Gut und schlecht sind keine Kriterien, wenn es um Einrichtunsfragen geht. Dennoch gibt es Faktoren, wie man seine Kanzlei und sein privates Umfeld so gestaltet, dass es passt. Über die Variationsbreite von Design-Klassikern, die häufigsten Fehler und nützliche Tipps sprach LTO mit Rudolf Pütz, dem Geschäftsführer der Vitra GmbH - einem Unternehmen, das beispielhaft für Design und Architektur steht.
LTO: Herr Pütz, Sie leiten seit fünf Jahren die Vitra GmbH. Was ist aus Ihrer Sicht guter Stil?
Pütz: Auf Produktebene gesprochen würden mir exemplarisch der Lounge Chair als bekannter Klassiker von Charles & Ray Eames, das Sofa Place des englischen Designers Jasper Morrison oder im Büro ein formal eleganter und gleichzeitig technisch innovativer Tisch ArchiMeda, Design Alberto Meda, einfallen. Das sind drei Teile, die mich persönlich besonders ansprechen. Allgemein gesagt zeigt sich Stilbewusstsein als Ausdruck einer bewussten Haltung: sich mit dem zu umgeben, was einem selbst gefällt, mit dem man sich identifiziert und das zu einem passt. Das gilt für Kleidung, Kunst, Architektur und ebenso für Möbel.
LTO: ... selbst wenn es sich bei den Möbeln um einen Fall für die Stil-Polizei handeln sollte?
Pütz: Es geht nach meinem Verständnis weniger um richtig oder falsch. Jeder Mensch hat sein persönliches Empfinden und Bedürfnis, dem er zuerst folgen sollte. Natürlich mag es Einrichtungen geben, die man eher kritisch beurteilen kann, aber es wäre anmaßend, dies auch als falsch zu deklarieren. Wichtig sind vor allem Authentizität und dass man sich wohlfühlt, bevor man nur danach fragt, was andere davon halten. Das Arrangement der persönlichen Einrichtungs-Collage ist Ausdruck der eigenen Identität und Lebensauffassung.
LTO: Zum Hauptkundenkreis von Vitra gehören Architekten, Banker und Juristen. Täuscht der Eindruck, dass es um Variationen des ewig gleichen Stils geht?
Pütz: Die Bandbreite von konservativ bis klassisch ist größer, als man glaubt. Unter Juristen gibt es viele, die eine klassische Linie bevorzugen ohne Schnörkel, mit klarer Aussage. Das korrespondiert mit einer gedanklichen Ausrichtung, die ebenso klar und strukturiert ist. Juristen sind darauf bedacht, in der Außenwahrnehmung als vertrauenswürdig, seriös und kompetent wahrgenommen zu werden. Ein betont jugendlicher Stil könnte also eher kontraproduktiv wirken.
LTO: Bei allem Verständnis für den seriösen Eindruck, aber darf es denn nicht wenigstens gelegentlich mal ein bisschen flippig zugehen?
Pütz: Doch absolut. Hierzu eignen sich etwa ausgewählte Accessoires, ein freches Einzelstück inmitten einer eher edlen, reduzierten Einrichtung, eine besondere Leuchte oder das Kunstwerk an der Wand. Dies alles kann enorme Wirkung entfalten, sofern es als Stilmittel bewusst einsetzt wird. Der Gesamteindruck entsteht durch die gelungene Zusammenstellung aller einzelnen Teile eines Raums. Ist die Gesamtcollage in sich stimmig, darf sie gerne einzelne Stücke beinhalten, die quasi als Bruch, Provokation oder laute Geste daherkommen.
LTO: Wie weit ist es denn her mit der Stilsicherheit, wenn sich – sehr allgemein gesprochen – Kanzleien nur darin unterscheiden, dass die einen tendenziell eher konservativ rüberkommen und die anderen eher modern?
Pütz: Wenn wir den konservativen Stil mal außen vor lassen, gibt es verschiedene Ausprägungen modernen Stils. Allein die Formgebung bewegt sich zwischen strikt, klar, gradlinig bis zu organischen Formen mit Rundungen und weicheren Oberflächen. Es gibt also unterschiedliche Gestaltungssprachen. Das Design kann expressiv oder reduziert, bunt oder einfarbig, organisch oder gradlinig sein – nichts ist per se festgelegt durch eine Richtung. Das, was wir heute mit „zeitlos modern“ beschreiben, kann innerhalb einer Zeitpanne von rund 70 Jahren entstanden sein. Modernsein bedeutet, dass es über den Tag hinaus Gültigkeit, Kraft und Frische besitzt, jedoch dabei nicht modisch daher kommt.
LTO: Welchen Einrichtungs-Ratschlag würden Sie einem jungen Anwalt geben, der seine erste eigene Kanzlei einrichtet?
Pütz: Man muss zuerst an die Menschen denken, die in den Räumen arbeiten und jeden Tag dort verbringen werden. Mein Ratschlag wäre, sich auf qualitativ wertige und damit zugleich nachhaltige Einrichtungsgegenstände zu konzentrieren, an denen man jeden Tag Freude hat. Räume und Produkte strahlen eine Botschaft aus, sie wirken sich unweigerlich auf Wohlfühlen und Motivation aus. Das Schöne etwa an Klassikern ist, dass sie selbst nach 20 oder 30 Jahren keine Alterung erkennen lassen, vielmehr visuelle Gültigkeit und Aktualität über viele Jahre behalten.
Zudem sollte man überlegen, wie man arbeiten möchte: eher teamorientiert oder eher konzentriert und zurückgezogen? Schafft man Treffpunkte für informellen, spontanen Austausch oder setzt man auf abgetrenntes Arbeiten ohne verbindende Kommunikationsangebote? Der Trend geht dahin, sich immer stärker zu vernetzen, zu kommunizieren, Wissen auszutauschen, offen zu sein. Das alles lässt sich mit der Einrichtungsplanung und Innenarchitektur wunderbar unterstützen.
LTO: Mal abgesehen von den Juristen, attestieren Sie den Deutschen nun eher einen guten oder einen durchschnittlichen Möbelgeschmack?
Pütz: Das Bewusstsein der Deutschen für Einrichtung hat sich in den vergangenen Jahren enorm entwickelt. Trotzdem fällt auf, dass wir, im Gegensatz zu vielen europäischen Nachbarländern, doch eher selten innenarchitektonische Beratung in Anspruch nehmen, wenn es ums Einrichten geht. Selbst bei Menschen mit gutem Geschmack fehlt häufig der Blick für die Abstimmung aller im Raum zu berücksichtigenden Komponenten, die Farbzusammenstellung oder die Idee, Räumen einen unverwechselbaren Charakter zu verleihen, der unmittelbar im Zusammenhang mit dem Menschen steht, dessen Haltung, Auftreten und Befinden.
LTO: Nun gibt es aber ganze Design-Konzepte, wie die komplett eingerichteten Apartments von Philip Starck. Ist das kein genialer Schachzug?
Pütz: Genial vielleicht für Philip Starck selbst, der unzweifelhaft großartige Produkte entworfen hat und ein herausragender Designer dieser Zeit ist. Aber hier könnte auch genauso weniger mehr sein. Einzelne Stücke setzen tolle Akzente, aber Starck vom Teppich über die Sofaecke, Wandbeleuchtung bis hoch zur Decke könnte auf Dauer auch erdrückend wirken.
LTO: Konstruieren wir einmal die Situation, dass ein Wasserrohrbruch Sie dazu zwingt nur drei Ihrer liebsten Schätze zu retten...
Pütz: Bei dieser Frage geht es um die Lieblingsstücke, die mir besonders am Herzen liegen. Wahrscheinlich wären es bei mir ein Portrait des Münchener Malers Peter Vogt, der mit Kuhfell bezogene LCM Plywood Chair aus dem Jahr 1945 von Charles & Ray Eames und schließlich meine geliebte Kaiser Idell "Kommissar-Tischleuchte", übrigens ein Teil vom Flohmarkt.
LTO: Warum brauchen wir Design, Herr Pütz?
Pütz: Design ist Poesie und Qualität zugleich. Es bereitet Freude und es berührt in positiver Weise, von Gegenständen umgeben zu sein, die mit großem Bedacht, Mühe und Intelligenz angelegt worden sind - etwas, das gleichermaßen schön und funktionell ist, zudem zeitlos und sich gut anfasst. Gutes Design macht den Menschen nicht unbedingt besser, aber vielleicht zufriedener.
Gil Eilin Jung, Büros einrichten mit Stil: . In: Legal Tribune Online, 27.04.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/430 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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