ein gesundes Arbeitspensum?

Prof. Bamberger: Das kann man zeitlich nicht bemessen. Es gibt Menschen, denen geht es unter Dampf bestens. Die fühlen sich stark, fit und leistungsfähig. Wunderbar! Sobald sich aber physische oder psychische Anzeichen bemerkbar machen, ist Vorsicht geboten.

LTO: Wie sehen die typischen Überarbeitungssymptome aus?

Prof. Bamberger: Es gibt drei Stufen. Der akute Stress, für dessen Bewältigung uns der Körper die Stresshormone Adrenalin und Kortisol zur Verfügung stellt. Phase zwei führt zum chronischen Stress und damit zum dauerhaft hohen Kortisolspiegel, der vergleichbar einer Kortisoltherapie wirkt. Chronisch Gestresste sehen ungesund aus. Ihre Haut wirkt dünner und altert schneller, der Blutdruck und Blutzuckerspiegel steigen, es lagert sich Bauchfett ein. Herzinfarkte und Schlaganfälle sind die Folge.

"Bewegung ist der Stresskiller Nummer eins"

LTO: Wie kann man den gefährlichen Kortisolspiegel herunterfahren?

Prof. Bamberger: Durch Entspannungsphasen oder Mikropausen. Yoga hilft, Meditation, autogenes Training oder lesen. Blackberry und iPhone müssen dann ausgeschaltet sein, sonst wird das Bemühen ad absurdum geführt. Der zweite Ansatz heißt Bewegung. Da reichen schon dreimal in der Woche 30 Minuten – egal ob beim Spaziergang, Walken oder auf dem Crosstrainer. Regelmäßige Bewegung ist der Entstresser Nummer eins!

LTO: Ist es aus Ihrer Sicht akzeptabel, sieben Tage durchzuarbeiten, wenn der Job das erfordert?

Prof. Bamberger: Nein. Wichtig ist, sich einen Tag konsequent freizunehmen, am besten auch ohne soziale Pflichttermine. Ich rate auch dazu, das Arbeiten nach dem Abendessen zu vermeiden. Mein Team und ich wissen, dass das die Leute sind, die erheblich unter Schlafstörungen leiden. Was man abends arbeitet, begleitet einen in den Schlaf.

LTO: Was sind neben chronischen Schlafstörungen Anzeichen für zu viel Arbeit?

Prof. Bamberger: Das können Symptome sein wie Kopf- oder Rückschmerzen, Sodbrennen, Ohrensausen, heftiges, nächtliches Zähneknirschen. Der Übergang von chronischen Stressbelastungen zum Burn-out – und damit der dritten Stufe der Überbelastung - kündet sich oft durch depressive Stimmungen an. Man hat dann nicht mehr das Gefühl, dauerhaft unter Strom zu stehen, sondern schlicht nicht mehr zu können.

"Man muss Freizeit unorganisiert lassen"

LTO: Für viele erfolgreiche Juristen gehört eine gewisse Sportmanie zum Gesamtpaket. Am besten straff durchorganisiert...

Prof. Bamberger: Das beobachte ich auch sehr kritisch. Leuten, die besonders viel managen, fällt es schwer, Sachen unorganisiert zu lassen - selbst Spaß-Dinge wie Sport. Das Durchorganisieren der Freizeit ist ganz klar ein Symptom für eine Berufskrankheit. Man braucht in seinem Leben ungemanagte Zeitfenster und Muße. Es geht um das Herunterfahren der Festplatte, um einen gesunden Lifestyle.

LTO: Wie viele juristische und andere Führungskräfte finden einen Absprung aus dem Hamsterrad?

Prof. Bamberger: Alle, denen es gelingt, über ein halbes Jahr ein Muster in ihrem Leben zu verändern, haben es geschafft und fahren besser damit. 25 Prozent gelingt das. Ansonsten beginnt es sich ab Mitte 50 zu rächen, wenn aus dem Risiko eines Schlaganfalls bittere Realität wird.

LTO: Wie sieht es bei Frauen aus, die als Juristinnen Karriere machen. Leiden sie gleichermaßen wie Männer unter den Folgen von Stress?

Prof. Bamberger: Die reine Karrierefrau, die ihren Job über alles stellt, ist bei uns noch in der Minderheit. Es gibt viele Frauen, die es nicht um jeden Preis schaffen wollen und Alternativen in der Hinterhand haben. Frauen sind stressintelligenter. Männer dagegen haben oft im Kopf, ihre Jobs ums Verrecken machen zu wollen, ohne Netz. Den Druck machen sich Frauen nicht. Bei uns setzt sich zudem langsam die Überzeugung durch, dass man einer dauerhaften Überbelastung entgegensteuern sollte, weil Stress kontraproduktiv ist. Auch Männer dürfen heute sagen: Ich bin überlastet, ich will etwas dagegen tun. Krisenmomente werfen zudem Fragen auf, wofür man sich das eigentlich antut. Man möchte sich auch noch anderen Werten im Leben widmen als Kanzlei, Mandanten und Prozessen.

Professor Christian M. Bamberger ist Direktor des Medizinischen PräventionsCentrums am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Von ihm sind diverse Anti-Stress-Ratgeber erschienen, etwa der Titel "Stress-Intelligenz" als E-Book im Droemer-Knauer-Verlag.

Prof. Prof. Bamberger:Bamberger:

Zitiervorschlag

Gil Eilin Jung, Burn-out-Syndrom: . In: Legal Tribune Online, 11.05.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/96 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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